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Mighty No. 9 - Test

So sehen vier Millionen Dollar aus?

Drei Jahre und vier Millionen Dollar später ist Mighty No. 9 nichts anderes als die Erinnerung an eine traurige Kickstarter-Kampagne.

Okay, okay, okay. Ich will ja nicht auf der Kickstarter-Kohle rumreiten und Mighty No. 9, wie bereits so oft im Internet geschehen, mit anderen Projekten vergleichen. Aber wenn Explosionen schlechten Pizzen gleichen, jede Figur in Zwischensequenzen nur zwei Gesichtsausdrücke ohne Mundbewegungen besitzt und das Endergebnis nach drei Jahren schlechter aussieht als der erste Prototyp, darf man sich doch wohl ernsthaft fragen, was Entwickler Comcept mit der ganzen Kohle angestellt hat?

Meine nicht gerade positive Einstellung dem Titel gegenüber ist sicherlich kein großes Geheimnis. Trotzdem, ich wollte Mighty No. 9 mit offenen Armen empfangen. Ich wollte überrascht werden und entgegen aller Erwartungen lautstark mein Lob aussprechen.

Stattdessen muss ich von einer ziemlich unspektakulären Erfahrung berichten, die den ganzen Trubel um scheinheilige Community-Manager oder katastrophale Trailer überhaupt nicht verdient hat. Mighty No. 9 wäre unter der Führung eines weniger bekannten Entwicklers sofort in den hintersten Ecken von Steam Greenlight verschwunden und dort wohl für immer geblieben.

So elegant kann Mighty No. 9 aussehen.Auf YouTube ansehen

Es ist weit von einem guten Spiel entfernt, aber irgendwie auch nicht schlecht genug, um mehr Aufsehen zu erregen. Der Titel hat es sich im unteren Mittelmaß ein bisschen zu gemütlich gemacht. Stellenweise zeigt er ganz intelligente Ansätze, beweist jedoch keinerlei Verständnis für das großartige Spieldesign der zeitlosen Mega-Man-Klassiker, an die er euch so gerne erinnern will.

Nehmt beispielsweise eine der wichtigsten Eigenschaften des blauen Bombers. Nach jedem erledigten Boss gewann Mega Man dessen Fähigkeit und konnte so besser gegen andere Robot-Master kämpfen. Auch Beck, Protagonist von Mighty No. 9, erhält zum Abschluss eines Levels die Waffe seines Kontrahenten. Nur braucht er im Gegensatz zu Capcoms Ikone gar nicht erst überlegen, wo die Fähigkeit am besten eingesetzt wird. Das Spiel verrät euch in der Missionsauswahl direkt den richtigen Pfad, was die offene Struktur der frei wählbaren Level-Reihenfolge vollkommen untergräbt.

Warum sollte ich mich freiwillig durch eine Stage quälen, um anschließend am Boss zu scheitern, wenn mir der einfachste Weg doch sofort gezeigt wird? Gerade da die meisten Duelle ohne das korrekte Instrument in Frust ausarten. Fast immer schweben die Bastarde unerreichbar in der Luft oder schützen sich mit verschiedenen Elementen, die allein von der passenden Fähigkeit schnell genug zerstört werden können. Aber habt ihr dann das richtige Werkzeug an der Hand, bleibt kaum genug Zeit zum Blinzeln, so schnell liegen die Bösewichter geschlagen am Boden. Es ist der Unterschied zwischen zehn Sekunden God Mode und fünf Minuten Geduldsprobe. Ein gesundes Mittelmaß existiert nicht.

Geld für Sprechanimationen war wohl nicht drin.Auf YouTube ansehen

Ja, auch in Mega Man überlebten die Robot-Master beim Einsatz der passenden Waffe keine 20 Sekunden. Allerdings war es stets möglich, sie mit dem normalen Buster zu pulverisieren, ohne dass man fast eine Minute auf die nächste Angriffsmöglichkeit warten musste. Ebenso gab es keinerlei One-Hit-Kill-Attacken, die selbst gute Versuche im Bruchteil einer Sekunde ausbremsten. Umso erstaunlicher, dass alle Mighty Numbers in mehreren Phasen attackieren und sogar abwechslungsreiche Angriffsmuster an den Tag legen. Denn sie sind mit dem Standard-Schuss nur sehr umständlich zu treffen und sobald ihr das richtige Spielzeug mitbringt, bleibt euch kaum Zeit, die verschiedenen Angriffe überhaupt zu sehen.

