Little Nightmares weiß, vor welchen Dingen ihr als Kind Angst hattet
Besser Füße einziehen beim Schlafen.
Little Nightmares ist nicht das erste Spiel, das Überforderung aus kindlicher Perspektive abbildet - man denke an Limbo oder Among the Sleep -, aber sicher eines, das sich auf die Watchlist zu setzen lohnt. Zumindest sofern man die Zehn-Minuten-Demo von der Gamescom als vorzeigbar einordnen kann. In der Rolle eines kleinen Mädchens mit gelbem Regenmantel muss man sich seinen Ängsten stellen im Rahmen eines Spieldesigns, das aussieht wie eine Mischung aus seitwärts scrollendem Jump-and-Run, physikbasiertem Knobler und Schleichspiel.
Schon der erste Raum, ein Schlafzimmer, verzerrt die Proportionen im Sinne der dargestellten Unterlegenheit und zeigt schiefes Mobiliar, fleckige Tapete. Kleine Männchen verschwinden in den Ecken oder unter Schränken. Das Mädchen, kaum so groß wie das Bett, muss einen Koffer schieben wie einen schweren Minenwagen. Nur so erreicht sie die Türklinke, um aus diesem Kindergefängnis gewordenen Klischee von einem Raum zu entkommen. Im Hintergrund das zu erwartende Glockenspiel und an der Wand hängt das Foto einer fetten Köchin. Sieht nicht allzu manierlich aus. Schon diese kurze Situation zeigt, worum es geht: Alltägliches, das zu stemmen für die Kleine ein Kraftakt sondergleichen ist, um das Nicht-gewachsen-Sein und den Weg, es trotzdem zu schaffen.
Im Flur benutzt sie ein Feuerzeug und die Lichteffekte sind einfach fantastisch, besonders in Anbetracht der verschobenen Größenverhältnisse. Ein Schrank sieht gleich viel unheimlicher aus, wenn man gerade mal bis zur untersten Schublade reicht, also nicht mal bis dorthin, wo das Monster aus der Kindheit Nacht für Nacht lauerte, nicht? Aber es passiert nichts.
Mit dem Fahrstuhl - nächstes Horrorklischee - geht es runter in die Küche, ins Revier der fetten Köchin, die hier steht und apathisch auf Fleischstücke einhackt. Es ist nicht mal die Frau an sich, sondern das ihr gegebene Drumherum: ein Keller, schmierige Kacheln, Fischlaibe, Fleisch. Ich hatte im Kindergarten auch oft Angst vor der Essensfrau, vermutlich weil man zu ihr nach unten musste, raus aus dem eigenen, vertrauten Umfeld, und Little Nightmares zeigt, wieso das funktioniert. Außerdem pflegte sie immer einen rüden Ton, was im vorliegenden Fall aber nicht das Problem ist.
Dann schon eher das Fleischermesser, mit dem sie Jagd macht auf das Mädchen, falls es sich nicht unter Schränken versteckt und schleicht. Natürlich kommt kurz darauf der geskriptete Moment, in dem all die Vorbereitung egal ist, in dem das Spielgeschehen im Dienst der Inszenierung steht. Die Köchin verfolgt das sprintende Mädchen. Und schnappt mich die ersten fünf Versuche, weil ich nicht bemerkte, dass man am Raumende eine Kommode erklimmen muss, Schublade für Schublade, und den darüberliegenden Schacht erreichen. Ging auch anderen so, hab ich genau gesehen.
Als seitwärts scrollendes und nur in die Tiefe des jeweiligen Raumes reichendes Spiel fängt die Kamera genau ein, was sie soll. Anpassen darf man sie nicht, was besser so ist, macht man sich bewusst, wie stilsicher die schwedischen Tarsier Studios hier den Blick lenken. Es mögen nur zehn Minuten gewesen sein und ob Little Nightmares diese Eleganz über mehrere Stunden halten kann - wer weiß das schon? Dennoch ist es Grund genug, sich zu freuen: auf Schatten an der Wand, unterm Bett hervorgreifende Hände, Schrankmonster, Keller und all die anderen Dinge, vor denen wir heute nur noch ein bisschen Angst haben. Aber psssst, muss ja keiner erfahren.