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Meadow: Ein Lehrstück in Sachen Herdentrieb

Noch nie war man so frei und so wenig selbstbestimmt.

Ich halte das Sozialverhalten von Menschen manchmal für beängstigend. Vor allem, wenn es darum geht, wie sich Menschen in größeren Gruppen verhalten. Sie rotten sich zusammen, grenzen sich ab, sie bilden Grüppchen und spalten sie wieder. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich eben dieses Verhalten in nahezu gleichförmiger Perfektion einmal in einem Computerspiel beobachten würde. Aber es ist passiert. In Meadow. Mehr denn je frage ich mich seither: Wie viel Instinkt steckt eigentlich noch in uns Menschen und inwieweit übertragen wir dieses Verhalten sogar auf den virtuellen Raum eines Spiels?

Nicht Hase und Igel, sondern Hase und Dachse.

Meadow, zu haben für gerade mal knappe 3 Euro auf Steam, ist ein Spiel aus dem Shelter-Universum. Das waren diese Spiele in eigenwilliger Low-Poly-Grafik, bei denen ihr mal als Dachs, mal als Luchs euer Überleben sichern musstet. Meadow ist jetzt so etwas wie der MMO-Ableger dieser Reihe, wobei es diesmal überhaupt nicht ums Überleben geht, sondern ums Erforschen. Darauf nämlich wartet ein recht großes Areal, das ihr von Anfang an frei begehen könnt. Das Spiel erklärt dabei rein gar nichts - und so rannte ich also zunächst ziemlich blind in diese große, fremde Welt und fragte mich, was es hier zwischen Bäumen und Gräsern eigentlich so zu entdecken gibt. Einerseits sind das vor allem andere Spieler, denn eine Spielinstanz teilt ihr euch mit bis zu 49 anderen davon. Und mit den anderen Spielern beginnt das Abenteuer.

Tatsächlich ist es im Alleingang relativ langweilig, die Welt von Meadow zu erkunden. Ein Blick auf die Karte verrät euch aber, wo sich die anderen befinden. Eine typische Meadow-Instanz zeigt dabei schon auf den ersten Blick eine gewisse Gruppendynamik. Meist haben sich auf der Karte schon ein bis zwei Pulks verschiedener Tiere gebildet, die die Welt zusammen erkunden. Ohne besonderen Grund schloss ich mich einem der beiden Gruppen an und erkundete mit vielen anderen Tieren zusammen die Karte. Zu Beginn steht euch dabei nur ein junger Dachs zur Verfügung, es sei denn, ihr habt auch andere Teile der Spielreihe installiert - dann gibt es auch die Protagonisten aus diesen Spielen. Nach und nach sammelt ihr auf der Karte sogenannte Essence, mit der ihr dann nach und nach weitere Tiere freischalten könnt - und was die Spielmechanik angeht, war das auch schon alles an Meadow.

Eine typische Karte in Meadow: Ein Großteil der Spieler konzentriert sich an einem Punkt.

Was danach kam, empfand ich nach etwa einer Stunde schon fast als hypnotische Erfahrung. Mit einer Gruppe aus Fröschen, Hirschen. Dachsen und Luchsen rannte und sprang ich über die Karte, immer wieder versuchten wir uns an Kommunikation - die aber nur sehr rudimentär gelingen kann, weil euch dafür nämlich nur ein paar Icons zur Verfügung stehen - keine Texteingabe, kein Voice Chat. Ein Blick auf die Karte zeigt in Echtzeit die Bewegungen der einzelnen Tiere. Die Gruppe sieht dann aus wie eine wabernde Masse, die sich mal in die Länge zieht, mal kugelförmig über die Karte wandert, sich in zwei Teile zerteilt, sich an anderer Stelle wieder vereint. Ein wenig sieht das aus, als hätte man eine Petrischale mit Wasser, würde dann ein paar Tropfen Olivenöl dazugeben und schließlich mit einem Zahnstocher darin herumrühren. Klar - hier und da gibt es ein paar kleinere Ölspuren, Einzelspieler eben. Aber der Großteil schwimmt doch in ein bis zwei größeren Blasen über die Wasseroberfläche.

