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Massenware von der Stange: Warum mehr Freiheiten MMOs gut tun würden - Kommentar

Vor langer Zeit zeigte ein MMO in einer weit, weit entfernten Galaxis, wie man es richtig macht.

Ex-WoW-Entwickler Mark Kern hat es in dieser Woche ziemlich gut auf den Punkt gebracht: Das MMO-Genre ist tot. Zumindest in der Form, wie man es früher kannte und liebte, als das alles noch Nischenprodukte für Hardcore-Gamer waren. Leute, die schon mal viele, viele Stunden lang - mitunter sogar mehrere Tage - vor dem Bildschirm campierten, nur um auf den Respawn eines Bossgegners zu warten, den sie dann gleich wieder ins virtuelle Jenseits beförderten.

Eines wie das andere

Kern hat absolut recht, wenn er sagt, dass man im Grunde immer das Gleiche spielt. Egal ob World of WarCraft, Star Wars: The Old Republic, Star Trek Online, TERA, Aion und wie sie alle heißen ... So ziemlich alle wirken mittlerweile schlicht und ergreifend austauschbar. Entfernt man die Spielwelt, bleibt unter der Oberfläche stets der gleiche Aufbau: Ihr kämpft euch geradlinig von Level 1 hoch bis zur letzten Stufe. Und dann arbeitet ihr stumpf bis ans Ende aller Tage immer und immer wieder Dungeon um Dungeon und Raid um Raid ab. Soll das die Zukunft der MMOs sein? Wenn ja, dann kann ich Kern eigentlich nur zustimmen: Das Genre ist tot.

Und da wundert es mich auch nicht mehr wirklich, wenn immer weniger Leute bereit sind, für ein MMO-Abo zu bezahlen. Grundsätzlich möchte ich das als Kunde ja auch. Ich bin bereit, monatlich eine Gebühr für ein MMO abzudrücken. Nur: Das Spiel muss es auch wert sein. Doch genau dieses Gefühl vermittelt mir das x-te neue MMO, das einfach nur World of WarCraft nacheifert, schlicht und ergreifend nicht mehr. Und der Free-to-play-Trend zeigt doch auf erschreckende Art und Weise, dass es vielen ähnlich geht. Dass man trotzdem Erfolg haben kann, ohne ein WoW-Klon zu sein, beweist ja zum Beispiel das seit zehn Jahren mit einem Abo-Modell laufende EVE Online.

"Da wundert es mich auch nicht mehr wirklich, wenn immer weniger Leute bereit sind, für ein MMO-Abo zu bezahlen."

Moderne MMOs reduzieren sich meist ausschließlich auf die Kämpfe.

Schon jetzt verleiten mich die meisten MMOs, die ich ausprobiere, gar nicht mehr dazu, einen Charakter überhaupt bis zur höchstmöglichen Stufe zu spielen. Eben deswegen, weil sich eines wie das andere anfühlt. Obwohl ich also zum Beispiel gerade mal meine ersten Stunden in TERA verbringe, habe ich doch den Eindruck, schon wieder das Gleiche wie in den zehn anderen MMOs zuvor zu machen. Töte X von was auch immer, sammle dies, bringe das dorthin und so weiter. Nach einigen Stunden stellt sich bei mir diese Monotonie ein, ich quäle mich noch ein paar Level weiter, aber gebe dann auf. Andere Genres entwickeln sich weiter, auch wenn es meist das eine oder andere Jährchen dauert, doch bei den MMOs habe ich seit vielen Jahren das Gefühl, dass einfach alles nur noch stagniert und nicht mal wirklich die Bereitschaft vonseiten der Entwickler erkennbar ist, daran irgendetwas zu ändern.

Niemand versucht mehr irgendetwas Innovatives oder zumindest nicht viel - dank der Dialoge interessiert mich wenigstens die Story in The Old Republic mehr als sonstwo - und jeder will einfach nur sein eigenes World of WarCraft haben. Seinen Goldesel, der Millionen von Spielern anzieht und den Rubel rollen lässt. Wäre es da nicht ironisch, wenn Blizzard selbst mit seinem geplanten MMO-Projekt Titan das Genre auf die nächste Evolutionsstufe befördert? Doch bis dahin wird es noch Jahre dauern. Und in der Zwischenzeit ist nicht wirklich Besserung am Horizont in Sicht.

Weniger Casual, mehr Hardcore, mehr Freiheit

Wie Kern richtig erkennt, liegt es vor allem auch an der Einsteigerfreundlichkeit, dass mich die heutigen MMOs nicht mehr wirklich vor große Herausforderungen stellen oder meine Abenteuerlust fördern. Nichts gegen Einsteigerfreundlichkeit an sich, aber das geht auch auf andere Art und Weise, ohne dem Spieler alles gleich automatisch vor die Nase zu halten. Wie auf Schienen wird man heute durch die Welt gezogen. Reise zu Punkt A, erledige dort deine Aufgaben, kehre zum Questgeber zurück, der dir dann ein paar neue Missionen gibt oder dich an den nächsten Questgeber verweist. Das alles ist von vorne bis hinten ganz genau durchgeplant.

