Minecraft: Xbox 360 Edition - Test
Ist das noch Freiheit? Oder nur ein besonders großer Käfig?
Dies wäre eigentlich ein einfacher Test gewesen. Nach gut zwölf extrem unterhaltsamen Stunden mit der oft verschobenen "Xbox 360 Edition" von Minecraft (1600 MS Punkte) festgestellt, dass Xbox-Usern hier eine tolle Zeit bevorsteht, Link zum Test der PC-Version und dann noch kurz auf die Unterschiede in Technik und Steuerung eingegangen. Und schon weiß der Leser fast alles, was sich zu wissen lohnt, abzüglich der unersetzlichen eigenen Erfahrungswerte natürlich, aus buchstäblich Nichts alles Mögliche zu machen. Daher am Ende noch mal, weil es so toll war, einen in Herzblut auf flammendem Blümchenpapier geschriebenen Liebesbrief an die nie enden wollende Spielwiese Minecrafts anhängen und dann ... oh. Dann endet sie auf einmal doch.
Ich bin kein Programmierer und es gibt sicherlich einen guten, technisch vollauf nachvollziehbaren Grund, warum man von etwa der Mitte der Karte loslaufend, nach spätestens fünf Minuten vor eine ebenso unsichtbare wie undurchdringliche Wand läuft. Es ist nur leider so, dass Minecraft viel von seiner Faszination daraus zieht, dieses eine, große Spiel ohne Grenzen zu sein. Ein Spiel, dessen einzige Wände die sind, die ihr selbst aufstellt und zu dem Architekturprojekt zusammensetzt, das euch in dieser Woche so durch den Kopf spukt. Eines, in dem man problemlos seine maßstabsgetreue Snake-Mountain-Nachbildung satthaben kann, die Koffer packt und so weit gen Westen marschiert, dass man ohne Karte, Brotkrumen und abgewickeltem Strickpulli nie, nie, nie wieder zurückfindet. Muss man auch nicht. Baut man sich eben woanders zur Abwechslung vielleicht mal einen richtigen Berg. Das Matterhorn zum Beispiel.
Wie sehr diese Grenzenlosigkeit den Charakter dieses Sandkastens ausmacht, merkt man erst, wenn man sich unversehens das erste Mal den quaderförmigen Schädel hart an der stumpfen Kante dieser Welt stößt. Die ist nämlich tatsächlich nur so groß, wie der Kartenausschnitt, den ihr von Anfang an in eurem Inventar findet und der mich eigentlich schon viel früher misstrauisch hätte stimmen müssen. Ab diesem Moment stirbt der Entdecker in euch jedenfalls ein kleines Bisschen, mit jedem Spatenstich, den ihr tut, und mit jedem Hügel, hinter dessen Kuppe ihr schaut. Seid ihr eures Gefängnisses, das keines hätte sein sollen, eigentlich sogar "dürfen", erst einmal gewahr, implodiert auch eure Neugierde.
Bis man dieses unschöne Erlebnis macht, kann man aber eine ganze Weile den gleichen Spaß haben, wie im wegweisenden Original. Das Xbox-Minecraft ist zwar inhaltlich nicht auf dem Stand der PC-Version, aber irgendwo mussten die Umsetzungsbeauftragten von 4J ja anfangen. Oberste Priorität dürfte eh gehabt haben, das auf Maus und Tastatur samt zehn Hotkeys für den Schnellzugriff auf Items und Ressourcen zugeschnittene Steuerungsmodell auf den Controller zu übertragen. Das ist den Verantwortlichen gut gelungen. Besonders das Crafting-System, bei dem man die Zutaten seinerzeit auf einem drei mal drei Felder großen "Werktisch" in bestimmten Formen arrangieren musste, wurde entschlackt. Ihr wählt nun schlicht, was gebaut werden soll und der "Crafting-Table" zeigt euch an, welche Erze, Kristalle oder sonstigen Gegenstände fehlen. Das interessante Meta-Spielchen, auch mal per Zufall eine neue Kombination zu entdecken, die ein bisher ungekanntes Item ausspuckt, geht zwar ein bisschen verloren, dafür wäre es mit dem Controller aber viel zu fummelig geworden. Ich bin unterm Strich froh, dass sie es geändert haben.
Der Wechsel zwischen den Items im Spiel selbst wird nun über die Bumper geregelt. Eine Änderung, die den Komfort der Vorlage natürlich nicht replizieren kann. Irgendwann legt man seine wichtigste Ausrüstung aber so auf die Leiste, dass sie immer nur wenige Klicks der rechten oder linken vorderen Schultertaste entfernt ist. Allgemein gelingt gerade das Bauen auch mit dem Joypad noch sehr bequem. Das behutsame Tutorial nimmt den ersten Stunden in dieser unwirtlichen Welt zudem ein wenig den Schrecken und kompensiert hervorragend für die Tatsache, dass man auf dieser Plattform nicht so leicht mit Alt + Tab ein Blick auf die nebenbei geöffnete Minecraft-Wikia-Seite werfen kann.
