Need for Speed - Rivals - Test
Rivalen der Rennbahn - auch in der technisch schwachen PS3-Version ein überzeugendes Debüt.
Wer etwas spät zur Most-Wanted-Party kam, den konnte das letzte Spiel der Need-for-Speed-Reihe ganz schön vergrätzen. Ich hatte mich nach dem entgleisten Need for Speed: The Run wieder diebisch auf ein Criterion-NFS gefreut, direkt zur Veröffentlichung aber keine Zeit dafür gehabt. Also vertagte ich den Titel kurzerhand auf ein andermal. Mit schwerwiegenden Folgen. Was mir nämlich wenige Monate später entgegenschlug, war das wohl anschaulichste Negativbeispiel für die Integration von DLC in einem Videospiel. Danke dafür!
Was war passiert? Nun, Most Wanted wollte euch zur Erkundung seiner Welt dadurch motivieren, dass all seine Fahrzeuge gut versteckt, aber doch frei zugänglich auf dem Spielfeld verteilt waren. Wenn man einen Wagen finden konnte, durfte man ihn auch fahren. So weit der Gedanke. Dumm nur, wenn die Entwickler die herunterladbaren, aber kostenpflichtigen Fahrzeugpakete nach der Veröffentlichung ebenfalls auf der Map verstreut. An gefühlt jeder zweiten Ecke wurde einem gegen Aufpreis erhältlicher Wagen unter die Nase gerieben. Dass der Bolide extra kosten würde, sah man natürlich erst, wenn man daneben parkte und versuchte, umzusteigen. Wie zum Teufel war der Freemium-Schund in mein Vollpreis-Spiel gekommen?
Wie man es nicht macht ...
Dabei bin ich nicht mal ein besonderer Feind von DLC, den Gedanken dahinter begrüße eigentlich sogar, obwohl ich derartige Bezahl-Inhalte meistens ignoriere. Aber in diesem Fall war mir das einfach nicht möglich, das aufdringliche Präsentieren von optionalen Inhalten schickte mir nur ein Signal: 'Du hast nur das halbe Spiel!' und verwässerte mir in der Folge die Erkundung des Spiels. Es war der vielleicht größte Abtörner, der mir im Zusammenhang mit Mikrotransaktionen jemals untergekommen ist. Demzufolge gab es für mich im vergangenen Jahr kein NFS und so ging ich doch ziemlich ausgehungert in Rivals. Das ist zwar kein Criterion-Spiel - denn, wie sich jüngst herausstellte, war Most Wanted das letzte NFS der Engländer -, aber ein ambitionierter Entwurf, der die Monetarisierung augenscheinlich endlich wieder an die Leine nimmt. Und was soll ich sagen? Das neue Studio Ghost erfindet das Rennspiel zwar nicht neu, rollt aber die Besten der Besten zu einem verdammt attraktiven Paket zusammen, das die bisherigen Need For Speeds dieser Generation mit Leichtigkeit übertrifft.
Hier gibt es das zeitlose Räuber und Gendarm von Hot Pursuit, die anarchische Verwüstung von Flatout: Ultimate Carnage, Teile des maßvollen Waffeneinsatzes von Blur, Trackmanias Vergleichwahn und die entsetzlichen Crashes und die offene Spielumgebung eines Burnout Paradise. Ghost bekommt es sogar hin, hier die ausformulierte Version des freiherzigen Rudelfahrens zu integrieren, die Test Drive Unlimited vielleicht irgendwann mal geworden wäre, wäre Eden Games nicht irgendwann zwischen Alone in the Dark und TDU 2 ungebremst über die Kreativklippe gesegelt.
