NecroVision
Tot und in Farbe
Wir sind in Frankreich. Es ist 1916. Das Wetter lässt zu wünschen übrig. Ach, und es ist übrigens Weltkrieg. "Eine tödliche Waffe in einem tödlichen Land. Ich darf nicht darüber nachdenken," unsinniert unser Soldat, als er mitten im tiefsten Ego-Grabenkampf an der Somme auf ein montiertes MG stößt. "Schmeckt die Gerechtigkeit, ihr Bratwürste", wird er später die deutschen Feinde auffordern, klingt dabei aber wie ein Saturn-Angestellter, der den 'Krauts' einen Plasma-TV verkaufen will. Er verkauft ihnen aber keinen Plasma TV, sondern kochendes Blei, pfundweise. Und eigentlich verkauft er es auch nicht, er durchlöchert sie damit.
Wenig später erledigt unser Frontshakespeare einen deutschen Scharfschützen: "Der Schütze. Erschossen. Gerechtigkeit", fällt ihm dazu der nächste Eintrag für das Gedichtband ein, an dem er zweifellos schon so lange arbeitet. Wann immer einem NecroVision stocksteif vorgetragene Plattitüden dieser Marke mit beiden Daumen ins Ohr drückt, weiß man oft nicht, wie es das Spiel nun meint.
In diesen Momenten scheint es sich selbst sehr ernst zu nehmen und verkneift sich jedes Augenzwinkern. Nur um freilich im nächsten Gefecht mit vollkommen geradem Gesicht Ohnmachts-erzeugende Oneliner rauszuhauen, die Entwickler The Farm 51 irgendwann um 1996 aus dem Papierkorb des Duke Nukem Forever-Entwicklerteams geklaut haben muss. Vielleicht vergisst unser amerikanischer Vorzeige-Soldat auch hin und wieder einfach nur, dass er sich in einem vollkommen überdrehten Trash-Shooter befindet.
Es dauert nämlich nicht ganz eineinhalb Level, bevor aus diesem vermeintlichen "Call of Duty 1916" von ehemaligen People Can Fly-Mitarbeitern (Painkiller) eher eine Art Wolfenstein oder eben Painkiller wird. Mit Vampiren, Zombies, Dämonen und all dem übersinnlichen Schabernack, der Jungs im Normalfall so viel Spaß macht. Von diesem Normalfall kann man bei NecroVision aber trotz einiger guter Ideen und ordentlicher Technik nicht so richtig sprechen. Es ist fast so, als hätte The Farm 51 einfach alle Elemente, die das Team cool fand, etwas arglos in einen Eimer gesteckt, einen Deckel drauf gepappt und diesen in einen Wäschetrockner gesteckt, in der Hoffnung, es möge ein stimmiges Spiel dabei herauskommen.
Um sich überhaupt in dem wilden Regen aus John Sinclair-Schundroman-Konfetti ein bisschen amüsieren zu können, muss man zu allererst einmal begreifen, dass NecroVision ein bisschen, nun ja, anders gespielt werden will. Spielt man es wie den handelsüblichen Weltkriegs-Shooter nach dem es aussieht, beißt man selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad schon so oft ins Gras wie auf den höheren Schwierigkeitsgraden etwa eines Call of Duty. Das Spiel sieht es nämlich lieber, dass man mit dem Kopf zuerst in den Nahkampf rennt, anstatt sich hinter sicherer Deckung zu verschanzen und die Feinde nacheinander auszuknipsen.
Die (logische) Duckertaktik ist in NecroVision demzufolge unglaublich ineffizient. Nicht weil die Deckung übermäßig selten wäre, sondern weil NecroVision bei der Platzierung und dem Spawnen der Gegner keine Rücksicht auf den Spieler nimmt. Wie man das Spiel zocken soll, wird dummerweise nicht im laufenden Betrieb oder in einem Einführungslevel erklärt, sondern – wenn man Glück hat – als Tutorial-Diashow während einer der langen Ladezeiten: "Wer sprintet, ist schwieriger zu treffen, als wenn er in Deckung ist", verrät ein Hilfe-Text (sinngemäß). Also auf ins Getümmel! Wem das noch nicht genug hanebüchener Stallone-Film-Logik ist, der darf seinen aufgeladenen Adrenalin-Balken noch per Alt-Taste gegen eine Zeitlupe eintauschen.
Das Spiel liebt die Tuchfühlung mit dem Feind so sehr, weil sich The Farm 51 ein theoretisch cleveres Kombo-System ausgedacht hat. Ein etwas umständliches Dual-Wield System und eine Reihe von Nahkampf-Angriffen soll dazu animieren, zahllose Angriffskombinationen an den Gegnern auszuprobieren. Im Optimalfall wütet man etwa mit Vampir-Maschinenpistole in der einen und der Schaufel in der anderen Hand in den Reihen der Feinde, tritt einen Gegner nach hinten, holt anschließend mit dem Spaten aus und gibt ihm mit einem abschließenden Kopfschuss den Rest.