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Mittelerde: Schatten des Krieges - Wie haben die den Riesen auf den Turm gekriegt?

Festungskriege von und für Orks.

Man muss es ihnen lassen: Ork-Architekten machen den Zwergen langsam echt Konkurrenz. Ich würde wetten, dass die Statik noch nicht perfektioniert war, als sie den Riesentroll das erste Mal auf den Turm bewegt haben. Turm, Tor und Troll stürzten garantiert spektakulär in sich zusammen. Aber sie sind hartnäckig. Sie versuchten es wieder. Und wieder. Und wieder. Und irgendwann hatten sie den Trick raus. Alles blieb stehen. Auf jedem der beiden Türme stand ein Gigant, den sie wahrscheinlich mit einer komplizierten Seilkonstruktion nach oben bugsiert haben - man mag sich gar nicht vorstellen, wie viele Ork- und Riesenleben das kostete, oh the orkanity! Mächtig und etwas gelangweilt thronten die beiden mit ihren Reitern und gewaltigen Katapulten auf dem Rücken dort oben. Tag um Tag, Jahr um Jahr warteten sie auf die große Schlacht, während Tonnen an Futter nach oben verfrachtet wurden und Tonne um Tonne wieder nach unten fiel.

Als dann der Tag endlich kam, an dem der mysteriöse Ranger und seine Armee ihm magisch gehorchender Orks, Goblins und Trolle vor den Toren standen, setzten die beiden Giganten auf den Türmen an, ihre ersten Bolzen zu verschießen. Nur um eine Sekunde später bemerkenswert spektakulär zu explodieren. Ein letztes Mal fielen Futter- und Riesenreste nach unten. Vielleicht war es nicht die beste Idee, den Riesen die Tanks mit dem explosiven Öl für die Feuerbolzen gut sichtbar auf die Schultern zu montieren, wo ein geübter Ranger sie mit zwei gut gezielten Pfeilen sofort zur Explosion bringen kann...

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Sorry, aber ich fand es sehr lustig. Dass die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit ausgerechnet bei der zu klar zu erkennenden Grenze zwischen der Plausibilität einer Ork-Festungsanlange und der gut sichtbaren Klickposition des Leveldesigners ansetzt, wer hätte es gedacht? Also erfreute ich mich an dieser Dissonanz in der inneren Weltenlogik des neuen Mittelerde: Schatten des Krieges, Nachfolger zu Schatten von Mordor. Aber keine Sorge, die folgende Schlacht hatte mehr Highlights zu bieten als nur eine fragwürdige Gegnerplatzierung.

In dem Open-World-Spiel macht ihr auch das, was ihr im letzten Titel tatet, nämlich durch die große Welt wandern, Ork-Patrouillen auflauern, NPCs aushelfen und überhaupt große Unruhe in die Reihen des Feindes bringen. Dabei könnt ihr mit den ringbasierten magischen Fertigkeiten nicht nur jede Menge netter Kampfmanöver wie Teleportattacken und multiple Schläge in der gleichen Sekunde ausführen, sondern auch Orks, Goblins und andere Gestalten dieser Art belästigen. Kleinere Einheiten könnt ihr nach wie vor direkt angehen, ihre Vorgesetzten müsst ihr erst schwächen. Dann jedoch könnt ihr mit einem magischen Todesgriff Informationen aus ihnen herausholen, sie umbringen und ihre Lebensenergie rauben oder - meist viel sinnvoller - sie auf eure Seite zwangsrekrutieren. Bei einem kleinen Feld-Ork ist das nicht ganz so relevant, mehr eine Ablenkung für den Gegner. Aber einen Feldherrn umzudrehen, das bringt euch nicht einen Ork, das bringt euch einen Kampftrupp. Ein paar davon zusammen und ihr habt plötzlich eine Armee. Was uns zurück an die Tore und Türme mit den Riesen obendrauf bringt.

Die Festungen stürmt ihr demnach nicht im Alleingang, jedenfalls wenn ihr nicht einfach nur ein paar kleinere Attentate in den Mauern vorhabt. Stattdessen, offenbar ein wenig in das Spiel hinein - die Demo zeigte einen Teil etwa aus der Mitte -, geht ihr zu einem möglichen Versammlungspunkt vor den Toren. Hier beginnt ihr diese in sich geschlossene Mission, indem ihr euch genau anschaut, was der Verteidiger zu bieten hat und was ihr dagegensetzen könnt. Auf beiden Seiten gibt es verschiedene Feldherren und Offiziere, alle mit ihren eigenen Specials, Fertigkeiten, Schwächen und Stärken. Diese gilt es natürlich im Vorfeld schon ein wenig zu kontern. Wenn der Feind verfluchte Truppen einsetzt, nehmt ihr jemanden mit, der dagegen möglichst immun ist. Natürlich nur, wenn eure Armee so etwas zu bieten hat. Setzt der Feind Speerträger ein, sind Wolfreiter nicht die beste Wahl und so weiter. Danach folgt der übliche Trashtalk vor den Toren und es geht los.