Was wir hier haben, ist ein Spiel mit der klassischen Cop-und-Racer-Dichotomie. Wann immer ihr wollt, wechselt ihr in eurem Versteck respektive auf der Wache zwischen beiden Laufbahnen hin und her. Eine klassische Karriere mit in Reihe geschalteten Events gibt es allerdings nicht. Stattdessen ist die komplette Karte von Anfang an frei befahrbar. Markierte Startpunkte auf dem grobmaschigen Straßennetz mit einigen Abkürzungen und Nebenfahrbahnen laden zu verschiedenen Events steigender Schwierigkeit. Als Raser gibt es neben dem klassischen Time Trial natürlich Etappenrennen gegen die KI, die auch nach einem kurzentschlossenen Start eurerseits schnell, direkt und wie von Zauberhand um die letzte Wegbiegung geschossen kommt.
Tempo, Tempo, Tempo
Der Hot-Pursuit-Modus steht beiden Seiten des Gesetzes offen: Erreicht ein vordefiniertes Ziel innerhalb goldener, silberner oder bronzener Zeitvorgaben oder schießt als der Typ unter der Sirene den Bleifuß vorher ab. Interceptor lässt unterdessen das Ziel Weg und schreibt dem Raser einzig die erfolgreiche Flucht als Ziel aus. Hier ist Hakenschlagen angesagt und darauf zu achten, nicht prahlerisch mit 180 durch die Blitzlichtanlagen zu fahren, denn die melden der rechtschaffenen Konkurrenz, wo ihr gerade seid. Die Cops müssen dagegen bei Rapid Response möglichst schnell ins Einsatzgebiet gelangen und das ohne für große Kollateralschäden zu sorgen, denn die bringen Zeitstrafen mit sich.
"Je nachdem, welche Speedlist ihr erfüllt, schaltet ihr neue Skins für die Fahrzeuge oder Wagen in leicht veränderter Ausführung frei."
Der eigentliche Fortschritt beider Laufbahnen liegt im Großen und Ganzen in eurem jeweiligen Rang, der wiederum neue Autos erstehbar macht. Und den steigert ihr, indem ihr eine Reihe von Vorgaben auf einer sogenannten Speedlist erfüllt, sozusagen Herausforderungen, bei denen ihr etwa eine bestimmte Anzahl von Events vergolden, bestimmte Geschwindigkeiten erreichen oder Raser schrotten müsst. Zwischen jedem Levelaufstieg dürft ihr dabei eine von drei Speedlists wählen, deren Anforderung zu einem von drei Spielstilen passt. Sagt euch also eine Aufgabenstellung nicht zu, wählt ihr einfach eine andere. Je nachdem, welche ihr erfüllt, schaltet ihr zum Beispiel neue Skins für die Fahrzeuge oder Wagen in leicht veränderter Ausführung frei. Ein BMW M6, den ihr etwa für das Abhaken einer Undercover-Speedlist bekommt, sieht deutlich weniger nach Ausnüchterungszelle aus, als der, den ihr als Enforcer einfahrt.
Das zweite Mittel zum Erfolg sind die Speedpoints. Die hagelt's für Drifts, Sprünge und Treffer mit den zahlreichen Waffensystemen von EMP bis Nagelbrett oder für das Zersägen der Konkurrenz. Es sind diese Speedpoints, die die Racer-Laufbahn auf Anhieb etwas interessanter gestalten, als die der Polizei. Während Spieler aufseiten des Gesetzes ihre neuen Autos einfach so freischalten, müssen Raser diese zusätzlich noch aus dem Shop kaufen. Und während die Cops die Wagen so nehmen müssen, wie sie vom Band kommen, dürfen Streetracing-Fans ihre Punkte in diverse Upgrades an ihren Fahrzeugen stecken. Von Tempo und Beschleunigung über Robustheit bis hin zu verursachtem Kollisionsschaden schraubt ihr euch durch ein simples und nicht unbedingt flexibles - das nächste Auto mit besserem Potenzial und stärkeren Waffen kommt bestimmt -, aber doch unmittelbar motivierendes Tuning-System.
Was der dunklen Seele ihr Lagerfeuer, ist dem Rennfahrer sein Versteck.
