Mass Effect: Andromeda - Aufbruch zu neuen Welten
Lost, in Space
Mass Effect: Andromeda wird ein Reboot, der die Philosophie der Reihe weiterträgt. Es ist schon ein mutiger Schritt, den großen Charakteren der Reihe Lebewohl zu sagen und das neue Kapitel in einer komplett anderen Galaxie ansetzen zu lassen. Bioware wollte nicht einfach nur die Flucht vor den Reapern zum Hauptthema machen, stattdessen wählen die Kanadier mit 2185 einen Zeitpunkt, in dem Asari, Salarianer, Turianer, Kroganer und Menschen in wirtschaftlicher Sicherheit leben, sich aber die Frage stellen, was danach kommt und was da draußen noch so wartet. Weniger von Furcht und Nöten getrieben, mehr aus Entdeckerdrang bauen sie vier gigantische Archen, versetzen tausende Freiwillige in einen Kryoschlaf und schicken sie auf die Reise. Doch es kommt so, wie es kommen muss: Auf der anderen Seite der Wiese ist das Gras auch nicht grüner, sondern die Umgebung lebensfeindlich und es bricht ein Kampf um die besten Plätze aus. Allzu tief wollte sich Bioware in Los Angeles noch nicht in die Karten schauen lassen, doch der Ansatz ist spannend: Wir sind dieses Mal kein Elitesoldat, der anderen Spezies Dienste erweisen muss, um sie für die finale Schlacht zu mobilisieren.
Als Pathfinder sind wir lediglich der Anführer einen kleinen Gruppe, die zwar durchaus militärisch ausgebildet wurde, aber eher aus Wissenschaftlern und Diplomaten besteht, für die Krieg nur eine Option, aber kein Muss ist. Und es sind auch nicht die Menschen, die hier zwingend den Ton angeben. Die Kroganer sind uns mit einer hochgerüsteten Armee aus schwer gepanzerten Truppen recht offensichtlich überlegen und spielen sich zumindest in der Demo als herrschende Fraktion auf. Wenn mehrere, sehr unterschiedlich denkende Spezies sich um die Vorherrschaft streiten, dann ist Stress vorprogrammiert. Manchmal ist es dann doch besser, als Ryder (ihr entscheidet zwischen Sarah und Scott, die Geschwister sind) den eigenen Frust runterzuschlucken und lieber in Detektivarbeit den Mord an einem Kroganer aufzudecken, anstatt direkt die Bellatrix 7 Assault Rifle zu zücken. Die Geschichte scheint sich in Richtung der TV-Serie Lost zu bewegen und um die Macht des Stärkeren im Überlebenskampf zu drehen. Zudem der Chefautor seine Protagonisten mit "noch ein bisschen grün hinter den Ohren" bezeichnet, also nicht gerade Typus Shepard. Spannend!
Bioware hat sich ganz offensichtlich bei den Titanfall-2-Jungs abgeschaut, wie ein guter Kampagnen-Shooter auszusehen hat, schmeißt das völlig altbackene Leveldesign aus Mass Effect 3 über Bord und wächst in die Vertikale. Schließlich war das Leveldesign gerade im letzten Ableger einer der größten Schwachpunkte: Viele sich ähnelnde Gänge und immer wieder zu Arenen formierte Militärbasen, in denen allzu offensichtlich Brücken nur für Scharfschützen gebaut wurden und Stahlkisten immer genauso im Raum platziert wurden, dass sie optimale Deckung boten. Andromeda hingegen entwickelt sich stärker Richtung Open-World und spielt mit unterschiedlichen Etagen, die das Gameplay signifikant aufwerten. Stark gepanzerte Hydra-Mechs überrennen eure Position? Jetpack starten, auf den nahe gelegenen Turm katapultieren, im Flug mit der Energieklinge den Sniper dort eliminieren und schon habt ihr binnen einer Sekunde genug Distanz zwischen euch und den Feind gebracht, um größere Kaliber aufzuladen oder eure Energie zu regenerieren.
Ein Aspekt, der insbesondere diese Reihe bereichert, schließlich hilft es enorm das Schlachtfeld von oben zu sehen, um seine Teammitglieder in bessere Schussposition zu bringen, Todeszonen aufzubauen oder Kombos zu planen. Ob sich das richtig gut anfühlt und spielt, lässt sich noch nicht beurteilen, dafür müsste ich erst selbst für etliche Stunden ran ans Gamepad. Aber die Richtung gefällt: Ihr könnt schleichen und euch sehr klassisch von Deckung zu Deckung vorarbeiten, aber auch dank Jetpack das Tempo hochdrehen, mit Überraschungsattacken besonders starke Gegner lahmlegen oder mal schnell einem Sniper durch die Panzerung schneiden, bevor der eure Jungs und Ladies aufs Korn nimmt. Etwas skeptisch bin ich noch ob der strategischen Tiefe, denn Kommandos werden jetzt per Echtzeit gegeben - eine Abkehr des ME3-Systems, wo man in der Regel pausierte und jede Aktion seines Squads minutiös planen durfte. Aber wer weiß, es war schließlich die erste richtige Gameplay-Demo.
Und es sieht verdammt gut aus: Zwar gab's während der Präsentation in L.A. noch den einen oder anderen Wackelkandidaten in Sachen Gesichtsanimationen und insbesondere Sarah Ryder wirkte, als hätte sie beim Hollywood-Doc zu viel Botox gespritzt, aber die generelle Präsentation ist erstklassig: Extrem scharfe Texturen - egal ob bei den Gelenken des Anzugs, den Waffen oder der Umgebung - treffen auf wuchtige Partikeleffekte und insgesamt sehr stimmige Areale. Zerstörungsphysik haben wir zwar noch keine gesehen, inszenatorisch dürfte Andromeda bei Release aber auf Niveau von Battlefield 1 laufen.
Mass Effect: Andromeda ist sicherlich das Überraschungsei des Jahres 2017, denn noch gibt's ohne Ende Fragen. Laut der Coverstory des GameInformer verabschiedet sich Bioware vom Klassensystem und arbeitet mit offener Punkteverteilung. Wer einen Allrounder aus Tech, Combat und Biotic basteln will, der ist jetzt herzlich dazu eingeladen. Erst ab einer bestimmten Punktanzahl werden Spezialisten wie Infiltrator, Sentinel, Vanguard und Adept freigeschaltet. Die Tiefe des Rollenspielsystems war auf dem Termin in L.A. noch kein Thema, da dürfte es bald ein Update geben. Das Gameplay an sich macht aber einen guten und überlegten Eindruck: Es hat die nötige taktische Würze, weil die Kämpfe ganz schön fordernd und Zwischenbosse ohne Kombos nicht zu knacken sind. Sieht aber auch zackig und griffig aus, gerade das Jetpack verwandelt das sehr gemächliche Gameplay der Vorgänger in einen moderneren und echt schicken Third-Person-Shooter.