"Genau das ist es doch, warum ich ein MMO spiele. Ich möchte in eine fremde Welt eintauchen, sie für mich entdecken - auf freien Bahnen."

Beispiele für Dekorationen in Star Wars Galaxies.

Und die Welt dazwischen? Nun, die sollte eigentlich auch ziemlich interessant sein. Genau das ist es doch, warum ich ein MMO spiele. Ich möchte in eine fremde Welt eintauchen, sie für mich entdecken - auf freien Bahnen. Nur bleibt dazu eigentlich gar keine Zeit mehr oder es gibt keinen Grund dazu. In den meisten Spielen seid ihr doch relativ eingeengt - fast schon wie in einem Offline-RPG - und wenn ihr mal ein wenig zur Seite ausweicht, findet sich dort wenig Lohnenswertes. Aber genau dazu sollten uns die Entwickler doch eigentlich ermutigen. Erkundet diese Welt, findet all die feinen Details, die wir in mühevoller Kleinarbeit versteckt haben! Was man dann von Entwicklerseite natürlich erst einmal entsprechend umsetzen müsste. Ich vermisse die Zeiten, in denen ich in einem Star Wars Galaxies einfach mal so von einem Ende der riesigen Planeten-Map zum anderen fahren konnte und hier und da ein interessantes Fleckchen entdeckte, das gar nicht auf der Karte markiert war. Je nach Planet und Mount war man da schon mal locker bis zu 20 Minuten und mehr unterwegs.

Es gibt mehr als Kämpfe

Star Wars Galaxies war ein 2003 veröffentlichtes Sandbox-MMO und unterschied sich deutlich von der heutigen MMO-Masse, so wie es zum Beispiel auch schon Ultima Online davor tat. Und genau das war es, was mich daran - neben anderen Dingen - so begeistert hat. Zumindest vor dem in MMO-Kreisen legendären NGE-Update, das Sony Online Entertainment gefühlt mehr als die Hälfte seiner Community kostete. Keine Enge, keine Korridore, sondern sehr, sehr viel Platz. Freiraum für die Spieler, um auch ihre eigenen (Rollenspiel-)Geschichten zu erzählen. Und dieser Platz war auch für ein weiteres relativ einzigartiges Feature bitter nötig: Spielerstädte. Es war stets ein mehr als befriedigendes Gefühl, in die eigene, über viele Monate hinweg aufgebaute Stadt und zu seinem Haus zurückzukehren. Endlich die Stadtgröße zu erreichen, die nötig war, um einen eigenen Shuttleport zu bekommen. Ein wichtiger Faktor, wenn man gut und schnell erreichbar sein wollte. Und unter den Einwohnern konnte man stets dieses Gemeinschaftsgefühl spüren, fast schon wie in einer richtigen Nachbarschaft. In einem The Old Republic teile ich mir die Welt hingegen einfach nur mit vielen anderen und muss mich gar nicht großartig um sie kümmern. Und mein Spielerschiff bleibt auch unverändert. Trophäen? Auszeichnungen? Gibt's nur in Form eines Titels oder Eintrags im Menü.

"Beim Anblick heutiger MMOs würde Star Wars Galaxies wohl im Grab rotieren."

Wer in SWG Crafter werden wollte, musste sich mit der Materie vertraut machen, viel Zeit und Ingame-Geld investieren.

Das Housing war in SWG nicht nur ein schmuckes Beiwerk, sondern verleitete so manchen Spieler dazu, regelrecht kleine Kunstwerke mit seiner Dekoration zu verwirklichen. Und das in stunden-, manchmal auch tagelanger Detailarbeit. Dazu die Möglichkeit, sich eigene Shops mit NPC-Verkäufern einzurichten und sein eigenes Geschäft mit eigenen oder gelooteten Waren hochzuziehen. Oder man verkaufte für andere Leute etwas, ging Partnerschaften ein. Es gab ganze Crafter-Gilden, die sich alleine auf diesen Aspekt konzentrierten. Oder reine Entertainer(-Gilden), die für die Buffs im Spiel verantwortlich waren. Mittlerweile ist so etwas traurigerweise so gut wie undenkbar. Es muss alles schnell gehen. Beim Anblick heutiger MMOs würde Star Wars Galaxies wohl im Grab rotieren, denn auch deren Crafting-System ist ziemlich simpel: Finde, kaufe oder loote die nötigen Teile, stecke sie in die passenden Slots und fertig. Jeder hat identische Waffen mit identischen Stats. Langweilig! Es wäre so viel mehr möglich.

