Lost Odyssey
Einen Oscar für die besten Darsteller
Ihr müsst auch darauf achten, wer in welcher Kampfreihe steht. Ein extra Balken zeigt an, wie viele Verteidigungspunkte die vorderste Reihe Eurer Frontschweine bringt – je stärker die Charaktere, desto besser decken sie natürlich. Solange diese Punktzahl gut gefüllt ist, hat die zweite Reihe nicht viel zu befürchten. Jeder feindliche Angriff dezimiert den Wert und einmal auf Null angekommen, gibt es keinen besonderen Schutz für die Magier und Fernkämpfer mehr.
Dafür, dass Ihr diese feineren Kampfaspekte nicht außer Acht lasst, sorgt der knackige Schwierigkeitsgrad, bei dem reines Powerleveln und dann den Bossgegner übertrumpfen, nicht gilt. Die Areale haben eine Obergrenze, bis zu der Ihr steigern könnt. Mit einer vollen Fünfer-Truppe ergibt dies spannende, taktische und teilweise wirklich denkwürdige Kämpfe. Im ersten Viertel – mal ehrlich Mistwalker, die erste DVD ist nie so Euer Ding, oder? – seid Ihr noch dabei, die Posse zusammen zu trommeln und tretet häufig genug in bitterer Unterzahl an, stets mit dem Gefühl, dass es mit einem Streiter mehr fair sein könnte.
Vor allem, sobald mal wieder Eure im ersten Viertel zu sehr favorisierten Magier sich verzweifelt an den letzten Hitpoint klammern. Jeden, aber auch wirklich jeden einzelnen Fight müsst Ihr ernst nehmen. Selbst simple Feinde verfügen über mächtige Angriffe und Zauber, die schnell ein oder zwei Mitstreiter niederstrecken. Danach wieder auf die Beine zu kommen, wird sehr hart. In keinem Kampf konnte ich mit „ein Buch lesen und die A-Taste bearbeiten“ punkten.
Über Waffen lässt sich hier nicht viel ausgleichen. Alle paar Dörfer gibt es zwar mal ein theoretisch besseres Schwert oder einen neuen Zauberstab, große Unterschiede bringen die aber in keiner Weise mit. Das Zauberrepertoire kennt Ihr ebenfalls schon seit einer Weile und vielen anderen Rollis: Water, Shadow oder Heal gefällig? Da gibt es nichts, wofür der Gott der Zauberei Dich in den Himmel lassen würde, Mistwalker.
Trotz der leichten Unterbewaffung und Übervorteilung der Feinde, solltet Ihr es als Herausforderung und weniger als Unfairness auffassen, denn am Ende erstaunt es doch, wie viel Spaß das weitestgehend ja nach den bekannten Regeln aufgebaute System auch heute noch macht. Nach einer Stunde endlich dem obligatorischen Steampunk-Riesenpanzer den finalen Punkt abgerungen zu haben, verschafft ein Erlebnis, an das Ihr Euch noch ein wenig zurück erinnern werdet. Nicht zuletzt auch dank der musikalischen Untermalung des Altmeisters Nobuo Uematsu.
Natürlich hat er auch für Lost Odyssey ein kleines Meisterwerk abgeliefert. Mal wieder. Wie immer. Ihr dürft das jetzt sicher Nörgeln auf hohem Niveau nennen, nur wie auch beim Rest des Spiels gibt es hier kaum Experimente. Viele der Melodien werden die Final Fantasy-Kundigen unter Euch erkennen oder es zumindest glauben. Natürlich wurden nicht einfach die alten Werke noch einmal neu benutzt, trotzdem hätte ein wenig mehr Eigenständigkeit hier schon nicht schlecht getan.
Und dieser Mangel an spielerischer Eigenständigkeit dürfte dann neben den kleineren Unzulänglichkeiten auch der größte Kritikpunkt sein. Eine bekannte US-Seite gab Lost Odyssey eine Wertung von ca. 80 %, woraufhin ein Leser die These aufstellte, dass die Redakteure ja wohl von Stinktieren abstammende Square Enix–Lover sein müssten, schließlich hätte das seiner Ansicht nach perfekte Spiel mindestens 95 % verdient und auch bekommen, wenn es statt Lost Odyssey einfach nur Final Fantasy heißen würden. Ich stelle mich jetzt mal schützend vor die Wertung der Kollegen – nicht zuletzt ,weil ich gleich eine sehr ähnliche vergebe. Final Fantasy und Lost Odyssey sind sich in der Grundsache ähnlich, nur hat das große Vorbild stets versucht, sich ein wenig neu zu erfinden.
Das versucht Mistwalker, die sich ja ironischerweise aus den Final Fantasy-Erfindern zusammensetzen, mit ihrem neuen Werk nicht einmal und würfelt stattdessen Bekanntes in den Mixer, garniert mit einer nicht ganz frischen, kompetent erzählten Story. Fertig. Zum Glück macht das nichts. Gute Geschichten höre ich immer wieder gerne, vor allem, wenn man sie mir sie so überzeugend erzählt und in ein bewährtes Spielsystem verpackt. Und sollte es einen Rollenspiel-Oskar geben: Lost Odyssey räumt mit Sicherheit alle Preise für die besten Darsteller ab. Der Rest ist halt klassisches Japanrollenspiel im allerschönsten Sinne. Nicht mehr, aber auch auf keinen Fall weniger.
Lost Odyssey ist ab sofort exklusiv für die Xbox 360 erhältlich. In einer Box die Platz für drei DVDs bietet. Die vierte wurde dezent in einem Papierschuber hinter dem Handbuch platziert. Liebevoll. Die fünf Sprachen lassen sich beliebig kombinieren. Der Text regelt sich über die Einstellungen der Xbox, die Synchro im Menü des Spiels.