Metaphor: ReFantazio im Test: Das Fantasy-Persona, von dem ihr nicht wusstet, dass ihr es braucht
Ferien für die Persona-Kids!
Grundgütiger! Ist das letzte Persona schon wieder acht Jahre her? Nimmt man Remakes, Ableger und die inhaltlich erweiterte Royal-Version des fünften Teils mal aus, ist es tatsächlich eine Weile, seit wir uns an etwas Neues in Sachen sozial unterfütterter Rundenkampf-JRPGs aus dem Hause Atlus machen durften. Aber hey, dafür werdet ihr mit Metaphor: ReFantazio wieder Wochen verbringen. Auch das erste Spiel des neuen Atlus Teams, “Studio Zero”, besinnt sich auf die zentralen Werte, die die Persona-Reihe zu einer festen Größe des Genres gemacht haben.
Im Grunde trifft es die Beschreibung “Fantasy-Persona” tatsächlich ausgezeichnet, was nicht weiter wundert, wenn man bedenkt, dass Katsura Hashino, leitender Verantwortlicher auch der letzten drei Personas, hier federführend im Sattel sitzt. Studio Zero nutzt den Szenariowechsel zu extravagantem High-Fantasy allerdings, um die zentralen Themen zu verschieben. Weg von den Sorgen japanischer Highschooler mit inneren Dämonen. Gesellschaftliche Spaltung, Rassismus und der Angst vor dem Umsturz der Welt- und Werteordnung treiben unsere Protagonisten um.
Es ist ein Persona Post-Brexit, Post-Trump, Post-Corona, das Zuflucht in der Abstraktion zum Fantastischen sucht. Gleichzeitig ist es aber klar und zielstrebig genug, die Menschen zum Problem erklären. Denn so nennen die Bewohner Euchronias die entstellten und besonders mächtigen Monster, die oft als Bosse von Dungeons fungieren. Die braven Bürger hingegen unterteilen sich in physiologisch unterschiedliche Stämme, die dann Rouissante, Clemar, Eugief oder Elda heißen. Fast alle humanoid, aber hier und da mit Schwänzen, Katzenohren oder Flügeln versehen (die gelegentlich ein wenig angeklebt ausschauen), ist trotz aller teils schockierender Ressentiments in erster Linie klar: “Menschen”, das sind die Biester, die das Leben aller Völker bedrohen.
Klare Bedrohung
Ich muss zugeben, ich war etwas in Sorge, als ich in dieses Spiel ging. Zu gut erinnere ich mich daran, dass Persona 5 mir zu lange um den heißen Brei herumtanzte. Es brauchte ewig, um Bedrohung und Fallhöhe der Geschichte zu etablieren, insbesondere im Vergleich zum vierten Teil, der direkt zu Beginn mit mysteriösen Todesfällen meine Neugierde weckte. Metaphor beginnt ebenfalls drastisch, mit dem gewaltsamen Tod des Königs von Euchronia. Allein seine Magie verhinderte bisher, dass das Reich von den Mensch-Monstern überrannt wurde – genau das plant aber der Mörder. Allein, er weiß nicht, dass der Erbe des Ermordeten noch unter den Lebenden weilt. Und den wollt ihr, als sein Vertrauter, nach zehn Jahren von einem Fluch befreien, um Euchronia zu retten. So geht es los und so einfach das gestrickt ist, so sehr gefällt mir doch, dass ich von Beginn an weiß, was auf dem Spiel steht.
Gleichzeitig ist das Spiel geschickt genug strukturiert, dass man bei aller Dringlichkeit immer auch etwas Zeit findet, sich Nebenaufgaben anzunehmen oder soziale Bande fester zu knüpfen. Ich will den weiteren Story-Verlauf nicht vorwegnehmen, aber wenn hier etwas eine Deadline hat, zu der ein Dungeon geschafft sein muss, dann ergibt das im Rahmen der Handlung auch Sinn. Meistens. Mir ist das immer sehr wichtig, insbesondere bei Spielen, die sich mehr als 50 Stunden hinziehen. Wenn sich die Figuren eine Pause von der Rettung der Welt nehmen, um etwa mit einem sechsjährigen Schützling einen gemütlichen Nachmittag in der Stadt zu verbringen oder einer überarbeiteten Gaststättenbetreiberin beim Kochen zu helfen, dann sollte das (gute) Gründe haben.
