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Meisterdetektiv Pikachu fehlt es an Spannung (ausgerechnet), nicht jedoch an Herz

Watt-son Pokémon alles kann.

Der Pokémon-Anime war ein Marketing-Geniestreich und seine Implikationen bestehen bis heute. Für eine Show, deren einzige Existenzberechtigung in der Befeuerung der gleichnamigen Spielereihe bestand, hielt sich die aktuell in die 21. Staffel startende Sendung allerdings nie sonderlich nah ans spielbare Ausgangsmaterial. Doch genau darin liegt die Brillanz einer handwerklich und inhaltlich ansonsten wenig außergewöhnlichen Produktion: Statt lediglich etwas abzubilden, was meine zehnjährigen Schulfreunde und ich damals ohnehin aus dem Effeff kannten, erweiterte die Sendung die Farbpalette einer Welt, die wir bis dahin nur in den dreieinhalb Grünabstufungen unserer Game Boys erlebten.

Oder anders: Das Universum von Pokémon vermag aus mehr zu bestehen als aneinandergereihten Kämpfen und die größte Leistung des begleitenden Anime besteht seither darin, diese Möglichkeiten sukzessive auszuloten. All die von der Roten und Blauen Edition nur vage angedeuteten Facetten einer mit Leben und Vielfalt angefüllten Welt wurden plötzlich unmittelbar und greifbar in unsere kindlichen Köpfe projiziert. Dank dieses Worldbuildings rümpfte niemand die Nase, als wir uns in Pokémon Snap auf Fotosafari begaben oder in Pokémon Tekken Pokémon-Center-reif prügelten. Und daher ist es nur... gut, vielleicht nicht natürlich, aber zumindest im Rahmen des Möglichen, ein Deerstalker-bemütztes Pikachu demnächst als zotigen Detektiv ermitteln zu lassen.

Bislang wusste ich es nicht, aber ein kaffeeschlürfendes Pikachu hat meinem Leben schon immer gefehlt.

Tatsächlich entspricht Meisterdetektiv Pikachu weitaus eher dem im Anime entworfenen Weltbild als es die verschiedenen Haupteditionen je taten. Taschenmonster aus nahezu allen der nunmehr sieben Generationen bevölkern das idyllische Ryme City, sind ein integraler Bestandteil des Stadtbildes. Sie baumeln in Parks faul von Bäumen herab, bekommen sich über Revierkämpfe gegenseitig in die Wolle bekommen und schlendern zwanglos neben ihren Trainern durch die Stadt, statt im Pokéball eingepfercht auf den nächsten Kampf zu warten. So habe ich mir diesen Mikrokosmos in meiner kindlichen Fantasie stets ausgemalt und ich würde lügen, behauptete ich, diesem Charme heute widerstehen zu können.

Nur wird es ohne derlei nostalgische Bezüge schwer bis unmöglich, dieser überzuckerten Verbrecherjagd auch ohne Milchzähne noch etwas abzugewinnen. Machen wir uns nichts vor: Das Abenteuer der pfiffigen Elektromaus richtet sich in jeder Hinsicht an die Fraktion der Schokomilchtrinker und Schuhe-mit-Klettverschluss-Träger. Das mag, zugegeben, nun nicht die allergrößte Überraschungen sein und ist doch insofern erwähnenswert, als dass unter der Zuckergussschicht von Trailern wie dem nachfolgenden stets auch einiges an subversivem Potential zu schlummern schien.

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Nach einer kurzen Anspielmöglichkeit will und kann ich gar nicht beurteilen, ob Pikachus Marotten im finalen Spiel nicht doch über zweieinhalb bissige Kommentare hinausgehen. Sollte der in mundgerechten Stücken servierte Einstieg in all seiner putzig-naiven Belanglosigkeit aber auch nur entfernt als Gradmesser für die folgenden Stunden herhalten, ist das kein allzu wahrscheinliches Szenario. Wie viel augenzwinkernde Selbstironie ist schon möglich in einem Spiel, das seinen Protagonist auf den Allerweltsnamen Tim Goodman tauft und ihn konsequenterweise wie einen x-beliebigen NPC aus der vorvorletzten Pokémon-Edition aussehen lässt?

