Mars: War Logs - Test
Liebes Tagebuch: Habe gelernt, dass gute Ideen und ein günstiger Preis nicht reichen, wenn es bei der Umsetzung hakt.
Mars: War Logs ist ein Berg Rosinen, der als Kuchen verkauft wird. An Inspirationsquellen mangelte es den Entwicklern aus dem Hause Spiders - einigen vielleicht bekannt durch Titel wie 'Of Orcs and Men', 'Gray Matter' und zwei Sherlock-Holmes-Versoftungen - offenbar nicht. Ich behaupte jedenfalls, die Liste der Vorbilder für 'Mars' ziemlich akkurat aufzählen zu können (ohne Gewähr):
Multiple-Choice-Dialoge, die den Handlungsverlauf bestimmen? Moralische Zwickmühlen mit harschen Konsequenzen? Begleiter, mit denen man sogar Romanzen eingehen kann? Ein dynamisches Kampfsystem, das sich pausieren lässt? Ganz klar: Hier hat Mass Effect inspiriert.
Knast-Atmosphäre und Ausbruchspläne? Alienmonster aus der Finsternis? Ein geheimnisvoller und beinharter (Anti-)Held? Behändes Schleichen und fiese Attacken aus dem Hinterhalt? Das riecht verdächtig nach Chronicles of Riddick: Escape from Butcher Bay.
Unterdrückte Mutanten, Minenarbeiter und Mars-Prostituierte? Sieht doch ein Blinder! Fehlt nur noch, dass Arnie durch die Tür bricht und mit steirischem Akzent dreibusige Damen anzotet. Da hatten die Macher 'Total Recall' auf dem Schirm.
Ihr Endprodukt wickelten die Spiders nur noch in ein bisschen kultiges Cyberpunk-Geschenkpapier, pappten eine RPG-typische Charakterentwicklung und ein Crafting-System als Schleife dran und hauen jetzt das Spiel zum Budgetpreis von 15 bis 20 Euro raus. Was kann da schon schiefgehen?
Mars: War Logs stolpert am laufenden Band über seine eigenen Ambitionen. Es reicht eben nicht, gute Ideen zu sammeln, man muss sie auch richtig umsetzen.
Leider einiges, denn Mars: War Logs stolpert am laufenden Band über seine eigenen Ambitionen. Es reicht eben nicht, gute Ideen zu sammeln, man muss sie auch richtig umsetzen. Dabei fand ich den Titel nicht einmal völlig grottig. Vielmehr hat mich enttäuscht, wie die guten Ideen durch ihre halb gare Umsetzung verpuffen. Besonders weil man die Intention der Entwickler hinter jedem einzelnen Feature erkennen kann. Also: keine Schweißausbrüche beim Durchspielen an einem Abend, aber eben auch keine Begeisterungsstürme.
Ein großer Mars in viel zu kleinen Dosen
Zur Handlung: Die beginnt stark mit einem cleveren Perspektivwechsel. Wir folgen der Erzählstimme eines grünschnäbeligen Knaben mit dem programmatischen Namen Innocence. Der ist unfreiwillig in der Armee gelandet, kurz darauf vom Feind gefangen genommen worden und nun auf dem Weg in ein Arbeitslager. Dort angekommen, haben ihn gleich die Knast-Bullies auf dem Kieker. Doch ein zäher Veteran rettet ihm in letzter Sekunde buchstäblich den Hintern - unser Held, dessen Steuerung wir auch gleich übernehmen. Bam! Toller Erzähl-Kniff! Zwar hätte ich mir anstelle des Nicolas-Cage-Verschnitts "Roy" mit Elvis-Koteletten und 08/15-Synchronsprecher einen harten Knochen mit Reibeisen-Stimme der Marke Vin Diesel gewünscht, aber Schwamm drüber. Gefängnis, Fluchtpläne, Cyberpunk - ist gekauft. Schön: Verwendet werden deutsche Untertitel und ein lokalisiertes Interface, aber gleichzeitig die englische Sprachfassung.
Doch dann zerfasert der rote Faden. Ich habe nichts gegen eine komplexe Handlung, aber das Tempo, in dem euch hier Plots, Parteien und Protagonisten um die Ohren gehauen werden, ist hanebüchen. Drei narrativ grundverschiedene Kapitel wurden in zehn Stunden Spielzeit gepfercht. So bleiben Handlung wie Handelnde flach und eindimensional. Verschenkt wird die Chance, euch die Welt und ihre Bewohner von Grund auf vorzustellen und eine faszinierende Marke zu begründen. Letztlich lassen sich die ganzen toll ausgedachten Fraktionen auf die simple Unterscheidung eindampfen: "NPC ist angreifbar oder nicht". Falls die Protagonisten nicht sowieso spontan ihre Gesinnung binnen einer Zwischensequenz von mordlustig zu lammfromm wechseln und sich euch als Begleiter anschließen. Bei einem derartigen Kuddelmuddel hilft auch das Lexikon voller Hintergrundinfos und Technobabble im Menü nicht. Es ist ein vielversprechendes Universum, das die Entwickler hier erschaffen haben. Doch es wirkt wegen der abgehetzten Präsentation eher aufgesetzt und erzwungen denn plausibel und ausgereift. Als ob man sich die ganzen Details nur ausgedacht hat, weil ein modernes Cyberpunk-Action-RPG halt derartigen Sermon braucht.