Für eine erfolgreiche Eroberung müsst ihr mehrere Punkte nacheinander einnehmen, indem ihr hier genug Feinde tötet oder gleich den dort platzierten feindlichen Offizier erledigt, umdreht oder einfach nur in die Flucht schlagt - auch das gibt es und ihr könnt fast sicher sein, dass er euch eines Tages wieder mal vor die Klinge läuft. Im Kampf selbst gab es nur eine Sache, die mich auf die Palme brachte: der Assassin's-Creed-Faktor. Immer wieder kam es vor, dass ich in den manchmal etwas engeren Burggängen plötzlich anfing, eine Wand hochzuklettern, statt was auch immer zu tun. Dann hing ich da erst mal kurz, bevor ich mich wieder fallenlassen konnte. Was auch immer gerade zu tun war - einem Feind den Todesstoß zu geben, das kurze Zeitfenster zu nutzen, um einen Offizier umzudrehen -, es hatte sich für den Moment erledigt.

Davon abgesehen hatte ich nach kurzer Eingewöhnung in das Timing richtig Spaß, schlicht, weil so viel drumherum passierte, dass es sich wirklich wie eine Schlacht anfühlte. Oben kreiste ein Drache, mein Offizier und der Gegenpart standen sich im Duell gegenüber, eine frische Gruppe Gegner stürmte aus dem hinteren Festungsteil heran, ein Troll marodierte hindurch. Es war genau die Art von Chaos, die so etwas sein muss. In solchen Momenten gilt es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Arbeitet euch zum wichtigsten Feind vor, rollt viel ab und achtet auf die Konter-Quick-Time-Logos, um hier und da schnell noch einen extra auszuteilen. Steht ihr dann im Kampf mit dem Gegner, an den ihr wirklich heranwollt, ist das natürlich die Essenz, da ihr regelmäßig von allen Seiten attackiert werdet, solltet ihr mit eurem Trupp zuvor nicht etwas Ruhe reingebracht haben. In diesem Fall könnt ihr euch natürlich leichter mit euren gefährlichsten Widersachern befassen.

Die gegnerischen Offiziere sind immer Teil des Nemesis-Systems, das wie schon in Schatten von Mordor ein komplexes Netzwerk aus Beziehungen und Hierarchien der gegnerischen Armee zeigt. In der Regel: Je weiter oben sie stehen, desto gefährlicher sind sie, aber das bedeutet nicht, dass die unteren Ränge nichts könnten. Die Vielfalt ist groß, vom starken, langsamen Troll bis zum kleinen, schnellen Goblin ist alles und noch mehr dabei. Dazu kommen Dutzende persönlicher Stärken und Schwächen. Tötet ihr einen dieser Anführer oder werdet selbst getötet, beginnt sich die Hierarchie zu verschieben. Leere Plätze werden aufgefüllt, indem untere Ränge nachrücken. Dabei gibt es auch schon mal Streitigkeiten und mehr Ork-Köpfe rollen, sodass neue Krieger in die Arena dieser Armeestruktur steigen. Sollte es euch erwischen, vergeht etwas Zeit, bis ihr wiederbelebt werdet. In dieser Zeit guckt euer siegreicher Gegner, ob sein neuer Ruhm nicht seine Position verbessert. Auch hier findet wieder ein Neuarrangieren der Ork-Struktur statt.

All das hat den Zweck, euch nicht nur gesichtslose Feinde zu präsentieren, sondern ein paar über die Zeit gereifte, würdige Widersacher zu geben - Nemesis ist ein ungünstiger Begriff, schließlich gibt es dafür keinen Plural, ganz im Gegensatz zu Ork-Gegnern. Diese werden mit der Zeit stärker, erwerben neue Fertigkeiten, verschanzen sich immer weiter hinter einer großen Truppenzahl. Irgendwann endlich einen von ihnen in die Finger zu bekommen, das soll etwas sein, wofür ihr eine Weile einen Feind bekämpft habt, der kein Unbekannter mehr ist. Es kann sogar sein, dass ihr einen niederen Offizier in irgendeiner frühen Schlacht entkommen lasst und er euch viele Stunden später erneut begegnet. Diesmal hinter starken Mauern und mit einer Armee vor ihm.

