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Max Payne 3 - Vorschau

Blut, Rotz und Scherben

So langsam wird es tatsächlich fertig. Ging zuletzt dann gefühlt doch irgendwie recht schnell. Konnte ich Rockstar bei meinem Erstkontakt mit Max Payne 3 im letzten Oktober in Bezug auf die Spielbarkeit des Titels nur beim Wort nehmen, durfte ich am vergangenen Montag in einer Berliner Hotelsuite am eigenen Leib erfahren, dass Max Payne noch der alte ist.

Genau genommen ist er sogar noch älter. Gleich die erste Zwischensequenz, als Max zusammen mit den schwerreichen Brüdern Branco berät, wie mit den Kidnappern der Frau Rodrigo Brancos zu verfahren sei, verrät es: Die Krähenfüße um die Augen, die zerfurchte Stirn und das eine oder andere graue Haar zeichnen ein Bild von einem Hauptdarsteller, zu dem die vergangenen acht Jahre seit dem letzten Teil nicht gut gewesen sind. Nun steht er hier, in einem Penthouse in Sao Paulo und hat schon kurz nach Jobantritt als Personenschützer des Immobilienhais versagt. Die schöne, junge Fabiana ist in den Fängen einer Bande.

Gut zu sehen, dass Max immer noch meilenweit vom gestriegelten und gut gekleideten Helden-Ideal anderer Videospiele entfernt ist. Er selbst würde vermutlich sagen, das Pech hafte ihm an wie der süßlich-rauchige Muff der Bars, in denen er sich vor seinem Umzug von Hoboken, New Jersey, nach Brasilien die Nächte mit Ketamin und zu vielen Bourbons um die Ohren schlug. Max war schon immer zur falschen Zeit am falschen Ort - aber er war stets der richtige Mann dafür. Um die Situation wieder zu kitten, erklären also er und sein Kumpel Raul Passos, der ihn zu diesem Berufswechsel überhaupt erst bewegt hat, sich dazu bereit, den Kidnappern die geforderten drei Millionen Dollar Lösegeld in einem Fußballstadion zu übergeben. Klar, dass auch das schiefgeht, denn eine schwerbewaffnete dritte Partei schaltet sich ein und eröffnet während der Übergabe das Feuer. Wer hat da geplaudert?

"Ganz wie damals, nur sehr viel lebensechter animiert und deutlich hübscher, entwickeln sich hier hochdynamische Gefechte in John-Woo-Manier, die vielleicht nicht realistisch, dafür aber umso packender sind."

Meinen ersten Beitrag zum Spiel leiste ich, kurz nachdem der spannend inszenierte Deal - Max spricht kein Wort Portugiesisch - durch einen Scharfschützen gesprengt wird. Der Neu-Bodyguard ist angeschossen und die überlebenden Entführer haben panisch mit der randvoll mit Scheinen gefüllten Sporttasche Reißaus genommen. Raul geleitet Max in die Krankenstation der Sportstätte, wo er den stark blutenden Schmerzmittel-Junkie notdürftig flickt und wieder kampfbereit macht. Was folgt, ist eine kopflose Verfolgungsjagd in den Eingeweiden einer düsteren Sportarena, bei der nie so richtig klar ist, wer eigentlich hinter wem her ist. Max und Raul müssen irgendwie den Entführern klarmachen, dass nicht sie es zu verantworten haben, dass der ernst gemeinte Versuch einer Übergabe mit durchgeixten Augen und einem Loch im Kopf im satten Grün des Fußballplatzes darniederliegt. Sie interessieren sich für nichts anderes als Fabianas Aufenthaltsort - und um den zu erfahren, müssen sie die verbliebenen Gangmitglieder vor dem Killerkommando in die Finger bekommen.

Das erledigt ihr in bekannter Max-Payne-Manier auf Wunsch auch im Dual-Wield-Betrieb mit zwei unterschiedlichen Faustfeuerwaffen und maximal einem Gewehr. Trotz des neuen Deckungssystems, bei dem sich Max an Wände, Pfeiler und Tresen anlehnt, versprüht das Spielgeschehen einmal mehr die typische Dynamik des ehemaligen Remedy-Franchises. Duck-and-Cover-Artisten, die immer nur unter Mithilfe der fulminanten Bullet-Time aus ihrem Versteck hervorschnappen, um einzelnen Gegnern die Stirn zu perforieren, bekommen schnell die Quittung. Die Feinde agieren meist in deutlicher Überzahl, bewegen sich gut und nutzen das gesamte Schlachtfeld. Das erschwert es in seiner Detailfreude überdies, die Übersicht über die Situation zu behalten. Nein, Max ist derjenige, von dem die Initiative ausgehen muss, sonst sieht man auch auf dem normalen Schwierigkeitsgrad und selbst mit Zeitlupenbonus noch regelmäßig eine unschön verdrehte Ragdoll des bekanntesten Hard-Boiled-Pechvogels der Spielegeschichte.