Weil man einem kaffeeschlürfenden Pikachu nicht den üblichen, vom jeweiligen Spieler mit Charakter aufgefüllten Avatar zur Seite stellen kann, ist es eben ein 18-jähriger Student auf der Suche nach seinem vermissten Vater. Wo sich Notizbuch- und Vergrößerungsglas-bewährte Kollegen nun für gewöhnlich von einem abgekapselten Fall zum nächsten hangeln, folgt das ungleiche Duo eher einer ineinandergreifenden Kette von Ereignissen. Was bei einer verschwundenen Halskette beginnt, soll schließlich in der Lösung des mysteriösen Vermisstenfalls münden.

Wer mit dem Pokémon-Universum einigermaßen vertraut ist, hat beim Rätsellösen einen klaren Vorteil.

Den holprigen Weg dorthin legt ihr primär mithilfe dem wohl unspektakulärsten Bestandteil des detektivischen Einmaleins' zurück: Befragungen. Tim plaudert mit Passanten, Pikachu mit Pokémon und beide miteinander. So füllt ihr euer automatisch um neue Einträge erweitertes Notizbuch, gelegentlich unterbrochen von harmlosen Quick-Time-Events und putzigen Zwischensequenzen, bevor aus dem Wust der Informationen schließlich die jeweilige Schlussfolgerungen destilliert wird.

Mit seinen auf kleinsten Raum komprimierten Technikspielereien bietet der 3DS noch heute ein kreatives Umfeld für elegante Kombinationsaufgaben und im Laufe der Jahre haben zahlreiche Spiele gezeigt, was mit ein bisschen Willen zum Um-die-Ecke-Denken machbar ist. (Wer auch immer das Kartenrätsel in Phantom Hourglass erdacht hat, bei dem durch Zu- und Aufklappen des DS ein Stempel vom oberen auf den unteren Bildschirm übertragen werden soll, ist mein ganz persönlicher Held.) Für einen Meisterdetektiv hält sich der gelbe Nager mit vergleichbaren Rätseln jedoch arg zurück. Ich jedenfalls hätte im ersten Kapitel viel Geld darauf verwettet, dass man die zu vergleichenden Vogelfedern auf dem Touchscreen drehen und wenden kann, bis etwaige Übereinstimmungen auszumachen sind. Stattdessen spuckt euch das Spiel die Antwort automatisch aus, sobald ihr alle notwendigen Informationen zusammengeklaubt und damit eine vorgegebene Fortschrittsschwelle überschritten habt.

Wenn sich das Spiel bisweilen wie ein Film anfühlt, dann übrigens deshalb, weil ein solcher demnächst in die Kinos kommt.

Wenn ihr einen Blick hinter den knuffigen Vorhang riskiert, findet ihr dort etliche solcher Trigger. Sie halten die unaufgeregt schnurrende Maschine namens Meisterdetektiv Pikachu am Laufen und geben zugleich euren Spielfortschritt vor. Ihr könnt euch noch so sicher sein, wohin das kleptomanische Pokémon während der ersten Mission mit der Halskette abgezischt ist: Solang ihr nicht explizit von einem bestimmten Passanten auf die Fluchtroute des Übeltäters hingewiesen werdet, könnt ihr nicht dorthin vorrücken. Es ist das übliche "Was tun, wenn ein Spieler cleverer ist als er sein sollte?"-Problem vergleichbarer Rätselspiele und diesem nicht mehr vorzuwerfen als anderen. Aufgrund dem der Zielgruppe entsprechenden Anspruch fällt es hier aber häufiger auf.

Letztlich sagt euch der Titel des Spiels alles, was ihr wissen müsst. Es ging hier nie darum, eine neue detektivische Messlatte zu legen oder das Pokémon-Fundament mit subtilem Zynismus in seinen Grundfesten zu erschüttert. Es geht nur um eins: den herrlich schrulligen Pika-Protagonisten. Meisterdetektiv Pikachu ist eine drollige Huldigung des zuletzt weniger inflationär verbratenen Pokémon-Maskottchens ohne viele Schnörkel oder fehlgeleitete Ambitionen, dafür mit umso mehr Herz und Humor.


Entwickler/Publisher: Creatures / NintendoErscheint für: Nintendo 3DS - Geplante Veröffentlichung: 23. März 2018 - Angespielt auf Plattform: New 3DS XL

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Gregor Thomanek Avatar
Gregor Thomanek: Trinkt gern Kaffee und liebt Videospiele, im Idealfall beides auf einmal. Ist für alles zu haben, was aus Japan kommt. Hat nie Herr der Ringe gesehen und findet, das sollte auch so bleiben. Gründet irgendwann einen Ryan-Gosling-Fanclub. Hat seine Katze "Yoshi" genannt, bereut nichts. Konsolenkind.
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Detective Pikachu

Nintendo 3DS

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