Das Nemesis-System lässt sich in so einer Demo nur lose anreißen, aber der erste Eindruck war noch besser als im Vorgänger. Oder zumindest machte es einen komplexeren Eindruck, der etwas übersichtlicher in den Menüs strukturiert war. Wie es sich über die Zeit auswirkt, das muss das Spiel später zeigen. Erst mal zurück zur Schlacht. Eure wichtigste Waffe sind Pfeile, die netterweise wieder überall auf der Karte verteilt sind. Ihr habt eine begrenzt verfügbare Zeitlupe, und das in Kombination reichte, um einen Drachen zu Fall zu bringen. Leider landete er auf einem der hervorragend konstruierten Türme und blieb dort benommen liegen. Wäre er mir angeschlagen vor die Nase gefallen, hätte ich auf einem Drachen reiten können. Fliegen? Weiß ich nicht, aber selbst am Boden wäre das Ungetüm eine veritable Bereicherung meiner Armee gewesen. So begnügte ich mich damit, einen der Riesen zu kapern und damit den Hulk zu machen.

Schließlich waren alle drei Posten erobert, drei feindliche Feldherren umgedreht oder tot und der Weg ins Burginnerste frei. Der Thronsaal steht offen und der Ranger geht hinein. Wenn man von Rangern etwas weiß, dann dass ihnen die richtige Dramaturgie über alles geht. Also geht er allein hinein. Ohne seine Armee... Ernsthaft, was soll das? Ich habe eine Armee. Ich habe die Reste eines Drachen. Ich habe, was auch immer dieses Etwas mit der Riesenkeule ist, auf dem ich reiten und alles plattklopfen kann. Aber nein. Mister "Mehr Poser als Legolas" geht rein, um das "ehrenvoll" zu klären. Wozu? Ich habe meine ganze Armee mit dunklen Mächten in Form eines korrumpierten Rings aus Mordors Temple of Doom zwangsrekrutiert und versklavt! Während des Kampfes habe ich Dutzende meiner eigenen Leute mit meiner Vampir-Regenerationsfertigkeit ausgesaugt und als wandelnde Medipacks missbraucht. Ein paar von ihnen habe ich von hinten erdolcht. Nur so. Ich denke, dass wir hier "Ehre vor der Truppe" lange hinter uns gelassen haben. Aber okay, es muss wohl einen Boss geben, und das ist Tradition, die bekannterweise oft genug stärker als Logik ist. Es ist ein guter Bosskampf. Viele Orks sterben in dem Saal, viele schwache Bogenschützen werden per Teleportpfeil attackiert und für Lebenspunkte ausgelutscht, viele Konter werden geschlagen und schließlich liegt der feindliche Feldherr tot am Boden. Es war ein guter Tag in Mittelerde und es geht nichts über den Duft von geröstetem Riesen am Morgen.

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Die Burgeroberung zeigte sicher alle relevanten Aspekte des Kampfes in Mittelerde: Schatten des Krieges. Abgesehen von ein, zwei Logiklöchern, die gerade in einem Fantasy-Setting möglichst lange und ausführlich lamentiert werden müssen, und gelegentlich unfreiwilligen Assassin's-Creed-Ausflügen irgendwelche Wände hoch gibt sich das wundervoll chaotische Schlachtengetümmel keine Blöße. Euer Ranger hat viele Fertigkeiten, es gibt viele Umgebungsvariablen, zig verschiedene Feinde mit eigenen Attributen, Drachen und Riesen. Dazu eine Steuerung, die es euch erlaubt, in dem Durcheinander die Kontrolle zu bewahren. Glücklich schnetzelt man sich durch den Feind, manchmal auch durch den Freund. Freut sich über einen starken Gegner, den man mit einem glücklichen Treffer schwächte und dann umdrehte. Ärgert sich, dass ein anderer Treffer den eigenen Ranger auf die Knie brachte, und möchte fast dem Retter in Form des Eingreifens eines "befreundeten" Orks danken. Bevor man sich daran erinnert, dass dies alles auch nur umgedrehte Feinde sind, und ihn opfert, um an ein wenig Lebensenergie zu kommen.

Schatten des Krieges baut mit seinem Kampfsystem auf den Stärken des Vorgängers auf und technisch beeindruckt vor allem die Illusion einer "realen" Schlacht, in der sich links und rechts von euch auch kleine Dramen abspielen. Das Nemesis-System erfüllt auf diesem Level seine Pflicht und gibt euch würdige Gegner, von Drachen und Riesen mal abgesehen. Das alles sagt herzlich wenig über das Open-World-Spiel aus. Es zeigt jedoch gut, dass die Grundlagen nach wie vor stimmen, sinnvoll optimiert wurden, sich alles schlicht und ergreifend gut spielt und dabei eine hohe Komplexität in euren Kampfoptionen wahrt. Mittelerde: Schatten des Krieges scheint mitzubringen, was es braucht, um der große Blockbuster dieses Spätsommers zu werden.


Entwickler/Publisher: Monolith Productions / Warner - Erscheint für: PC, Xbox One, PS4 - Geplante Veröffentlichung: 22. August 2017 - Angespielt auf Plattform: PS4

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