Dass sich daran trotz der vermeintlichen Sicherheit der Deckung bis heute nichts geändert hat, ist die schönste Erkenntnis, die ich mir für die Hands-On-Sitzung mit dem Spiel hätte wünschen können. Ganz wie damals, nur sehr viel lebensechter animiert und deutlich hübscher, entwickeln sich hier hochdynamische Gefechte in John-Woo-Manier, die vielleicht nicht realistisch, dafür aber umso packender sind. Neu ist unter anderem, dass Max bei kritischen Treffern durch einen bestimmten Gegner so herumgerissen wird, dass die Bullet-Time automatisch anspringt, während das Fadenkreuz euch einen Wink gibt, wer der Übeltäter war. Nun habt ihr wenige Sekunden, einen nachträglichen Rettungsschuss auf ihn abzugeben. Gelingt euch kein tödlicher Treffer, bevor der Ex-Cop auf dem Boden aufschlägt, suppen ihm Momente später all die leckeren Pillen und hochprozentigen Drinks aus den Löchern in seinem Leib.

"Da Max in jedem der beiden nächtlichen Levels, die ich am Montag anspielte, noch sein volles Haupthaar mit Blut, Putz und Holzsplittern besudelte, ist auch der befürchtete Bruch zwischen dem Remedy-Sohn und dem Neu-Rockstar - zumindest für mich - kein wirkliches Thema mehr."

Max Payne 3 - Trailer

Allgemein entsteht durch derartige Details ganz wie von selbst eine ungescriptete und natürliche Gefechtschoreografie, die schon das Zuschauen zu einer echten Freude macht. Speziell die exzellenten Bewegungsabläufe, die auf Basis der Euphoria-Engine Projektileinschläge mit einer bisher ungekannt derben Wucht simuliert und gerade in Zeitlupe besonders dramatisch wirken, tun einiges für die visuelle Seite des Erlebnisses. Wenn sich Max beinahe in der Luft stehend mit dem Gesicht zuerst durch ein Schaufenster in einen Raum voller Verbrecher wirft und bereits im Flug die halbe Gang dezimiert, dann möchte man nirgendwo anders sein. Selbst auf dem Boden liegend und in der Rolle noch feuert man weiter - wobei man fast die feinen Glassplitter spüren kann, die sich Max zweifellos gerade in die Schultern drücken -, um nicht wertvolle Sekundenbruchteile mit dem Aufstehen zu verschwenden. Auch das bereits erwähnte, bewegte Gegnerverhalten spielt dem Schaufaktor des Titels in die Karten. Oft erschrecken Feinde, wenn Max in einer ruhigen Situation auf einmal um die Ecke tritt, manche rappeln sich nach einem tödlichen Treffer doch noch wieder auf, um ein paar Schüsse abzugeben - und wenig später doch noch ihren Verletzungen zu erliegen.

Obwohl das Spiel wirklich nicht allzu leicht ist, gibt man sich ihm letzten Endes aber doch in erster Linie hin, um in den Kämpfen möglichst gut auszusehen. Dabei hilft nicht zuletzt der organische Verlauf der bisher recht abwechslungsreich wirkenden Levels, die einem regelmäßig und trotz aller Zeitlupensprünge einen Treppenabsatz hinunter noch diese authentische Konsistenz eines typischen Michael-Mann-Shootouts liefern. Die Umgebungen fühlen sich ziemlich genau so an, wie es IO Interactive wohl mit den beiden Kane-&-Lynch-Ausgaben gerne hinbekommen hätte. Es war zwar noch etwas gewöhnungsbedürftig, wenn man zufällig die Bullet-Time vor einem angedachten Richtungswechsel aktivierte, weil Max' Beine euren Eingaben nicht ganz so schnell folgen wie das Fadenkreuz, doch daran gewöhnt man sich sicherlich.

