Mittelerde: Schatten des Krieges - Jetzt auch mit Drachen
Lieber einen Ork in der Hand als einen Troll auf dem Dach.
Für aufrichtig von ihrer Arbeit überzeugte Entwickler ist die Präsentation zentraler Spielelemente gleich in mehrerlei Hinsicht eine Form der Katharsis. Alle paar Monate weichen strenge Geheimhaltung und stete Unsicherheit darüber, ob man seine durchgeschufteten Wochenenden womöglich doch lieber in etwas Freizeit hätte investieren sollen, der Möglichkeit, einem breiten Publikum die Früchte der eigenen Arbeit zu präsentieren. Ich habe dieses Gefühl nie selbst erlebt, aber mit genügend Entwicklern gesprochen, um ihnen zu glauben, dass es bis auf Sex und Fliegen kaum etwas Besseres gibt.
Im Fall von Mittelerde: Schatten des Krieges war es zuletzt aber nicht immer so ganz ersichtlich, ob die beinahe pathologische Beschränkung auf die elaborierten Burgeroberungen aus fehlgeleitetem Stolz rührten oder gar Ausdruck fehlender Inhalte waren. Das Einnehmen der bis unter die Zinnen bewaffneten Festungen fußt auf einem beeindruckenden System, ist opulent inszeniert und spielerisch durchdacht, alles prima soweit. Aber nach zwei ausführlichen Vorschauen bei uns und etlichen weiteren in anderen Magazinen hat das so langsam auch der Allerletzte verstanden. Ein Ausblick auf das große Ganze war überfällig, ein Eindruck des eigentlichen Fundaments, das von den Eroberungen nur erweitert, nicht getragen werden soll. Und genau den gab Warner nun.
Das erste Mittelerde etablierte quasi aus dem Stand eine beeindruckend kohärente, eng mit den Spielmechaniken verzahnte Welt, wofür es sich offensichtlicher Genre-Versatzstücke bediente. Die Grenze zwischen Hommage und Kopie verwischte schon mal, wenn Weltenwandler Talion etwa den wunderbar rotzigen Orks nach rhythmischen Tasteneingaben beinahe ebenso behände einen neuen Scheitel zog, wie es Batman seit Jahren in den Arkham-Spielen tat. Auch die obligatorischen Ubi-Türme waren vorhaben, ebenso viele weitere Zutaten, aus denen sich moderne Open-World-Spiele nun mal so zusammensetzen.
Für all das erhielt Monolith seinerzeit einen anerkennenden Klaps aus den Rücken und den gutgemeinten Hinweis, beim damals erhofften und inzwischen fast greifbaren Nachfolger noch etwas mehr auf Eigenständigkeit zu setzen. "Etwas", weil das Nemesis-System bereits ein sehr ordentlicher Schritt in diese Richtung darstellte und was läge näher, als die alte Stärke mit der neuen zu kombinieren?
"Unsere Welt reagiert auf die Aktionen der Spieler" ist normalerweise eine jener PR-Floskeln, bei der alle Bullshit-Bingo-Alarmglocken mit größtmöglicher Zuverlässigkeit schrillen. Hier allerdings ist sie durchaus angebracht, denn das komplexe Geflecht zwischen euch und den hierarchisch organisierten Ork-Armeen beschränkt sich nicht länger nur auf ein paar böse Blicke beim nächsten Wiedersehen. Habt ihr mit einem Ork bereits die Klingen gekreuzt und das Pech, ihn davonkommen zu lassen, merkt er sich nicht nur eure Visage und nimmt beim nächsten Aufeinandertreffen darauf Bezug. Sollte sich der Kerl in der Zwischenzeit durch Ork-Ränkespiele zu einem besonders hohen Tier innerhalb seiner Gesellschaft aufgeschwungen haben und eine eigene Festung kommandieren, so stampft er diese nach seinen persönlichen Vorstellungen aus dem Boden. Die Persönlichkeit des Kommandanten beeinflusst verschiedene Aspekte seiner Burg, von der taktischen Ausrichtung bis hin zum Design. Ausreichend Varianz und Festungen innerhalb Mordors vorausgesetzt, beschränkt sich das Nemesis-System also nicht mehr ausschließlich auf die erneut wunderbar vielseitig gestalteten Orks, sondern große Teile der Spielwelt.