Ein eigenes Spiel

Damals konnte ich mich in SWG gar stundenlang mit meinem Crafter-Charakter beschäftigen, ohne dass es uninteressant wurde oder dass ich dabei einen einzigen Kampf bestreiten musste. Es war fast schon ein eigenes, sehr komplexes Spiel für sich. Hier wurde man nur in der Theorie mal eben schnell zum Hersteller von Items, in der Praxis brauchte es Zeit, Geld und Ressourcen, um sich wirklich in die Top-Riege der Crafter auf einem Server einreihen zu können - aber vor allem auch den Willen dazu und die Motivation. Das lag unter anderem an den vielen verschiedenen Ressourcen, die kontinuierlich alle paar Wochen - je nach Rohstoff unterschiedlich - in neuen Varianten spawnten und ihrerseits nochmal über jeweils rund acht eigene Stats verfügten. Brauchte eine Waffe also zum Beispiel vier unterschiedliche Ressourcen, beeinflussten meistens jeweils zwei Stats eines Rohstoffs die finalen Werte der Waffe - zusätzlich zu gelooteten oder gecrafteten Gegenständen zur weiteren Verbesserung der Eigenschaften. Obendrein waren die Crafter für die Herstellung von so ziemlich allen wichtigen Waffen und Rüstungen im Spiel verantwortlich - jedenfalls in den Anfangsjahren - und somit ein extrem wichtiger Bestandteil des Tagesgeschäfts. Ohne Crafter lief nicht viel.

"Es brauchte Zeit, Geld und Ressourcen, um sich wirklich in die Top-Riege der Crafter auf einem Server einreihen zu können - aber vor allem auch den Willen dazu und die Motivation."

Im Gegensatz dazu: Das simple und anspruchslose Crafting in The Old Republic.

Aber man hatte genau dadurch selbst als Crafter ein solch unglaubliches Erfolgsgefühl, wenn man bereit war, die nötige Zeit zu investieren. Und das ist nicht einfach so daher gesagt. Es konnte gut und gerne schon mal ein oder mehrere Jahre dauern, bis von einem spezifischen Rohstoff mal wieder eine richtig gute Variante spawnte, mit der man seine hergestellten Waffen noch ein wenig mehr pushen, das Letzte beziehungsweise noch ein paar Schadenspunkte mehr oder eine schnellere Schussgeschwindigkeit aus ihnen herausholen konnte. Echte Erfolgserlebnisse eben, die mir den Eindruck vermittelten, dass sich meine investierte Zeit wirklich gelohnt hat.

Es war natürlich ebenso sehr ein wenig Glücksspiel mit dabei, doch das war auch einer der unterhaltsamen Faktoren daran. Es lief eben nicht immer alles nach Plan, man musste sich Ersatzrohstoffe beschaffen, mit anderen Spielern gute Preise oder Deals aushandeln, falls diese noch irgendwelche Reserven hatten. Handel und Crafting hatten in Star Wars Galaxies ihre ganz eigene Dynamik, ihren ganz eigenen Reiz. Heute ist das alles nur noch simple Routine. Bloß nicht zu viel Zeit damit verschwenden und alles vekaufenswerte schnell ins Auktionshaus werfen, es könnte die Spieler ja von den immer gleichen und auf Dauer ermüdenden Kämpfen abhalten.

Eine Spielerstadt auf Tatooine.

Was nicht heißen soll, dass Star Wars Galaxies perfekt war, oder dass Sandbox-MMOs per se ein Patentrezept für die Rettung des Genres wären. Doch es zeigt einen deutlichen Unterschied zu den aktuellen MMOs: In SWG ging es mehr um die Spieler an sich als um irgendetwas anderes. Und sie waren auch bereit, für das alles mit fortwährenden Bugs zu leben. Das Spiel war schon vor zehn Jahren sozialer als alles, was man heutzutage versucht, mit neuen Social-Features zu erreichen. Ich hätte mir zwar über die Jahre hinweg mehr und interessantere Quests gewünscht, mehr Items und mehr Content, doch im Grunde ist es das perfekte Beispiel dafür, was man mit einem MMO alles richtig machen kann (Sandbox, Freiheiten, komplexes, lohnenswertes Crafting, Housing, Spielerstädte), aber gleichermaßen zeigte es auch, was so richtig schieflaufen kann. Erst die Vercasualisierung des Spiels - neun feste Charakterklassen statt freier Punkteverteilung auf 34 Berufszweige, Veränderungen hin zum Schlechten beim Kampf und Crafting - nach dem Vorbild der erfolgreichen Konkurrenz hat ihm das Genick gebrochen. Und so wird es beim Genre ebenfalls sein, wenn sich nichts ändert.

Eigentlich ist das ein recht deutliches, warnendes Beispiel, aus dem aber offensichtlich noch niemand so wirklich etwas gelernt hat. Ich würde jedenfalls jedes einzelne der heutigen MMOs sofort gegen eine Neuauflage oder eine Fortsetzung des ursprünglichen SWG eintauschen. Und das spricht nicht wirklich für die Entwicklung des Genres in den letzten Jahren. Die Zeit ist reif für einen Umschwung. Für mehr Individualität. Und mehr Freiheiten. Ansonsten ist es für mich wiederum an der Zeit, dem kompletten Genre in einigen Jahren endgültig den Rücken zuzukehren.

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Benjamin Jakobs Avatar
Benjamin Jakobs ist Leitender Redakteur, seit 2006 bei Eurogamer.de und schreibt News, Reviews, Meinungen, Artikel und Tipps.
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