Der richtige Kicker kommt aber erst noch, denn Need for Speed nimmt sich mit einer klugen Risk-Reward-Mechanik erstmals ein Beispiel an Dark Souls. Als Raser sammelt ihr nämlich nicht nur Speedpoints, sondern auch 'Heat'. Dieser Wert ist vergleichbar mit dem Fahndungslevel von GTA, wenn es um die Aufmerksamkeit des Gesetzes geht, ist hier aber in doppelter Funktion als Multiplikator für eure gesammelten Punkte unterwegs. Je länger ihr durch Redview County fegt, bei euren Nitro-getriebenen Eskapaden öffentliches Eigentum zerlegt und das Gesetz missachtet, desto mehr Punkte sackt ihr auch ein. Der Haken an der Sache ist, dass ihr schon bald dauerhaft eine Schar Polizisten am Spoiler hängen habt, deren Anzahl nur noch von ihrer schlechten Laune übertroffen wird. Bringen sie euch zum Stehen, auf welche Weise auch immer, sind Multiplikator und Speedpunkte futsch.
"Regelmäßig entwickeln sich einige der spannendsten Verfolgungsjagden nicht nur der jüngeren Vergangenheit."
Daraus entwickeln sich regelmäßig einige der spannendsten Verfolgungsjagden nicht nur der jüngeren Vergangenheit. Wenn ich bei voller Fahrt mittels des netten GPS-artigen Easy Drive Systems eine Route zur nächsten rettenden Werkstatt einblenden lasse und unten rechts die Distanzanzeige langsam zusammenschmilzt, während sich von hinten eine aufgebrachte Blaulicht-Lawine nähert, werden die Fingerknöchel weiß und die Handflächen feucht. Mehrfach bin mit einem rekordverdächtig vollen Sack Speedpoints vor der Drive-Through-Werkstatt 'abgeschossen' worden und habe laut schreiend den Controller in den Sitzsack neben mir geworfen. Jedes einzelne Mal ein niederschmetterndes, aber keinesfalls unfaires Erlebnis - und wenn man dann nur noch auf den Funken stiebenden Felgen durch auf die rettende Einfahrt rollt, ist das jedes Mal ein Gefühl, als würde man aus einem Haifischbecken steigen.
Die Cop-Seite braucht etwas länger, um in Fahrt zu kommen, geht ihr doch der Speedpoints-Multiplikator ab und die Upgrade-Funktionen für die Autos fehlen. Dazu sind zu Beginn die EMPs, die Shock-Ramme und die Spike-Strips noch etwas zahnlos und die Autos im Vergleich mit denen der Raser-Seite untermotorisiert. Hat man aber erst einmal einige der besseren Modelle freigespielt und seine Waffenslots mit aufgemotzten Varianten der Basis-Spielverderber aufgerüstet, sorgt die Jagd auf Raser für eine Schadenfreude wie wenige andere Spiele. Griefen als Lebenssinn sozusagen, was durch die nahtlose Integration des Multiplayer-Modus schon etwa ab Level fünf der Cop-Karriere mit der Raser-Seite in einen harten Wettbewerb um meine Gunst ging. Und den gewann es umso häufiger, je mehr bessere Fahrer sich auf die Seite der rücksichtslosen Bleifüße schlugen. Denn seht ihr, hängt eure Konsole am Netz und steht das Spiel auf 'offen', gesellen sich automatisch gleich eine ganze Reihe anderer Spieler zu euch, um das gleiche zu machen wie ihr - oder eben das Gegenteil - nur damit ihr herrlich dazwischenfunkt.
"Meep, meep!"
Das sorgt für Momente formvollendeten Chaos', wenn ihr eure Verfolgungsjagd auf einen KI-Renner abbrecht, um von einer Autobahnbrücke zu bollern, um auf dem Freeway darunter in die Hatz auf einen menschlichen Spieler in einem Enzo Ferrari einzusteigen. Besonders, wenn der mit einer Heat von 8 schon einen Polizeiheli und vier Streifen hinter sich herzieht. Und wer weiß, an der nächsten Kreuzung kracht ihr vielleicht schon in den nächsten Pulk benzinbesoffener Tempoidioten. Es ist aufregend, spannend und hüben wie drüben gibt es ununterbrochen etwas zu tun, es kristallisieren sich erbitterte Rivalitäten heraus. Auf beiden Seiten fährt man wie getrieben teilweise 20 Minuten am Stück atemlos im Grenzbereich und mit stetig wechselnden Agenden. Wenn man dann endlich mal in einem Stützpunkt eine Pause macht, merkt man erst, wie dringend man sie gebraucht hat, so ausgelaugt - auf die gute Art - ist man nach der endlosen, glücklich machenden Rennerei.