Das Leveldesign ist zum Glück etwas besser, wobei es sich höchstens auf dem Niveau späterer Mega-Man-X-Teile befindet. Es ist passabel und überzeugt stellenweise sogar mit guten Konzepten wie dem Kampf gegen einen Scharfschützen, der den gesamten Level überblickt und euch permanent unter Feuer nimmt. Viel zu oft bestehen die Areale jedoch bloß aus zusammengewürfelten Ideen alter Mega-Man-Titel. Fast jedes Element scheint man irgendwo schon einmal gespielt zu haben und bis auf die zuvor erwähnten Ausnahmen versucht Mighty No. 9 gar nicht erst, aus dem Schatten des blauen Bombers herauszutreten.

Eines der besseren Level-Konzepte.Auf YouTube ansehen

Einzig und allein die Neuerung des Boosts rettet Comcepts Abenteuer vor der endgültigen Belanglosigkeit. Ohne irgendwelche Restriktionen darf Beck per Knopfdruck über den Bildschirm dashen und das sogar mehrfach hintereinander. In der Luft verliert ihr zwischen den Geschwindigkeitsschüben nur unwesentlich an Höhe, wodurch man große Flächen problemlos ohne Bodenkontakt bewältigt. Zudem absorbiert Beck dabei geschwächte Gegner, sollte er diese während des Boosts berühren. Als Belohnung erhält der putzige Roboter für kurze Zeit ein kleines Status-Upgrade wie erhöhte Feuerkraft.

In seinen schönsten Momenten fliegt man so förmlich von einem Feind zum nächsten und erreicht wenige Minuten später unbeschadet den Boss. Zwar muss man dafür den Level mehrere Male wiederholen, aber es kann sich lohnen, nach ein paar hartnäckigen Versuchen den perfekten Flow zu erreichen und in einer langen Combo das Areal mit dem wohl verdienten S-Rang abzuschließen. Doch auch hier zeigen sich erneut dunkle Risse in der spaßigen Speedrun-Action. Von allen Waffen sticht nämlich eine ganz besonders hervor. Cryosphere friert jeden Feind in wenigen Schüssen ein und erhöht das Zeitfenster für eure Combo. Außerdem füllt sich die für das Abfeuern benötigte Energie nach jedem erfolgreichen Absorbieren. In keiner Situation ging mir die Munition aus und bis auf die Bosskämpfe musste ich nie eine andere Waffe einsetzen. Nicht, dass ich das gewollt hätte. Denn der Wechsel zwischen euren Fähigkeiten ist ein Krampf. Haltet eine Taste gedrückt, um dann mit einem weiteren Knopf zum nächsten Werkzeug zu springen. Eine Schnellauswahl existiert, mehr als drei Waffen könnt ihr darüber allerdings nicht verteilen. Vielleicht sind deswegen fast alle Mordinstrumente so nutzlos.

Eigentlich mag ich Eis-Level. Den hier nicht so sehr.

Mighty No. 9 ist trotz der vielen Warnsignale im Vorfeld eine herbe Enttäuschung. Zwar spielt es sich gut, zeigt stellenweise interessante Ideen und für Speedrunner ist die Dash-Funktion ein Geschenk Gottes. Dagegen ist das Leveldesign in den meisten Situationen nicht mehr als unterster Durchschnitt, die Bosse könnten nicht weniger balanciert sein und obendrein ist die technische Umsetzung auf den meisten Geräten eine mittelschwere Katastrophe. Während die PC-Version ganz gut funktioniert, gab es trotz der selbst zu PS2-Zeiten peinlichen Optik mehrfach Einbrüche der Bildrate auf den neuen Konsolen. Die Wii-U-Fassung traf es wohl am schlimmsten und könnte fast als unspielbar bezeichnet werden. Selbst der Multiplayer, für den die Veröffentlichung des Spiels um mehrere Monate nach hinten verlagert wurde, funktioniert kaum und lässt euren Charakter gerne mal nach unsichtbaren Leitern greifen.

Ja, das Spiel ist erschienen und hätte ehrlich gesagt wesentlich schlimmer ausfallen können. Aber bei all dem PR-Desaster rund um die Entwicklung und in Anbetracht der Tatsache, dass Mighty No. 9 eine qualitativ gleichwertige Fortführung des Mega-Man-Franchises hätte werden sollen, kann man das Endergebnis nur als gescheitert abstempeln.

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Björn Balg Avatar
Björn Balg: Freier Autor und wahrscheinlich der letzte Mensch ohne einen Facebook-Account. Liebt Trash und verbringt zu viel Zeit mit dem Ansehen von Katzenvideos.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Mighty No. 9

PS4, Xbox One, PS3, Xbox 360, PlayStation Vita, Nintendo Wii U, PC, Nintendo 3DS

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