MotoGP 24 im Test: Ab sofort steht ihr unter Beobachtung der Rennkommissare!
Hoëcker, sie sind raus!
Was die Stewards sagen, ist Gesetz. Ihr Urteil hat im Rennsport oberste Priorität. Etliche Piloten können davon ein Lied singen – nicht immer eine Jubelarie. Auf jeden Fall fehlt diese Instanz in den meisten Simulationen, wo es mal mehr, mal weniger konsequente Strafen für das Überfahren der Streckenbegrenzung oder Unfälle gibt, aber eben keine Rennkommissare.
Warum ich so einleite, dürfte klar sein. Denn in MotoGP 24 gibt es sie: Stewards, die sich Zwischenfälle anschauen und mal sofort, mal nach kurzer Untersuchung eine Strafe verhängen, falls sie einen Schuldigen feststellen. Das kann eine Warnung sein oder die Aufforderung, dass man eine auf linke Art ergatterte Position zurückgeben muss.
Natürlich beruht das Ganze auf denselben Berechnungen, die anderswo lediglich Strafen verhängen. Die Nachricht, dass ein Vorfall zunächst untersucht wird, und die folgende Aufforderung zu einer Long Lap setzen sich aber anders im Kopf fest als die Textnachrichten in den Vorgängern. Das funktioniert zwar nicht perfekt, wenn eine Fehlentscheidung zum Beispiel dafür sorgt, dass man nach dem Abkürzen einer kompletten Schikane und gleichzeitigen Überholen eines Kontrahenten nur eine Verwarnung erhält. Die Stewards verleihen dem Rennverlauf aber eine persönliche und realistische Note.
Persönlichkeit strahlt die lizenzierte Saison des aktuellen Jahres (enthalten sind alle Strecken und Fahrer sowie sechs Kurse vergangener Jahre) außerdem über die Mitteilungen anderer Piloten in einem sozialen Netzwerk aus, auf die man jeweils eine freundliche oder eine kämpferische Antwort geben kann – was sich neuerdings auf Gerüchte um mögliche Personalwechsel auswirkt.
Denn auch die sind neu und sorgen dafür, dass nicht nur auf der Strecke Bewegung ins Fahrerfeld kommt. MotoGP 24 überlässt einem dabei die Wahl: Soll der veränderliche Fahrermarkt von Beginn an aktiv sein, erst vor der zweiten Saison ins Rollen kommen oder will man lieber mit einer festen realen Belegschaft spielen? Schön, dass bei den Wechselgedanken der Konkurrenten sogar die Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen Teams eine Rolle spielen. Immerhin verändern sich die Bikes im Laufe der Jahre ebenso wie die Leistungen der Gegner.
Nicht zuletzt darf man den echten Rennkalender nutzen oder eine beliebige Auswahl an Strecken selbst zusammenstellen – je nach gewähltem Team in der Moto2, Moto3 oder MotoGP, wobei die MotoE später hinzugefügt werden soll. Auch die Länge jedes Rennwochenendes und welches Training beziehungsweise Qualifying man absolviert oder nicht ist stets neu einstellbar. Zusammen mit dem überarbeiteten Menü bedient MotoGP also praktisch alle Vorlieben.
Es ist keine ganz große Karriere, die man hier erlebt. Die wenigen Aufnahmen vor dem Start oder aus der Box wiederholen sich etwa schnell und wirken auf Dauer recht steif. Abgesehen davon hat man keinen allzu großen Einfluss auf die Entwicklung des Teams. Mir gefällt aber der Schwung, den ihr die Neuerungen verleihen, zumal sie nicht von dem ablenken, um das es im Kern letztlich geht: den Duellen auf der Strecke. Und die bekommt MotoGP 24 wie schon anno ’23 richtig gut hin.
Nun war ich lange Zeit nicht der größte Fan von Motorrad-Simulationen. Zum einen kenne ich mich mit motorisierten Zweirädern kaum aus und zum anderen waren die entsprechenden Simulationen stets so schwer zu kontrollieren, dass ich nach kurzen Probefahrten meist keine Lust mehr hatte.
Das ist seit vergangenem Jahr allerdings Geschichte. Denn da hat Milestone clevere Fahrhilfen eingebaut, die so behutsam in die Steuerung eingreifen, dass man sich immer noch als Fahrer fühlt, während man gleichzeitig relativ sicher über den Asphalt rauscht. Denkt an Gran Turismo oder ein etwas anspruchsvolleres Forza Horizon: beides Rennspiele mit hervorragender Physik, die kleine Fehler automatisch korrigieren, sodass man auch ohne besonders gefühlvolle Eingaben um die Runden kommt.