Ein paar Mal sah ich zudem ein bisschen dämlich dabei aus, weil ich mich seitwärts direkt in eine massive Wand warf, was Max' prozedurales Muskelspiel dann auch stets mit entsprechend unglücklichen Yoga-Figuren quittierte. Aber dafür kann das Spiel unmöglich etwas. Das war einfach nur ich, der in Panik geriet, die Übersicht verlor und deshalb den virtuellen Idioten gab. Hier und da kann man der gespielten Rohfassung sehr wohl noch den Vorwurf machen, dass auf einige Gegenstände nicht richtig reagiert wurde, wenn es um Deckung und Kollisionsabfrage ging. Doch Monate vor der Fertigstellung ist das ein Bild, das man aus anderen Spielen vergleichbaren Entwicklungsstandes auch nicht anders kennt. Da wird sich noch was tun. Allgemein machten beide düstere Spielwiesen, die ich antesten konnte - das Stadion und die verregneten Docks - jedenfalls wirklich etwas her.

Max Payne 3 - Design und Technologie: Zielmechanik und Waffen

Vor allem auch in Sachen Ereignisdichte. Was ich bereits erleben konnte, gab sich redlich und mit einigem Erfolg Mühe, euch unterschiedlichsten Situationen auszusetzen, sei es im bleiernen Tandem mit Raul, als Sniper, um dem Kumpel Deckung zu geben oder wenn man unachtsamen Killern in die Seite fällt. Zudem gab es auch einen extrem spektakulären Moment zu erleben, als sich Max von einem Flutlicht in die darunterliegende Reporter-Box des Stadions wirft, um in Zeitlupe und noch auf dem Boden liegend dem hier postierten Scharfschützen das heiße Ende seiner Pistole zu zeigen. Max Payne 3 legt ein wirklich gutes Tempo vor. Hier und da ließen sich zwar gerade die Docks noch dazu hinreißen, mich kurz nach einem Schalter oder der einen offenen Tür, durch die es weitergeht, suchen zu lassen, was in einem Spiel ohne wirkliche explorative Elemente ein bisschen gestrig wirkt. Doch das lässt sich leicht bereinigen, indem Rockstar noch an den richtigen Stellen ein Lichtlein anknippst beziehungsweise dem Spieler auf andere Art und Weise signalisiert, wo es weitergeht - oder besser noch: wo es nicht weitergeht.

Eine Geschmacksfrage wird sicherlich die neue Form der Story-Präsentation sein. Ich persönlich bin kein Fan von übermäßigen Tony-Scott-Verfärbefiltern und Texteinblendungen, wie sie sich aktuell über die schön lippensynchron geschauspielerten Filmsequenzen legen, aber das mag jeder anders sehen - zudem wies uns Rockstar noch darauf hin, dass an dem richtigen Maß der Sinnesflutung noch gefeilt werde. Von den statischen, aber stilvollen Comic-Panels der Vorgänger ist das Spiel jedenfalls ziemlich weit entfernt. Anders ist es definitiv, ob es auch besser ist, muss wohl jeder selbst entscheiden.

Eine Entscheidung, die man mir und euch dagegen schon lange abgenommen hat, ist die, dass man sich dieses Spiel auf jeden Fall genauer ansehen müssen wird. Ein neues Max Payne war im Grunde schon vor seiner Ankündigung vor etwas mehr als zwei Jahren lange überfällig, was meine jüngste Begegnung mit dem abgehalfterten Noir-Helden nur unterstreicht. Hart, dynamisch und offensiv kommt schnell die gewohnte Schlachtenkultur auf, die die Reihe zu dem machte, was sie mal war und demnächst vielleicht wieder ist. Da Max in jedem der beiden nächtlichen Levels, die ich am Montag anspielte, noch sein volles Haupthaar mit Blut, Putz und Holzsplittern besudelte, ist auch der befürchtete Bruch zwischen dem Remedy-Sohn und dem Neu-Rockstar - zumindest für mich - kein wirkliches Thema mehr.

Max wie er lebt und leidet ist heute nicht weniger relevant als vor acht Jahren. Jetzt muss nur noch die Geschichte halten, was sie verspricht. Als ehemaliger Ostküsten-Cop ohne Fremdsprachen-Kenntnisse ist Max in Brasilien zwar der sprichwörtliche "Fisch auf dem Trockenen". Steckt er seine 9 Millimeter aber nur tief genug in die kaputte Unterwelt Sao Paulos, ist er trotzdem nicht weniger in seinem Element.

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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Max Payne 3

PS3, Xbox 360, PC

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