Ist Metaphor: ReFantazio das “echte” neue Persona?
Vielleicht mal ein paar grundsätzliche Takte zum Ablauf: Das hier ist im Aufbau wirklich ziemlich nah am Persona-Erlebnis, wie wir es kennen. Ein Mix aus Erkundung mit sozialer Seite und vielen Gesprächen im zivilisierten Teil des Spiels und Rundenkämpfe mit magischen Alternativformen der Helden, hier Archetypen genannt, in den Dungeons. Es gibt sogar eine Art Äquivalent zum Velvet Room. Im Kampf regiert auch hier ein Stärken- und Anfälligkeiten-System, das so auf elf gedreht ist, dass zwischen Sieg und Niederlage oft nur zwei, drei schlechte Runden stehen. So schnell wechseln die Machtverhältnisse, wenn ihr nicht aufpasst.
Wie immer gibt es einen Kalender, der euch eine Frist setzt, bis wann das Ziel des aktuellen Dungeons erreicht sein muss, was die Geschichte vorantreibt und euch Spielraum gibt, abseits des Dungeons zu leveln oder Freundschaften zu pflegen. Das ist die zentrale Abwägung: Wollt ihr soziale Aktionen in Städten absolvieren und Nebenquests angehen oder tiefer in den Dungeon vordringen? Denn geht man in den Dungeon, ruft danach nur noch das Bett. Alternativ dürft ihr zwei Aktionen in dem jeweiligen Ort vollführen, die jeweils dann den Nachmittag oder die Nacht verbrauchen.
Oft handelt es sich um Gespräche mit Passanten oder Freundschaftsdienste für Anhänger und Party-Mitglieder. Diese Aktionen schalten schon mal neue Archetypen frei, steigern den Rang eines bereits entdeckten oder schrauben eure königlichen Tugenden nach oben. Mut, Weisheit, Toleranz, Redegabe, Fantasie können jeweils bis zur fünften Stufe aufsteigen und sind der Schlüssel zu weiterer Progression auf sozialer Ebene. Oft setzt das Spiel einen gewissen Level einer bestimmten Tugend voraus, bevor ihr mit einem NPC den nächsten Schritt eurer Beziehung gehen oder Dinge von ihnen erfahren könnt.
Und natürlich gibt es auch Nebenquests in Form von Kopfgeldern, die wiederum kleinere Dungeons darstellen. Bei denen ist man mit seinem Straßenschiff auch mal zwei bis drei Tage außerhalb einer Stadt unterwegs – in Szene gesetzt mithilfe einer sehr schönen Karte. Mit diesen Nebenaufgaben trainiert man auf dem Weg zur Deadline für den Haupt-Dungeon die Schlagkraft eurer erst drei, später vierköpfigen Truppe. Insgesamt ist das klug strukturiert, und der Kontrast zwischen Dungeon und Stadt ergibt immer noch einen schönen Rhythmus, der einen lange nicht loslässt. Ich finde es außerdem sehr ansprechend, den Lauf der Zeit für meine Helden genau vor Augen zu haben – das geht mir bei anderen, großangelegten RPGs viel zu oft ab.
Machen, was der Kalender sagt
Trotz aller Entscheidungsfreiheit, wann man was machen möchte, wirkt diese Struktur aber auch immer wieder rigide. Insbesondere die Gelegenheiten zum Steigern der Tugenden präsentieren sich ein wenig statisch: Einige Straßenzüge sind regelrecht zuplakatiert von den jeweiligen Symbolen für Mut, Weisheit et cetera. Die Menschen, die unter ihnen darauf warten, dass man sie anspricht und die Themen, über die man mit ihnen redet, sind einem irgendwann egal. Hauptsache, am Ende purzeln vier Punkte auf die jeweilige Skala und man steigt ein wenig auf. Wie gesagt: Spielerisch ergibt das Sinn. Nur besonders elegant finde ich es nicht.
