Max Payne 3 - Test - Die Wertung
Von der Open-World an die Open Bar: Rockstar trifft den Geist der Zeit ebenso wie den des Originals.
Elegant ist vor allem auch nicht der Stil - aber in diesem Fall ist das zur Abwechslung mal ein Kompliment. In den häufig recht langen und gut gespielten Zwischensequenzen liegen die drastischen Farbfilter, Bildverfälschungen und Worteinblendungen fast schon im Clinch mit den opulent ausgestatteten Spielumgebungen. Hier wird Max' von Suff und Pillen verzerrte Wahrnehmung vielleicht nicht hübsch, aber dafür wirkungsvoll an den Spieler weitergegeben. Es ist natürlich eine Geschmacksfrage, ob man diese Darstellungsform als Ersatz für die Comics beider Vorgänger akzeptiert. Mir gefiel daran vor allem der nahtlose Übergang zwischen Film und Spiel, der zugleich auch die Ladezeiten geschickt kaschiert. An dieser Stelle auch ein Lob an die Band Health, die einen exzellenten Sphärenteppich liefern und gegen Ende sogar einen veritablen Ohrwurm über eines der härtesten Gefechte des Titels legen. Mehr Spiele-Hersteller sollten kleinere Independent Acts mit der Vertonung ihrer Produkte betrauen.
Die Geschichte selbst ist gut in Szene gesetzt und hält mit lebhaften Dia- und Monologen und einer farbenfrohen, unverbrauchten Umgebung problemlos das Interesse. Wie so oft stehen Vertrauen, Betrug und Korruption im Zentrum des Erlebnisses, wenngleich die fähigen Autoren ein bisschen in die Falle tappen, ihre Geschichte zu clever konstruieren zu wollen. Wer nicht aufpasst, verliert genau wie Max den Überblick über all die Fraktionen, Akteure sowie deren kleine Deals und Dolchstöße. Das geht so weit, dass man sich am Ende nicht unbedingt sicher ist, was eigentlich noch auf dem Spiel steht und was das Ausgangsproblem der entführten Ehefrau mit der Situation zu tun hat, die man am Ende vorfindet.
Bindungen zu anderen Figuren baut Max zudem kaum auf, was eine entsprechend starke Nemesis vielleicht am besten ausgekontert hätte. Die bleibt allerdings lange im Dunkeln, was letzten Endes dazu führt, dass man die letzte Kugel eher aus Idealismus im Endgegner versenkt, als aus wirklichem Hass, wie ihn die besten aller Bosse provozieren. Aber wie gesagt: Interessant zu einem gewissen Grad auch packend erzählt ist es allemal, zudem recht eindrucksvoll wie bitter das Ganze an einigen Stellen wird, auch wenn ihm in seiner auf Grauzonen bedachten Schachtelstruktur ein bisschen das persönliche Drama der Vorgänger abgeht.
Ansonsten ist es eigentlich nur eine Kinderhand voll Kleinigkeiten, die während des überaus unterhaltsamen und derben Spektakels ab und an irritieren. Wie etwa Max' Angewohnheit, nach einem Sprung nach rechts grundsätzlich über die linke Schulter zu zielen. Das ist nachvollziehbar, weil er sich zuvor immerhin auf die rechte Seite warf, sorgte bei mir aber immer für das Bedürfnis, die Spielfigur mit dem Steuerkreuz wieder in die linke Bildhälfte zu bugsieren. Ebenso gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass Max in den vielen Zwischensequenzen immer eine Pistole zur Hand nimmt. Wenn ihr vorher aber ein Gewehr in der Hand hattet und das auch weiter zu Nutzen gedenkt, müsst ihr nach dem Filmchen manuell wieder zu dem größeren Kaliber wechseln, was hier und da eine wertvolle Sekunde kostet.