Die muss man selbstverständlich nicht nutzen – oder man stellt sie so stark ein, dass das Bike ganz automatisch bremst und lenkt. Ich bevorzuge den Mittelweg, bei dem Richtungseingaben sowie Bremse und Beschleunigung stabilisiert, aber nicht komplett vom Programm übernommen werden. Außerdem bin ich sehr dankbar über das unbegrenzt verfügbare Zurückspulen, um vor allem Stürze rückgängig zu machen. Nicht zuletzt stehen wahlweise automatische Long Laps, Kupplung sowie das vereinfachte Fahren auf Gras oder Sand und weitere Hilfen zur Verfügung.
Ich hatte das bei Ride 5, Milestones aktuellem Vertreter der Schwesterserie, schon gesagt und ich erwähnte es hier noch mal: Diese Hilfen sind klasse und sorgen dafür, dass ich nach all der Zeit endlich Zugang zu Motorrad-Simulationen gefunden habe! Zumal man auch das Ansprechen zum Beispiel der Analogsticks über etliche Schieberegler an verschiedene Bedürfnisse anpassen darf.
Wobei ich an dieser Stelle auf kleine Ärgernisse hinweisen muss, die mir nach ein paar Tagen durchaus auf den Senkel gingen. Das Spiel merkt sich diese Schieberegler nämlich nicht, weshalb man sie nach jedem Start neu einstellen muss. Abgesehen davon speichert die PC-Version grafische Einstellungen nicht lokal, sondern schiebt sie gemeinsam mit dem Spielstand in die Steam-Cloud. Ich muss daher bei jedem Wechsel zwischen Steam Deck und großem Rechner erst ins Grafik-Setup.
Und wo ich gerade dabei bin: Dass man sich während der Fahrt zwar nach hinten umsehen, aber weder nach links oder rechts blicken kann, ist ein sehr ärgerliches Versäumnis. Man darf den Blick zwar sanft nach links oder rechts vorne schieben, aber das hat mit wirklichkeitsgetreuer Übersicht wenig zu tun.
Tatsächlich wünschte ich, Milestone würde dem Spiel ein Radar spendieren, wie man es aus Gran Turismo oder Assetto Corsa kennt. Eine solche Anzeige an sich wäre natürlich nicht realistisch – der daraus entstehende Überblick aber umso mehr. Auf jeden Fall bin ich dank des Fehlens davon mehrmals auf eine Weise Schulter an Schulter gefahren, die in dieser Art nicht geplant war.
Apropos: Ich bin nicht vollends zufrieden mit dem Verhalten der Konkurrenten. Zum einen rauschen die mitunter etwas zu rücksichtslos in eine Kurve und zum anderen donnern sie bei feuchter Fahrbahn scheinbar unbeirrt weiter, während ich den nachlassenden Grip kompensieren muss.
Ich will gar nicht ausschließen, dass es mir in solchen Situationen lediglich am notwendigen Können fehlt, halte eine etwas zu starke und zu aggressive KI aber ebenfalls für wahrscheinlich. Alles in allem fährt sie sehr anständig mit – gerade, wenn man bedenkt, auf welch unterschiedlichen Linien sich die Zweiräder in Kurve legen! Und sie muss ja oft genug auch meine eigenen Rempler wegstecken; im Ergebnis passt das deshalb. Hin und wieder könnte sie trotzdem eine Idee glaubwürdiger agieren.
Ich habe jedenfalls viele coole Duelle ausgetragen und immerhin wird ein Rennen abgebrochen, wenn die Strecke zu nass ist. Oder man muss an die Box, um auf das Ersatz-Bike mit den Regenreifen zu wechseln. Auch größere Unfälle sorgen für einen vorübergehenden Rennabbruch. Alles in allem finde ich Milestones Kompromiss aus Simulation und Spielbarkeit daher angenehm überzeugend.
Gemischte Gefühle habe ich nur in Bezug auf den dynamischen Schwierigkeitsgrad, der sich automatisch dem Könnern des Spielers anpasst, sodass man zwar stets vorne mitfahren kann, aber immer gefordert wird – was grundlegend ganz ordentlich funktioniert. Oft genug lande ich allerdings plötzlich auf dem letzten Platz oder stehe mit deutlichem Abstand auf der Pole. Und spätestens Letzteres sollte – gesunde Zuversicht hin oder her – nun wirklich nicht passieren.