Auch, dass die Archetyprang-steigernden Unterredungen mit euren Anhängern immer nur an bestimmten Tagen passieren können, grätschte mir hier und da in meine Vorhaben, wenn ich andere Dinge wichtiger fand, aber die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte. Auch hier gilt: In der Regel gibt es später noch einmal die Möglichkeit für dieses Treffen. Ein bisschen genötigt fühlte ich mich von der inneren Uhr dann aber doch. Wie gesagt: Unterm Strich sorgte dieser Ablauf aber oft genug dafür, dass aus “nur noch dieser eine Tag” dann doch wieder drei oder vier wurden. Mich wundert nicht, dass sie sich bei Atlus seit Persona so gut wie gar nicht davon entfernen. Es funktioniert einfach.
Spannende Neuerungen
Ein paar coole Änderungen im Vergleich zu Persona gibt es dann aber doch. So haben sich die Entwickler eine Menge Gedanken über Initiative gemacht. Ihr könnt die sichtbar in den Dungeons umherwandernden Monster mithilfe eines simplen Echtzeitkampfsystems schon vor der eigentlichen Schlacht attackieren. Sofern ihr genügend Treffer platziert, bevor der Feind sich wehrt, gilt er im folgenden Rundenkampf mit der gesamten Party als betäubt, woraufhin die erste Runde euch gehört und ihr keinerlei Gegenwehr zu befürchten habt. Landet der Gegner im Dungeon aber den ersten Treffer, ist eure Party betäubt. Um das zu verhindern, könnt ihr eine Ausweichrolle hinlegen.
In den Rundenkämpfen verfügt jedes Partymitglied über einen Aktionspunkt. Normale Aktionen verbrauchen einen, Synthese-Aktionen zweier Archetypen miteinander gleich zwei. Trefft ihr aber den Schwachpunkt eines Gegners mit eurer Aktion, wird der Aktionspunkt nur halbiert und ist immer noch für einen kompletten Move gut. Verfehlt euer Angriff oder nutzt ihr einen Zauber, der komplett geblockt oder auf euch reflektiert wird, verliert ihr gleich zwei Aktionspunkte am Stück. Meist wechselt dann die Initiative direkt zur Gegenseite. Man merkt, Studio Zero wollte die Kämpfe beschleunigen und riskantere Risiko-Nutzen-Abwägungen belohnen. Alles in allem empfand ich die Kämpfe zwar vertraut, aber doch sehr spannend und dynamisch.
Vor allem der Komfort besticht: Man darf die Figuren automatisiert selbst kämpfen lassen und sind die Affinitäten bekannt, hält man die R-Taste, damit das Menü automatisch den Zauber oder die Attacke aufruft, für die die Feinde anfällig sind. Ihr müsst dann nur noch den Gegner wählen und bestätigen. Man darf sogar einen Kampf von Neuem beginnen, wenn einem der Verlauf nicht passt. Klickt man den linken Stick, fängt der Fight von vorn an und das ist für mich wirklich ein Gamechanger. Sollte das für euch nach mogeln klingen, so überlegt: Was ist denn, wenn ihr den Kampf verliert? Ihr spielt ihn so oder so noch einmal - dieses Feature verkürzt nur eure Wege. Mir gefallen alle diese neuen Funktionen sehr und ich möchte keine davon missen.
Da jeder Archetyp auch Aktionen anderer erlernter Archetypen “erben” kann, hatte ich zudem großen Spaß daran, die Quasi-Personas meiner Leute durchzuwechseln und auf die Anforderungen des aktuellen Dungeons abzustimmen. Da dabei keine Zeit verstreicht und es auch in den Dungeons möglich ist, legt einem das Spiel da glücklicherweise keine Steine in den Weg, was zu Experimenten ermutigt. Cool ist auch, dass Archetypen auf Maximal-Rang (Level 20), statt eines Aufstiegs ein Item bekommen, mit dem man einem anderen Archetypen 1000 Erfahrungspunkte spendiert. So zieht man auch die weniger genutzten oder neue Zauberformen schnell auf einen Level, an dem sie dem Team gut helfen können.