Manche Rücksetzpunkte waren für meinen Geschmack überdies zu weit auseinander, weshalb ich einige Stellen, die ich zuvor schon mit Bravour gemeistert hatte, noch einmal spielen musste. Schade auch, dass die wenigen Waffenaufsätze nahezu sinnlos bleiben. Die Taschenlampe am Sturmgewehr wird nicht benötigt, der Laserpointer ist in der Hitze des Gefechts schlechter zu sehen als die Default-Zielmarkierung (und verzieht sogar noch mehr!) und die zwei Schalldämpfer im Spiel dienen mangels eines echten Stealth-Systems auch eher als dekoratives Accessoire. Das Spiel setzt zu keinem Zeitpunkt auf diese (abschaltbaren) Gimmicks, ein bisschen seltsam ist es trotzdem. Dazu kommen einige kleinere Bugs, die euch nach dem Verkaufsstart des Spiels nicht mehr treffen müssen, hier aber dennoch nicht unerwähnt bleiben sollen. An einer Stelle sah ich den Level "von unten", weil ich per Shootdodge aus ihm heraussprang, in einer Zwischensequenz passte eine Waffe nicht in Max Hand, in einer anderen trug er in dieser gleich zwei. Kleinigkeiten, sicher.
Ansonsten macht der Titel optisch und technisch einen verdammt ausgereiften Eindruck. Wie von Rockstar gewohnt, sind Charaktergrafiken, -Vertonung und Ausgestaltung der Level auf höchstem Level. Die Gesichter erreichen nicht ganz die Bewegtheit vergangener Naughty-Dog-Titel, genügen aber dennoch auch gehobenen Ansprüchen. Die Bildrate der getesteten 360-Version blieb jederzeit stabil, ohne dass ich Tearing ausgemacht hätte.
Und dann wäre da ja noch der Mehrspieler-Part, von dem viele Fans im Vorfeld dachten, sie würden ihn nicht brauchen. Jeder, der nicht zu stur ist, um von dieser Position abzurücken, stellt dabei schon nach wenigen Runden fest, dass das hier eine verdammt solide und von der guten Sorte hektische Angelegenheit ist. Zudem eine, die es sogar schafft, das Bullet-Time-Feature sinnvoll in eine Mehrspieler-Arena zu integrieren. Ganz nebenbei wird mit der breiten Palette interessanter und dynamischer Spiel-Modi, wie zum Beispiel Gang Wars oder Payne Killer, sogar noch etwas von der Abwechslung nachgereicht, die Max auf seinem Feldzug gegen Banden und Korruption nicht immer im Blick hat. Und wem nicht nach geselliger Ballerei ist, der absolviert Einzelabschnitte des Hauptspiels in der New York-Minute oder in der Score-Attack nochmal in motivierender Arcade-Manier mit dem Highscore im Visier. Alles in allem ergänzen diese Nebenschlachtfelder gekonnt ein erlebenswertes, hartes Abenteuer zu einem schön dicken Paket Spiel.
Wenn man mal darüber nachdenkt, wie viele Zeitlupen-Nachahmer im Fahrwasser von Max Payne um die Jahrtausendwende auf den Mark gespült wurden, ist es schon ziemlich beachtlich, wie sehr das Beinahe-Sub-Genre verlangsamter Schießereien in den vergangenen Jahren in sich zusammengefallen ist. Und dann spielt man Max Payne 3 und erinnert sich daran, dass es nie jemand so gut hinbekommen hat, wie der glücklose Lederjackenträger aus New Jersey. Es ist unwahrscheinlich, dass es Rockstar mit diesem Comeback gelingt, ein zweites Mal einen derartigen Trend auszulösen. Das Spiel ist weder so wegweisend wie der erste Teil, noch so packend erzählt wie der zweite, und ein paar Details sorgen in etwa für den Blick, den Max in seinem Debüt so unbeirrbar spazieren trug. Aber das hier ist dennoch die Sorte blutiger "Willkommen-Zurück"-Party, auf der es sich aufzukreuzen lohnt.
Ein maßlos brutales Stück ehrfürchtig gefeierter Slo-Mo-Gewalt, das zeigt, dass Max auch mit Bauchansatz und grauen Schläfen noch den meisten jungen Wilden der neuen Generation mühelos einen bleihaltigen Einlauf verpasst.