Miasma Chronicles im Test: Hübsche Rundentaktik für hartgesottene Prozentrechner
Aufgepasst: Updates verbessern das Spiel deutlich!
Update vom 7. Juni 2023: Entwickler Bearded Ladies hat mittlerweile mit mehreren Balance-Updates einige meiner Kritikpunkte deutlich abgeschwächt. So unterliegt die Overwatch-Fähigkeit nun gar keinem Cooldown mehr und viele andere Abklingzeiten wurden deutlich zurückgefahren. Auf dem leichten und normalen Schwierigkeitsgrad werden alle Cooldowns mit dem Ende einer Schlacht komplett zurückgesetzt. Außerdem wurden die Kosten für Skill-Upgrades entschieden heruntergefahren, sodass die Progression nun schneller vonstatten geht und man früher beginnen kann, mit anderen Builds zu experimentieren. Auch die Schlagfertigkeit der Gegner wurde etwas reduziert.
Insgesamt ist das Spiel damit deutlich einfacher zu empfehlen, wenn einem Rundentaktik liegt, der Spielfluss besser. Selbst, wenn ich persönlich immer noch nicht finde, dass der Erkundungsanteil und das Stealth viel für den Ablauf tun und ich das wilde Durcheinander-Flankieren ohne Rücksicht auf Verluste immer noch für chaotisch und wenig intuitiv halte: Miasma Chronicles ist jetzt ein wirklich ordentliches Spiel.
Ursprünglicher Test vom 26. Mai 2023
Die Bearded Ladies haben bei mir einen Stein im Brett. Mutant Year Zero war ein extrem sympathisches Rundentaktik-Spiel mit interessanten Ideen, die auf dem Papier ein wenig besser funktionierten als in der Praxis. Übelnehmen konnte ich ihnen das nicht, das Spiel war einfach sehr frisch und 2019 wurde ich noch nicht auf wöchentlicher Basis mit einem neuen Hit aus meinem Lieblingsgenre bombardiert. Bei Miasma Chronicles stellen sich mir nun aber einige Fragen, warum es ein paar der störenden Sachen noch genauso macht wie Mutant Year Zero.
Vorweg sollte man sagen: Das ist schon kritteln auf hohem Niveau. Die Grundlagen gelingen dem Team aus Malmö einmal mehr recht gut und es ist interessant, die Geschichte rund um das Miasma, das vor über 100 Jahren die Erde zerstörte, zu entschlüsseln. Abgesehen von stereotyper Charakterzeichnung, ist das keine schlechte Story, die man hier erlebt. Ich hätte auf das Klischee vom Roboter-Sidekick, der mit dem dicksten Ebonics-Slang spricht, genauso verzichten können wie auf die natürlich bösen Redneck-Banditen. Und ich weiß immer noch nicht, weshalb Hauptcharakter Elvis permanent wie Timothy Chalamet klingt, der seine Hand in die Bene-Gesserit-Box stecken soll. Aber abzüglich solcher Stilfragen sagen mir Narrativ und Szenario sehr zu.
Mein Problem liegt eher im eigentlichen Spielfluss begründet, der mich phasensweise gegen den Strich bürstet. Nie so sehr, dass ich aufhören würde, zu spielen. Aber so, dass ich merke: Hier wäre noch viel mehr drin gewesen. Das beginnt schon mit der Mischung aus Erkundung und Taktik. Denn wie schon in Mutant Year Zero ist das Herumwuseln in den Ruinen der Zivilisation oft mehr Fleißarbeit als belohnender Spielanteil. Es ist weniger Option als ein Muss, wirklich alles abzugrasen. Denn egal, wie oft ihr darüber ins Gähnen kommt, die hintere rechte Ecke des Bereiches zu durchforsten und dreimal hintereinander Plastik, Plastik, Plastik zu finden: Ihr seid auf diese nur knausrig verteilte Spielwährung zu sehr angewiesen, als dass ihr es euch leisten könntet, nicht hinter jeden Stein zu schauen.
Während man so tut, was man tun muss – buchstäblich – nervt es ein wenig, dass ihr zwar an Ranken und Leitern hochklettern könnt, aber hüfthohe Deckung genauso wenig überwindet, wie ihr durch offene Fenster oder über niedrige Simse springt. Wollt ihr das Innere eines Gebäudes sehen, müsst ihr die Tür nehmen. Ziemlich doof, wenn ihr auf der anderen Seite einer halb eingerissenen Mauer schon den nächsten Zehnerpack ach-so-verlockendes Plastik herumliegen seht. Das ist ein Zehntel von dem, was in eurer Homebase im Städtchen Sedentary eine Splittergranate kostet! Kombiniert das mit dem Zwang, eure Waffen ebenfalls regelmäßig gegen höher-levelige Exemplare auszutauschen und ihr fühlt euch geradezu geknechtet, wirklich überall nachzusehen.
Gleichzeitig gewinnt man durch die freie Bewegung die Chance, sich vor einem Kampf in eine aussichtsreiche Position für einen Hinterhalt zu bringen, was motivierend klingt, aber auch nur Augenwischerei ist. Auch dabei handelt es sich eher um Pflicht als um eine echte taktische Gelegenheit, die man nutzen könnte, aber nicht muss. Das Spiel platziert schließlich sehr viel mehr Feinde in einem Areal, als ihr mit eurem Dreier-Team in einem offenen Kampf vor der Flinte haben wollt. So kam es zumindest mir vor. Und so cool ich es auch fand, mein Team aufzuteilen, die beste Deckung zu suchen und dann koordiniert meinen Angriff zu starten, so zerknirscht war ich dann doch, dass Initialtreffer aus dem Hinterhalt nur selten einen Feind komplett aus dem Spiel nehmen.
