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Loki Staffel 2 ist eigentlich zum Scheitern verurteilt. Fast egal, solange das Zuschauen so viel Spaß macht

Das MCU als sich selbst fressende Schlange.

Ich gebe zu, ich bin ganz schön raus, aus dem ganzen Marvel-Zirkus. Hätte man mir das vor vier Jahren gesagt, ich hätte es nicht geglaubt. Ich liebte das MCU bis zu Endgame. Nicht jeden Film im Einzelnen, aber das Projekt als Ganzes war mir nah am Herzen. Der gesamte Multiversum-Plot, den Feige und Konsorten als nächstes großes MCU-Epos nach der Infinity-Saga auserkoren hatten, wirkt dagegen fahrig und beliebig. Und über Plots und Pacing der einzelnen Serien hat man, trotz lobenswerter Ansätze in eigentlich jeder einzelnen Produktion, entweder zu wenig oder zu lange nachgedacht.

Und jetzt ist da die zweite Staffel von Loki. Einer eminent unterhaltsamen und gut aussehenden Show, der ich eigentlich nur vorhalten kann, dass mit ihr das ganze Schlamassel seinen Anfang nahm, und hat die unlösbare Aufgabe, allem einen Sinn zu geben und mich wieder ins Boot zu holen. Wie soll ihm das gelingen, Ordnung in eine derart zerfahrene Metahandlung zu bringen? Und auf die Frage, wie man klaffende Personallücken bei den Avengers schließen soll, hat man in Abwesenheit von Steve Rogers und Tony Stark noch nicht einmal die ersten Silben einer Antwort parat. Von Loki waren sie nicht zu erwarten.

Moralische Fragen tun sich auf: Ist das Stutzen abweichender Zeitlinien eine Gräueltat? Und interessiert das gerade irgendjemanden?

Stattdessen fürchte ich mich jetzt schon davor, Kang the Conqueror – wenn es denn nach den Enthüllungen um Jonathan Majors dabei bleibt – zum mittlerweile dritten Mal abnippeln oder geschlagen zu sehen. Denn so demontiert man seine neue, übermächtige Bedrohung eher, als sie großen Kinoereignissen gebührend aufzubauen. Aber hey, nach Folge eins von Lokis zweiter Season ist von Kang noch nichts zu sehen. Und Loki… darf erst einmal weiter Loki sein: Eine Serie mit wundervollem Produktionsdesign und entwaffnender Chemie zwischen Owen Wilson und Tom Hiddleston.

Überhaupt passt der Cast einmal mehr ausgezeichnet zu dieser seltsamen Geschichte. Der geradezu Jean-Pierre-Jeunet-sche Richterrat der TVA, Alleswisser und Sprite-Enthusiast Ouroboros (Ke Huy Quan), das kleine Rädchen in der TVA-Maschine, Casey - sie alle passen bestens in dieses Zerrbild einer Behörde, deren holzvertäfelte Piefigkeit in maximalem Kontrast zur Wichtigkeit ihrer Aufgabe steht. Und während ich das hier schreibe, merke ich einmal mehr, wie sehr es mir die Besetzung und das Design dieser Show mir angetan haben. Es ist mir eigentlich unmöglich, sie nicht zu mögen.

In Anbetracht der Plot-Umstände, hätte Ke Huy Quans Ouroboros eine viel schlimmere Expositionsmaschine sein können. Das rechne ich der Serie hoch an.

Ich bin mir sehr bewusst, dass es in meinem Fall besser wäre, die Serie für sich selbst zu schauen, denn so funktioniert sie tatsächlich gut, sofern ich das nach einer Folge sagen kann. Die anachronistische Bombast-Bürokratie der TVA und ihre verschrobenen Regeln sind auf jedem Meter unterhaltsam zu ergründen. Auch, wenn man nicht zu lange darüber nachdenken darf, warum ausgerechnet Loki auf Zeitlinien herumspringen darf, ohne dass eine neue Zeitlinie entsteht. Die Show macht sich, in Form von Oscar-Gewinner Ke Huy Quans Ouroboros sogar an einer Stelle darüber lustig: “Wow, das ergibt so viel Sinn. Das ist einwandfreie Logik”.

Doch selbst, wenn es einwandfreie Logik wäre: Das ist die Sorte Komplikation, die dazu beiträgt, dass sich mittlerweile kaum noch jemand dafür interessiert, was eigentlich gerade der Stand der Dinge im MCU ist. Und da hört es ja nicht auf: Wenn jetzt schon in der ersten Folge die Frage angestoßen wird, ob das Tilgen devianter Zeitlinien nicht milliardenfachem Genozid entspräche, weiß man nun gar nicht mehr, ob das Zeitchaos nicht doch der wünschenswerte Zustand ist. Es ist ein moralisches Dilemma, das sich zu ergründen lohnt. Aber wir hängen im MCU gerade so in der Luft, dass wir gedanklich nicht vorwärtskommen, egal, wie sehr wir auch strampeln.

Produktionsdesign allererster Kajüte!

Letzten Endes ist diese Serie seltsam gefangen zwischen der Pflicht, alles endlich wieder Sinn ergeben zu lassen, und dem Willen, ihr eigenes, seltsames, kreatives Ding zu sein. Ich beneide die Macher um Michael Waldron nicht im Geringsten um diese Aufgabe. Gleichzeitig habe ich eine Menge Spaß, hierbei zuzuschauen. Für eine derart zum Erfolg verdammte Produktion ist es weiterhin ziemlich wild, was hier passiert und das ist schon ein ziemliches Kompliment, meine ich.

Mit ein bisschen Glück läuft es bei Loki auf einen Reset des MCU hinaus und wir tun bald alle so, als wäre seit Endgame nichts hiervon passiert. Das wäre ein schöner Ausgang von Lokis Heldwerdung: Er rettet das Universum, niemand nimmt bleibende Notiz davon und er gaunert zusammen mit der einzigen Person, die ihn wirklich versteht, weiter durch den Weltraum: Sylvie, eine Variante seiner selbst. Das wäre die Sorte poetisches Ende, für die ich mich begeistern könnte.

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