Die Entwickler haben in Meadow dabei natürlich auch für das gesorgt, was der Oberflächenspannung des Wassers entspricht. In der Spielwelt sind nämlich Obelisken verteilt, die bei Kontakt mit genug verschiedenen Tieren in tausend Teile zerspringen und besonders viel Essence freigeben, die dann wieder neue Tiere freischaltet. Die spielen sich angenehm unterschiedlich - und auch das passt zur Gruppendynamik, die das Spiel entstehen lässt. Als junger Dachs fühlte ich mich abgehängt und rannte stets nur hinterher, den großen Luchsen und Hirschen nach. Als Frosch ging es mir nicht anders, wobei ich hier zumindest im Wasser ein bisschen schneller war. Trotzdem, ich blieb ein Mitläufer. Anders als Luchs: Deutlich schneller und agiler konnte ich plötzlich zumindest mitbestimmen, wohin sich die Gruppe bewegen sollte. Um mich herum ploppten die Fragezeichen-Icons der kleineren Tiere auf, sie wollten von mir plötzlich wissen, wo sich denn der nächste Obelisk befindet und wie wir da hin kommen - als hätte ich auch nur die geringste Ahnung. Aber tatsächlich war ich kurz zuvor selbst noch der, der das Fragezeichen-Icon angeklickt habe. Und wenn ein Luchs in eine bestimmte Richtung rennt, sieht das eben bedeutend zielstrebiger aus als wenn ein Frosch das versucht.

Die Tiere des Waldes haben sich versammelt.

Tatsächlich habe ich auch noch nie erlebt, dass eine Gruppe auf einen Spieler warten würden. Das klappt nur, wenn noch eher wenige Tiere zusammen unterwegs sind, sagen wir drei oder vier. Sobald die Gruppe aber eine gewisse kritische Masse überschreitet - und die liegt meiner Erfahrung nach schon bei etwa fünf oder sechs Spielern - bleibt einfach zurück, wer zu langsam ist. Dann kann man eigentlich schon gar nicht mehr von einer Gruppe sprechen, in Meadow werdet ihr nicht zum Teil einer Gemeinschaft. Ihr werdet Angehöriger einer Herde. Ich fühlte mich relativ schnell als Teil einer Schwarmintelligenz, deren Weg durch die Welt einerseits von der Führungskraft der großen Tiere, andererseits auch von bloßem Zufall abhängt. Der Großteil der Gruppe wird sich immer dahin bewegen, wohin die Mehrheit der großen Tiere gehen will. Zu den großen Tieren gehört nur, wer schon viel Essence gesammelt hat. Survival of the Fittest.

Dort hinten wartet eine Höhle, die die Herde natürlich erkunden muss.

Was nach ein paar Stunden in Meadow bleibt, das ist ein seltsames Gefühl. In wenigen Spielen ist die Spielfigur so weit davon entfernt ein selbstbestimmtes Individuum zu sein wie hier. Und das nicht, weil das Spiel einen engen Handlungsbogen vorgibt, sondern weil die Person vor dem Bildschirm so sehr von der Gruppe beeinflusst wird, dass er seinen freien Willen dem der Herde unterwirft. Allein, um ein größeres Tier spielen zu können und damit ein höheres Ansehen zu genießen - nicht mehr einer der kleinen, unbedeutenden Dachse zu sein.

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Markus Grundmann Avatar
Markus Grundmann: Seine ersten Videospiele konsumierte Markus auf dem Game Boy. Heute spielt er so ziemlich alles, bei dem er auf Knöpfe drücken kann – mit besonderer Vorliebe für Nintendo und extravagante Indie-Titel.
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