Napoleon: Total War
Ein kleiner Schritt für einen großen Mann
Und auch in punkto historische Genauigkeit hat Napoelon: Total War kräftig zugelegt. Für Geschichtsprofessoren wurden Dutzende authentische Truppen bis zur letzten Lederlasche nachgebaut. Spielerisch unterscheiden sich die Beduinen, preußischen Reiter und schottischen Schützen von den Einheiten aus Empire: Total War zwar nur marginal, doch dank frischer Spezialfähigkeiten, wie die Möglichkeit, sich im Wald zu verstecken, oder eine spezielle Munition, um Gebäude auszuräuchern, ergeben sich zumindest ein paar neue taktische Optionen.
Trotzdem macht diese Kampagne am wenigsten Spaß. Zu sehr ist man in seinen Möglichkeiten beschränkt, fühlt sich ohne Spione, Forschung und vernünftige Diplomatie zum ständigen Kämpfen verdammt. Zum Glück öffnet sich der zweite Feldzug und liefert in Ägypten von 1798 bis 1800 ein deutlich komplexeres Szenario. Seeschlachten muss man zwar auch hier mit der Lupe suchen, trotzdem kommt in Nordafrika endlich wieder Total-War-Feeling auf. Allein was die Aggressivität der Gegner angeht, werden Anfänger mit einigen Problemen zu kämpfen haben. Mameluken, Osmanen und Briten belagern ständig euer Gebiet und verwandeln jeden Angriff in eine Zitterpartie. Zusammen mit dem Zeitlimit kann da schon mal Stress aufkommen.
Die Kür ist und bleibt aber die dritte Kampagne. Wie im Original geht es hier um die Vorherrschaft in Europa, wobei die Ziele stärker eingeschränkt sind. Hier reicht kein habherziger Sieg, hier geht es ans Eingemachte. Ihr habt sieben Jahre Zeit, von 1805 bis 1812, um die Großmacht Österreich zu stürzen. Eine harte Aufgabe, die euch Stunden beschäftigt. Ständig müsst ihr entscheiden, wo ihr attackiert, welchem Gegner ihr euch zuwendet.
Konzentriert ihr euch zu stark auf Österreich, fällt euch England in den Rücken und umgekehrt. Auch hier gibt es zwar Seeschlachten, aber sie sind lang nicht so essentiell, wie bei Empire. Ein wenig Mittelmeer, die Atlantikküsten sowie die Nord- und Ostsee sind die einzigen Gebiete, in denen ihr euch der meist stärkeren britischen Flotte stellen müsst. Dank der gerisseneren KI solltet ihr selbst abgelegene Städte mit einer Garnison beschützen, sonst wird euer Gebietsgewinn schnell wieder ausgedünnt.
Total-War-Fans sind spätestens an dieser Stelle wieder in ihrem Element und werden viele spannende Schlachten schlagen, bevor sie nach ein paar Stunden den Sieg davontragen. Wem der knackige Schwierigkeitsgrad nicht hoch genug ist, kann sich für die Echtzeitgefechte einen menschlichen Gegner suchen. Das Ganze funktioniert relativ automatisch oder per Direktauswahl im entsprechenden Chat-Channel. Anfänger sollten davon aber die Finger lassen, sonst bekommen sie ständig von Profis den Arsch versohlt.
Zusätzlich könnt ihr gemeinsam mit einem Freund die Kampagne bestreiten. Gerade im Europa-Feldzug ein interessantes Feature, da euer Reich später gewaltige Ausmaße annimmt. Alternativ dürft ihr auch mit einer der gegnerischen Fraktionen antreten. Die Auswahl ist im Vergleich zu Empire deutlich eingeschränkt. Mit Österreich, England, Preußen und Russland verfolgt ihr ein eigenes Ziel: Bis zum Dezember 1812 zwanzig Regionen einnehmen. Kein wirklicher Ersatz für die enorme Fraktions-Bandbreite und die vielseitigen Ziele des Empire-Endlosspiels. Trotzdem genug Stoff, um euch Wochen zu beschäftigen.
Zum Glück stehen bei den Einzelschlachten im Multiplayer-Modus alle 18 Kriegsparteien zur Verfügung. Egal ob zu Lande, zu Wasser oder bei einer Belagerung, das Spiel bietet genug Abwechslung, um Hardcore-Strategen zu begeistern. Doch spätestens hier wird es Probleme mit der Kompatibilität geben. Empire-Spieler können nicht gegen Napoleon-Besitzer antreten. Die Mehrspieler-Community wird sich also auf beide Produkte verteilen. Ein schwieriger Weg, der schon anderen Titeln im Multiplayer den Kopf gekostet hat.
Eigentlich kann ich mein Fazit aus der Vorschau nur wiederholen: Napoleon: Total War ist trotz seines Stand-Alone-Status eine klassische Erweiterung. Er ist also kein kompletter Ersatz, sondern eine gelungene Ergänzung. Ein kleiner und kein großer Schritt. Vor allem die KI, aber auch Details wie die Grafik erfüllen die hohen Erwartungen der Fangemeinde. Die taktischen Möglichkeiten sind so enorm, dass sich gerade die letzte Kampagne in ein Meisterstück europäischer Militärgeschichte verwandelt. Das faszinierende Portrait einer kriegerischen Welt, die sowohl in den Echtzeitgefechten, als auch auf der Übersichtskarte das Gehirn zum Glühen bringt.
Doch der Titel hat auch ein paar Probleme: Er ist nicht mit Empire kompatibel und teilt damit die Mehrspieler-Gemeinde in zwei Lager. Außerdem gibt es kein Endlosspiel im klassischen Sinne. Als Napoleon gibt es klar definierte Ziele, die sich nicht verändern lassen. Alternativ dürft ihr nur vier Nationen spielen, kein Vergleich mit dem gewaltigen Vorgänger. Deshalb kann ich Napoleon: Total War nicht jedem empfehlen. Dazu spielt sich der Titel zu ähnlich, ist im UVP etwas zu teuer und liefert zu wenige spielerische Neuerungen. Das reicht zum Glück, um ihn für Hardcore-Fans in einen Pflichtkauf und für Neueinsteiger in eine echte Option zu verwandeln. Gelegenheits-Total-War-Spieler warten einfach auf den nächsten großen Wurf der Briten. Dann bitte aber ohne Fehler.
Napoelon: Total War ist exklusiv für den PC erhältlich und geht für einen UVP von 39,99 Euro über die Ladentheke.