Das nächste Pacing-Problem machte mir vor allem das erste Drittel der Kampagne etwas zäh: Viele der besten Skills, die freizuschalten es zu viele Level-Aufstiege benötigt, unterliegen langen Cooldowns, die nach dem Ende einer Schlacht nicht zurückgesetzt werden. Elvis’ Rüstungsvernichter-Schuss, braucht satte sechs Runden, bis er wieder einsatzbereit ist. Oft startete ich deshalb einen Fight, ohne auf alle meine Skills zugreifen zu können. Nicht nur das: Auch die Gesundheit wird von einem Kampf zum nächsten nicht regeneriert. Wie man hier Nachteile von einer Schlacht zur anderen mitschleppt, vermiest einem schon mal die Planung. Overwatch – eine Standard-Fähigkeit in XCOM-artigen Games – darf man ebenfalls nur alle drei Runden nutzen, auch wenn keiner der Feinde in den abgedeckten Zielbereich gerannt ist. Bei nur drei Squad-Mitgliedern machen sich solche Cooldowns einfach einschränkend bemerkbar.
Später relativiert sich das zum Glück etwas, wenn man die Fähigkeitenbäume weiter hochgeklettert ist, ein paar von Elvis’ coolen Miasma-Skills freigeschaltet und weitere Begleiter dabei hat. Vor allem das System für kritische Treffer greift einem irgendwann doch sehr unter die Arme, hat man es erstmal begriffen. Tötungen mit kritischen Schüssen geben euch nämlich einen eurer beiden Aktionspunkte zurück, was bedeutet, dass ihr im Anschluss direkt nachladen, euch zurückziehen oder noch einen Schuss abgeben könnt. Außerdem sammelt ihr durch verschiedene Aktionen Wutpunkte an. Wenn der Balken voll ist und der Wutmodus aktiviert, sind kritische Treffer garantiert. Irgendwann lernt man, Situationen so zu orchestrieren, dass man mehrere Kills aneinanderreiht. Auch wenn es dauert, dann legt sich auch der Frust ein wenig.
Was sich aber wohl niemals legen wird, ist meine Wut, die einsetzt, wenn ich einen Skill mit 6 Runden Cooldown verfehle, weil das Spiel meint, 80 Prozent Trefferchance wären gar nicht so viel. Überhaupt würde ich so langsam mal gerne wegkommen vom RNG in dieser Sorte Spiel. Es hängt bei nur drei Einheiten, teuren und seltenen Heilungs-Items und tendenziell eher unterpowerten Waffen – man räumt ohne Deckung dastehende Einheiten auch mit einer Shotgun aus nächster Nähe viel zu selten ab – einfach zu viel Risiko daran, als dass sich das fair anfühlen würde. Hier hilft es, den Schwierigkeitsgrad etwas nach unten zu justieren. Ich weiß, ihr glaubt mir das nicht (und es ist auch gegen meine Rundentaktik-Ehre), aber Miasma Chronicles ist auf einfach vielleicht schlichtweg besser.
All das nimmt jedenfalls ein wenig Verve aus einem Titel, der in seinen insgesamt soliden Taktikschlachten ein bisschen zu sehr auf das alte Spiel mit dem Namen “Jetzt hab’ ich dich flankiert” – “Nein, ICH DICH!” setzt, bei dem alle eher reagierend durcheinander rennen, als Feuerschutz- und Truppbewegungen-planend an dem sinnigsten Vorgehen arbeiten. Zumindest in engeren Räumlichkeiten. Wie gesagt, irgendwann überblickt man seine Cooldowns besser, exekutiert genügend Feinde vorher oder per Wutschuss, um nicht mehr so viele Probleme zu bekommen und man rotiert auch seine Leute besser durch. Dann hat man den Punkt erreicht, an dem man schön in dieser interessanten Welt versinken und sich an der technisch starken und gestalterisch aparten Optik freuen kann. Aber bis dahin verlangt Miasma Chronicles einiges an Geduld.
Ansonsten überzeugt das Spiel jedoch in seiner Umsetzung, läuft stabil und weitestgehend ohne Bugs. Abstürze hatte ich keine, nur hier und da fand ich die Steuerung per Maus und Tastatur ein wenig fummelig, weil viele Elemente nicht durch Anklicken auswählbar sind und ihr stattdessen Hotkeys benutzen sollt. Zwei Mal hing Elvis etwas blöde in der Umgebungsgrafik fest und hin und wieder war nicht ersichtlich, warum ich von einem bestimmten Punkt aus einen Feind nicht treffen konnte. Ansonsten ist das hier ein gut gemachtes Spiel. Kann man in Zeiten wie diesen, in denen größere Studios ein Bug-verseuchtes Game nach dem anderen raushauen, ruhig auch mal lobend erwähnen.
Miasma Chronicles Test – Fazit:
Miasma Chronicles ist auf dem Papier ein stärkeres Spiel als in der Realität. Das galt auch schon für Mutant Year Zero. Das bedeutet aber nicht, dass Bearded Ladies’ Jüngstes nicht einen Blick verdient hätte, wenn diese Sorte Spiel normalerweise nach eurem Geschmack ist. Gerade, wenn für euch Prozente zu Rundentaktik einfach dazugehören, ihr eure Züge minutiös plant, gern und viel speichert (was das Spiel jederzeit zulässt) und ihr eine Spielwelt grundsätzlich gründlich abklopft, ist Miasma Chronicles vielleicht sogar euer Eldorado. Ich für meinen Teil habe beim Spielen viel zu oft geflucht und reihenweise graue Haare bekommen, die vorher ganz sicher noch nicht da waren.
Miasma Chronicles | |
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PRO | CONTRA |
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