Es ist ein vielversprechendes Universum, das die Entwickler hier erschaffen haben. Doch es wirkt wegen der abgehetzten Präsentation eher aufgesetzt und erzwungen denn plausibel und ausgereift.
Das gilt ebenso für die (moralischen) Entscheidungen und Romantik-Optionen. Es gibt vereinzelt gelungene Quests, deren Ausgang sich tatsächlich auf zukünftige Missionen niederschlägt. Schaffe ich es, der Wache zu helfen und ihr Freund zu werden? Verschone ich das Leben eines Mörders? Versuche ich, meinen Auftraggeber übers Ohr zu hauen? Andere Story-Gabelungen wurden hingegen beleidigend plump eingebaut, so als ob die Macher durchs Regie-Megaphon rufen würden: "Achtung! Zeit für den dramatischen Wendepunkt! Bitte schnell zwischen rechts und links wählen, damit wir in zehn Minuten endlich die angedeutete Sexszene abhaken können! Dann der obligatorische Bosskampf! Los, Leute, wir haben's eilig!"
Von wegen "Mars macht mobil"
Die Präsentation ist sowieso alles andere als makellos. Die Grafikengine wäre vor fünf Jahren noch akzeptabel gewesen. Die Fassungen für Xbox 360 und PS3 sind noch nicht verfügbar. Die PC-Version wirkt mau. Nach heutigen Standards ist der Rote Planet zu trist und kantig, die Mimik der Figuren in den (immerhin komplett vertonten) Zwischensequenzen zu hölzern, die Spielwelt strotzt vor unsichtbaren Wänden und wurde zu stark fragmentiert. Schlimm genug, dass die simplen "Von-A-nach-C-über-B-zurück-zu-A-Quests" in wahre Marathon-Gewaltmärsche ausarten - Türen, Leitern und Klettereinlagen an Mauern alle paar Meter bringen mich zur Weißglut. Nicht einmal springen kann dieser Roy und bleibt an etlichen Kanten hängen, weil die Entwickler sie nicht "entschärft" haben.
Und: Was hilft es mir, zwischen den Fights unendlich lange sprinten zu können, wenn ich andauernd innehalten und eine Zwischensequenz ertragen muss, in der Mr. Superheld eine Schiebetür aufwuchtet oder auf einen Vorsprung kraxelt? Zwar darf ich die Sequenz abbrechen, doch aus dem Tritt hat mich das trotzdem gebracht. Kombiniert das mit dem inflationären Gebrauch von Bestätigungsfenstern (Looten, Leveln, Basteln, Handeln - alles mit dem Extra-Klick) und ihr habt Stop-and-Go-Gameplay-Gestotter vom Feinsten.
Die Marsbewohner stehen zudem tendenziell wie Statuen in den Straßen. Und schlimmer noch: Die Entwickler haben größtenteils identische Charaktermodelle verwendet - obwohl manche NPCs mehrfach als Gesprächspartner fungieren. Klone also, soweit das Auge reicht. Das geht zu Lasten der stimmigen Atmosphäre. Die können dann auch eingestreute Witze wie der legendäre, aber überstrapazierte "Arrow-to-the-knee-Spruch" oder launige Kommentare über eure Meuchel-Gewohnheiten nicht retten.
Wenn es in die Kämpfe geht, gibt sich Mars: War Logs erfreulich dynamisch. Zwar dürft ihr das Spieltempo jederzeit per Tastendruck auf Gletscher-Niveau verlangsamen, um Spezialmanöver auszuwählen und den Angriffsmodus eures Begleiters zu ändern. Doch im Grunde kann man die Scharmützel locker in Echtzeit bestehen. Gut gefallen hat mir die Beschränkung aufs Wesentliche. Außerhalb der Kämpfe wird das Interface komplett ausgeblendet.
Die Gefechte zu gewinnen, ist freilich nicht schwer: Konstantes Herumrollen, Parieren und Kontern führt zum Erfolg. Steuert sich zweifellos sehr flüssig, wird in der Praxis aber auch sehr schnell sehr eintönig. Ihr blockt einen Schlag, haut selbst zu, rollt aus der Schusslinie, blockt und schlagt wieder, rollt herum, tretet nach dem Feind, um seine Deckung zu durchbrechen oder werft im Sand in die Augen, um ihn zu blenden, gefolgt von noch einer Rolle, einem Schlag und wieder einem Block. Selbst gegen mehrere Gegner klappt dieses F-Schema gut. Ich habe meine Nagel-Pistole oder die später freigeschalteten Technomanten-Blitzangriffe nur höchst selten gebraucht. Mehr als meine Hieb-Waffe unter Strom zu setzen und vielleicht einmal den Energieschild zu aktivieren, war seltenst nötig.