Von der Umsetzung zurück zum Inhalt: In Sachen Umfang haben wir es hier mit der Konsolen-Entsprechung der Beta-Version 1.66 zu tun. Kühe und Hühner werfen noch kein Fleisch ab, die Dschungel- und Sumpf-Biome werdet ihr hier nirgends finden, genauso wenig wie NPC-Dörfer und alle anderen Inhalte des "Adventure Updates" 1.8. Auch auf automatisierte Kolben für raffiniertere Maschinen muss man vorerst verzichten, dafür entlocken euch die furchtbaren Endermen wohl erst in einer späteren Version schulmädchenhafte Schreie.
Ansonsten ist rein mechanisch aber schon das Meiste vorhanden, was man so braucht, um sich als Entdecker, Architekt, Abenteurer oder einfach nur als Überlebender seines ganz persönlichen Lost-Flugzeugabsturzes zu fühlen. Dank Nether-Portalen - deren Schnellreise-Funktionalität durch die vergleichsweise mickrige Weltkarte an Gewicht verliert -, den diversen Schienensystemen und dem mächtigen Crafting-Tool habt ihr auch hier schon im Kern die wichtigsten Mittel für die ersten ein, zwei Dutzend Stunden zur Hand. Nach allem, was man so hört, haben die Entwickler mit Microsoft eine bislang beispiellose Abmachung getroffen, die ihnen einen deutlich schnörkelloseren Update-Prozess erlaubt als anderen Xbox-LIVE-Veröffentlichungen.
Man kann also durchaus davon ausgehen, dass Minecraft eher früher als später den aktuellen Funktionsumfang der PC-Version erreicht. Nicht, dass die sich groß auf ihren Lorbeeren ausruhen würde, aber zumindest von einer Annäherung beider Ausgaben ist auszugehen. Zudem, ein nicht zu verachtender Teil des Phänomens Minecraft rührte von der Tatsache her, dass die Community spielend an der Entstehung des Titels teilhatte, sie verfolgte und durch umfassende neue Inhalte immer wieder in das Erlebnis hineingesogen wurde. Mit jedem neuen Feature wachsen die Spieler gemeinsam mit dem Spiel, ändern ihre Art zu spielen und die Augen, mit denen sie diese Welt sehen. Die vielen versprochenen Updates stimmen optimistisch, dass man auf Xbox zumindest annähernd Ähnliches erlebt.
Technisch flutscht das auf Java basierende Spiel ziemlich fix über den Bildschirm, was einen zwar angesichts der kubistischen Optik keine Bauklötze staunen lässt, aber trotzdem die Erwähnung wert ist. Diese Welt geht auch in geschrumpfter Konsolenform noch ganz ordentlich in Höhe und Breite. Und auch die große Tiefe ihres Erdreichs mit jedem einzeln simulierten Block, vergessenen Höhlen, unterirdischen Wasserfällen, Lavaströmen und Monstern, verleiht ihr eine Komplexität, wie sie wenige andere Spiele kennen.
Während man auf die angekündigte, aber noch nicht implementierte Kinect-Unterstützung noch warten muss - was mir nicht gerade schwerfällt - ist der Vier-Spieler-Modus, der wahlweise auch im Splitscreen gemeinsam vor der Couch erlebt werden darf, eine wirklich fabelhafte Neuerung. Es läuft sogar noch recht ansehnlich. Offline oder auch online zusammen an einem fliegenden Pandabären zu basteln, ist eine ziemlich verbindende Erfahrung. Irgendwann muss einer wieder unter Tage, um einen bestimmten Rohstoff zu finden, macht dort aber eine tolle Entdeckung, fällt in eine Erdspalte, mauert sich ein, weil er von Creepern und Skeletten umstellt wurde, nur um nun auf die Rettung durch seine Kollegen zu warten. Auch zu viert schreibt dieses Spiel nicht weniger schöne und abenteuerliche Geschichten. Schade nur, dass die jeweilige Welt nur auf der Festplatte des Hosts einer Partie existiert. Alle anderen wirken nur als Gäste mit und müssen draußen bleiben, wenn der Urheber nicht mitspielt.
Minecraft ist auch auf Xbox 360 noch der Stoff, aus dem Lieblingsspiele gemacht werden. Auf der Microsoft-Konsole kommt er nur leider nicht mehr von der endlosen Rolle. Anstatt auf ewig fremd und mysteriös zu bleiben, sind die kleineren Maps irgendwann erfasst und in ihrer Gänze begriffen. Es wird der Punkt kommen, an dem man sich ein wenig eingesperrt fühlt, ausbrechen und eigentlich von vorne anfangen will, dann aber der bitteren Realität ins Auge sehen muss, ein komplett neues Spiel anzufangen. Alles was man bisher geschafft, gebaut, gefunden hat, ist damit auf einmal irgendwie ein bisschen entwertet.
Wer es noch nicht auf dem PC oder dem Mac gespielt hat, empfindet das vielleicht anders - und hat trotzdem kaum eine Ausrede, es sich nicht in der fertigeren, besseren Version für Personal-Computer zuzulegen. Besteht ihr jedoch auf das Konsolenerlebnis, ist Minecraft immer noch eines der besten Spiele für Überlebens- und Sterbenskünstler, das ich mir vorstellen kann. Wie viele Spiele kennt ihr schon, in denen zugleich alles und gar nichts passieren kann? Richtig.
In diesem Sinne: Es gibt nichts zu tun. Packen wir es an!