MotoGP 24 ist sowohl bei Amazon als auch anderen Händlern und natürlich digital erhältlich. Während die Versionen für PlayStation- und Xbox-Konsolen dabei mit knapp 70 Euro zu Buche schlagen, kostet das Spiel auf Switch knapp 50 Euro. Zum Test stand uns diese Fassung nicht zur Verfügung.
- Amazon
- Steam
- PlayStation Store
- Xbox Store
- eShop
- Ebenso überzeugende wie zugängliche Simulation, wahlweise mit durchdachten Hilfen in verschiedenen Stufen
- Frei konfigurierbare Karriere in Moto2, Moto3 und MotoGP mit technischer Entwicklung und Teamwechseln
- Realitätsnaher Rennverlauf mit Rennabbrüchen und verzögerten Entscheidungen der Rennkommissare…
- Tägliche Online-Rennen und daran geknüpfte Meisterschaften
- Trainieren einzelner Streckenabschnitte, Splitscreen-Rennen und frei konfigurierbare Einzelrennen
- Kein Umsehen zur Seite beziehungsweise fehlender Radar verhindern guten Überblick
- Kontrahenten rempeln manchmal zu aggressiv und sind im Regen seltsam schnell
- … die mitunter Fehlentscheidungen treffen
- Dynamischer Schwierigkeitsgrad mit Ausfällen nach oben und unten
Abgesehen davon würde ich mich über eine klare Rückmeldung darüber freuen, auf welchem Level sich der dynamische Schwierigkeitsgrad gerade befindet, da mir das Feststellen der Herausforderung eigentlich lieber ist und ich mich so an meinem aktuellen Level orientieren könnte.
Und um mal kurz die Technik anzuschneiden: MotoGP sieht nicht überragend, aber durchweg gut aus, läuft auch im Fall der PlayStation-Konsolen flüssig (auf PS4 hat man die Wahl zwischen einem Performance- und einem Qualitätsmodus) und rast selbst übers Steam Deck mit 60 Sekundenbildern. Nur dieses helle Stück Asphalt am Ende jeder längeren Asphaltstrecke steht der PC-Fassung überhaupt nicht gut. Das ist eins dieser Details, die für sich genommen eine Kleinigkeit sind, mir aber ständig ins Auge fallen. Die Switch-Fassung stand für diesen Test übrigens nicht zur Verfügung.
Zum Abschluss noch ein Wort zu den Multiplayer-Läufen, die man entweder am geteilten Bildschirm oder online mit bis zu zwölf Teilnehmern austrägt. Wie so oft in den Tagen vor einer Veröffentlichung habe ich keine anderen Spieler getroffen, weshalb ich den Online-Modus gar nicht einschätzen kann. Ich bin aber nicht nur auf die Online-Läufe an sich gespannt, sondern auch die neue Meisterschaft, für die man dort Punkte einfährt. Das könnte für ambitionierte Spieler schließlich ein großer langfristiger Anreiz sein.
Dass die Rennen nur jeweils einmal pro Tag zu festen Zeiten stattfinden, ist natürlich denkbar unbequem – ich vermute das liegt an der im Allgemeinen relativ niedrigen Spielerzahl. Ärgerlich ist es aber dennoch, falls abends Familie, Arbeit oder andere soziale Verpflichtungen Vorfahrt haben. Da hilft es auch wenig, dass sich PlayStation- und Xbox-Piloten im Crossplay treffen. Zumal PC- und Switch-Besitzer davon ohnehin ausgeschlossen sind.
MotoGP 24 im Test – Fazit
Als ebenso zugängliche wie umfangreiche Simulation macht MotoGP 24 eine verdammt gute Figur. Die Entscheidungen der Rennkommissare verleihen ihr einen wirklichkeitsgetreuen Anstrich, die Karriere ist nicht nur erfreulich konfigurierbar, sondern dank der Fahrerwechsel auch abwechslungsreicher als zuvor und mit den inzwischen bekannten Hilfen kommen selbst Einsteiger schnell auf zwei Rädern zurecht. Im Detail erkennt man durchaus Schwächen sowohl bei den Stewards als auch dem wechselhaften Schwierigkeitsgrad, dem etwas zu aggressiven Verhalten der Kontrahenten sowie der eingeschränkten Übersicht im Sattel. Alles in allem sorgt MotoGP 24 aber dafür, dass man auf sehr überzeugende Art zum virtuellen Bike-Piloten wird!
MotoGP 24 | |
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