Konstantes Herumrollen, Parieren und Kontern führt zum Erfolg. Steuert sich zweifellos sehr flüssig, wird in der Praxis aber auch sehr schnell sehr eintönig.
Schleichen kann man tatsächlich auch, um einen kritischen Treffer im Rücken des Feindes anzubringen. Von einem Sam Fisher ist Roy aber Lichtjahre entfernt. Dass ein Indikator für erfolgreiches Schleichen fehlt, kann ich verschmerzen. Die Level-Architektur hingegen macht Schleichen oft zur Null-Option. Patrouillen-Routen oder Hindernisse wurden dann derart ungeschickt platziert, dass euch praktisch nur die direkte Konfrontation bleibt. Wenigstens warten NPC-Begleiter brav an Ort und stelle, um euren Schleicherfolg nicht zu gefährden. Erst wenn ihr den Tarnmodus verlasst, schließen sie zu euch auf.
Ansonsten sind eure Begleiter nur von dürftiger Intelligenz. Vier Einstellungsoptionen von passiv bis aggressiver Nahkämpfer lassen sich für sie wählen, ansonsten dürft ihr sie weder ausrüsten noch aufwerten noch direkt kontrollieren. Das ist besonders ärgerlich, weil Friendly Fire in diesem Spiel grundsätzlich aktiviert ist - für Feinde und für euch. Das ist toll, wenn eine Maulwurfmonster-Königin ihre eigene Brut umsenst. Weniger schön ist hingegen, dass ich mehrfach von der Technozauberin Mary an meiner Seite Energiestöße verpasst bekam, weil ich mal wieder in ihre Schusslinie gelaufen war.
Fertigkeiten, Fertigung, Fazit
Der kreisrunde Fertigkeitenbaum mit mehreren Rängen unterscheidet zwischen 'Kampf', 'Abtrünniger' (Stealth) und 'Technomantie' und lässt euch die Wahl, jeweils drei Punkte in diverse passive Boni und wenige aktive Fertigkeiten zu stecken. Die Punkteverteilung beim Stufenanstieg wurde intuitiv und solide umgesetzt. Fast schon zu mächtig ist hingegen das Crafting-System. Hier könnt ihr eure Hiebwaffe und eure Klamotten mit Teilen aufwerten, sowie Heilpacks, Granaten, Sprengfallen und Munition herstellen - alles direkt an der Front und ohne Händler. Die Ressourcen sammelt ihr von gefallenen Gegnern, aus Abfallhaufen und Containern - unglaublich, was die Leute auf dem Mars trotz Rohstoffknappheit alles wegwerfen. Wer sich geschickt anstellt, rennt allzeit als Selbstversorger über den roten Planeten.
Der kreisrunde Fertigkeitenbaum mit mehreren Rängen unterscheidet zwischen 'Kampf', 'Abtrünniger' (Stealth) und 'Technomantie'.
Um einen Feind bis auf den letzten Tropfen von der allgemeingültigen Währung "Fluid" zu entleeren, könnt ihr übrigens eine Art Spritze ansetzen, und gebt ihm damit nach dem Kampf den Rest ('Tankgirl' lässt grüßen). Tut ihr das nicht, bleiben die Feinde nur benommen liegen - sind also nicht tot. Macht spielerisch zwar keinen Unterschied, wird aber immerhin von einigen NPCs lobend erwähnt und verbessert euren Ruf. Das ähnelt dem Paragon-Renegade-System in Mass Effect und spendiert euch ein paar zusätzliche Boni und Händler-Discounts. Wer hingegen alle Feinde ins Jenseits schickt, bekommt Schadensboni, wird aber im Gespräch öfter mal geschnitten.
Ich fand Mars: War Logs in einem Wort: "Meh". Schade, dass man die vielen guten Ansätze zwar erkennt, deren Umsetzung jedoch oft auf halber Strecke stecken geblieben ist. Vor allem um die Hintergrundgeschichte ist es schade - das Mars-Szenario hätte definitiv genug Potenzial für ein eigenständiges Franchise. Ansonsten kann man ein paar Stunden Spaß aus dem Titel herausholen, doch viele seiner Unzulänglichkeiten lassen sich nicht einmal mit gutem Willen kaschieren. Über Durchschnittsniveau kommt das Cyberpunk-RPG nicht hinaus, wobei noch am ehesten das Kampfsystem zu überzeugen weiß. Selbst von einem kleinen Entwicklerstudio darf man heutzutage mehr erwarten - auch wenn der Titel nur ein Taschengeld kostet.