Es wäre ein wichtiger Funken Originalität und Individualität einer sonst weitestgehend graubraunen Welt. Zugegeben, visuelle Tristesse ist einem Spiel, das nun ausgerechnet im kargen Mordor angesiedelt ist, gewissermaßen in die Wiege gelegt. Dennoch hätte sich Monolith beim Erstling ruhig stärker auf ihre künstlerische Freiheit berufen können, um Tolkiens Vision einer unwirtlichen Steppe zumindest um eine Handvoll landschaftlicher Reize zu ergänzen. Schwer zu sagen, inwiefern die Fortsetzung daran etwas ändert. Auch wenn Warner die Leine endlich ein wenig lockerer und uns erstmals einen halbwegs repräsentativen Spielabschnitt untersuchen ließ, war der Kartenausschnitt der Demo stark begrenzt.
Neben blubbernden Lavaflüssen und zerklüfteten Landschaften beherbergte dieser aber vor allem mehr und komplexere Strukturen als früher, kleine wie große Siedlungen, die wenigsten davon sonderlich einladend - Orks halt. Wenn schon nicht viel aufregender, ist die Welt - sofern sich dieser Eindruck auf das gesamte Spielgebiet skalieren lässt - zumindest in einer höheren Frequenz besiedelt und um einiges vertikaler errichtet. Ihr werdet trotzdem oft stoisch mit Scheuklappen an fluchenden Orks vorbei auf das nächste Ziel zustapfen, den Blick eher auf die überfrachtete Minimap als irgendein Panorama am Horizont gerichtet.
Hinter dieser vordergründigen Gleichförmigkeit verbarg sich 2014 noch eine symbolische: Nicht nur die Landschaft Mordors war bisweilen arm an echten Highlights - das, was euch dieser Spielplatz an Beschäftigungen bot, war es häufig ebenfalls. Dieses Problem monotoner Strichlisten-Aufgaben ist keinesfalls auf Mordor abonniert, es fällt hier eben nur stärker ins Gewicht, weil Monolith diesen Makel nicht mit einer ausschweifenden Kulisse kaschieren kann, wie es Assassin's Creed etwa seit, nun, immer tut.
Unter den gut zwei Dutzend Quest-Symbolen der Demo verbarg sich eine Nebenaufgabe, die Talion auf dem Rücken eines Drachen durch Straßenschluchten laufende Orks brutzeln ließ. So ziemlich genau die Definition dessen also, was man sich unter einer aufregenden Nebenmission vorstellt. Dass diese Aufgabe exakt am Startpunkt und damit nahezu unübersehbar platziert war, lässt auf Warners Hoffnung schließen, alle anwesenden Redakteure des Anspielevents in Hamburg mögen doch bitte exakt diese Szene in ihren Berichten heraufbeschwören. Bitte, ist hiermit geschehen - allerdings nicht ohne einen Verweis auf die vielen "Töte 40 Uruks"- und vergleichbaren Beschäftigungstherapien drumherum, die jeder findet, der ein bisschen tiefer in der Karte gräbt. Es ist eben alles eine Frage der Highlight-Frequenz: Nun wird ein Drachenritt kaum an jeder Ecke warten, aber allein dieses Jahr haben Open-World-Spiele mit Breath of the Wild und Horizon einen (längst überfälligen) Sprung nach vorn gemacht. Mehr als die Ausnahme von der Regel sollte die Wyvern-Flugstunde also schon sein.
Insofern: Ja, Mittelerde: Schatten des Krieges hat seine Systeme nach wie vor bestens im Griff, so diese Frage denn überhaupt je ernsthaft zur Debatte stand. Es ist alles ein wenig aufgeräumter, vorher etwas überfrachtete Mechaniken wurden dezent neu arrangiert - nur hat Monolith ihnen bis auf die so prominent beworbenen Burgeroberungen wenig neue hinzugefügt. War es wirklich das, wovon Produzent Michael de Plater sprach, als er endlich aus den Vollen schöpfen wollte nach der Blaupause, die das vorangegangene Mordors Schatten als erstes Open-World-Adventure für Entwickler Monolith zwangsläufig sein musste?
Die finale Antwort ist weiterhin auf die Veröffentlichung am 10. Oktober vertagt, doch letztlich reden wir hier ohnehin nur von Nuancen. Mittelerde wirkt nach dem Anspielen wie eine absolut prototypische Fortsetzung, im guten Sinne. Selbst wenn es als solche ein wenig konservativ wirkt, reden wir damit doch fast automatisch von einem guten Spiel, was einmal mehr zeigt, wie hoch bereits die Qualität des Vorgängers war.
Entwickler/Publisher: Monolith Productions - Erscheint für: PS4, Xbox One, PC - Geplante Veröffentlichung: 10. Oktober 2017 - Angespielt auf Plattform: PC