Gestalterisch hübsch, musikalisch opulent, aber technisch veraltet
Metaphor: ReFantazio ist in jedem Fall ein Hingucker. Ob einem gefällt, was man dann sieht, ist die andere Frage, aber es hat in jedem Fall einen Look, obwohl ich auch ohne Tierohren gut über die Runden gekommen wäre. Pseudo-Euro-Kitsch mit dämonischem Body-Horror-Anstrich und einem riesigen fliegenden Steingesicht am Firmament – die Gefahr, Metaphor mit einem anderen Spiel in diesem Jahr zu verwechseln, besteht jedenfalls nicht. Mir gefällt, wie das hier aussieht.
Gleichzeitig wirkt es bisweilen auch etwas unruhig, wenn komische Partikel allüberall durch die Luft fliegen, in Menüs die Buchstaben zu wackeln beginnen und nicht ein Sprechblasenrahmen ohne bewegtes Schimmern und Schattieren auskommt. Bisweilen wirkt das Drumherum ein wenig “überdesigned”. Ich habe das Gefühl, das ist nicht ohne Grund so, denn an sich ist die Grafik so detailarm, sind die Texturen so verwaschen und die Animationen und Objekte so einfach gehalten, dass ich mich nicht wundern würde, wenn das hier noch auf der PlayStation 3 laufen würde. Abzüglich der hohen Auflösung, versteht sich. Passend dazu ist auch das Layout der Städte ist, wie auch das der Dungeons, häufig sehr rechtwinklig und simpel angelegt.
Zugleich war es selbst an einem PC mit RTX 4080 Super überraschend knifflig in 4K durchweg 60fps zu halten. Sicher, ab Werk stellt das Spiel die interne Auflösung um 25 Prozent nach oben, aber es sollte wirklich keine Herausforderung sein, das hier flüssig zum Laufen zu bekommen. Außerdem werden 21:9 Monitore nicht unterstützt. Auf PS5 wird alternativlos auf 60fps abgezielt. Dort habe ich nur die Demo angespielt, sie scheint besser optimiert zu sein, wenngleich die Performance-Schwierigkeiten am Computer nie so schwerwiegend waren, dass das Spiel darunter gelitten hätte.
Die Musik hingegen verdient durchgängig Lob. Mit ihren Chören und fremdartig martialischen Gesängen wirkt das angemessen anders und aufpeitschend. Ich bin nicht sicher, ob das die Sorte Musik ist, die ich in meiner Freizeit einfach so anwerfen würde. Im Kontext des Spiels war sie jedenfalls extrem stimulierend.
Metaphor: ReFantazio – Fazit
Atlus behielt, was an Persona funktionierte und ersetzte das, was auf der Stelle zu treten drohte. Das Resultat ist ein Fantasy-Ableger, der sich trotz der sichtbaren Verwandtschaft frisch und unverbraucht anfühlt. Die Geschichte nimmt sich immer noch reichlich Zeit, motiviert aber von Beginn an, die Dinge richtigzustellen. Und auch, wenn es etwas dauert, bis man die Figuren gut genug kennenlernt, um sie zu mögen, sind sie mir irgendwann doch alle ans Herz gewachsen.
Spielerisch gibt es ohnehin wenig auszusetzen: Die Kämpfe sind nun noch flotter, die Chance, sie mit einem satten Vorteil zu eröffnen, ist ein kleiner Geniestreich und wie immer bei Atlus habe ich hier mehr Spaß als bei den meisten anderen JRPGs, aufzudröseln, wie ich meine Feinde kleinbekomme. Auch wenn die Technik und einige Systeme ein wenig in die Jahre gekommen sind, Metaphor: ReFantazio ist im Grunde genau das, was die Persona-Reihe gebraucht hat: Die Verlängerung der Ferien, die nach drei recht ähnlichen Titeln in Folge ebenso nötig wie verdient waren.
Metaphor: ReFantazio | |
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