"Wer weiß, an der nächsten Kreuzung kracht ihr vielleicht schon in den nächsten Pulk benzinbesoffener Tempoidioten."
Was auch überzeugt, ist die wundervoll gestaltete Karte, die in bester Need-for-Speed-Manier alle Klimazonen der USA auf eine Fläche eindampft, die selbst im Landkreis Cloppenburg noch mehrfach Platz fände. Hier gibt es die bekannten Mammutbaumwälder, Wüsten, Canyons und verschneite Berge ebenso, wie interessante, aber notgedrungen menschenleere Städtchen und Dörfer oder gewaltige Brücken, die sich noch im Bau befinden. Dazu fließender Tag- Nacht- und Wetterwechsel, die sich wirklich sehen lassen können. Das Gefühl, wie seinerzeit im ersten Criterion-NFS nur durch die Pampa zu jagen, stellt sich hier zu keiner Sekunde ein.
Redview County ist hinter jeder Wegbiegung wieder ein Genuss, die zahlreichen versteckten Sprünge zu entdecken, an den zahllosen Blitzlichtanlagen die höchste festgehaltene Zeit aller im Spiel befindlichen Fahrer zu markieren oder das höchste Durchschnittstempo einer Speedzone zu erfahren, ist die pure Freude, die dank einigen Komfortfunktionen auch ungebremst erlebt wird. Das Easy-Drive-GPS, das per Steuerkreuz zu diversen Zielen (oder Spielern führt) habe ich ja bereits erwähnt, aber auch die Möglichkeit, jedes Event auf Knopfdruck neu vom Startpunkt aus anzugehen, ist Grund zu aufrichtigem Beifall.
Das Spiel, an dem sich die Current Gen endgültig verhebt?
Und den würde das Spiel auch als "bestes NFS bisher" unangefochten über die Ziellinie tragen, wenn es in der getesteten PS3-Version nicht so unfertig wirken würde. Es ist eindeutig ein Spiel, das mit seiner Frostbite-3-Technik die Next-Gen fest im Blick hat. Die Current-Gen-Versionen haben trotzdem die Ambitionen, in Sachen Details und Featuredichte mitzustinken, was dafür sorgt, dass die 720p-Grafik oft ins Stottern kommt und dabei trotzdem noch ziemlich ruppig aussieht. Es ist ein gut aussehendes Spiel, auch auf der alten Hardware. Aber es leistet sich einige Unfeinheiten der Sorte, die es schwierig macht, die sich häufig verzweigenden Wege genau zu erkennen, oder Esspapiergartenzäune und unverrückbar tödliche Hindernisse auseinanderzuhalten. Dazu kommt eine Vielzahl niedrig aufgelöster Texturen (gerade in Sachen Schäden und Dreck auf den Fahrzeugen), deutlich sichtbar in die Landschaft ploppende Gegenstände, ja sogar Zivilverkehr, der sich etwas zu spät und aus dem Nichts auf die Fahrbahn vor einem wirft.
"Rivals taucht mehrfach in FPS-Bereiche ab, in denen man eher mit Glück als durch Können aus einer haarigen Situation hervorgeht."
Wenn die Bildrate die 30 FPS hielte, es wäre noch zu verzeihen. Aber Rivals taucht leider mehrfach in Bereiche ab, in denen man eher mit Glück aus einer haarigen Situation hervorgeht, als dass man noch mit Können bewusst etwas dazu beigetragen hätte. Ein paar Bugs gibt es auch noch: Steigt der Host aus der Partie aus, vergisst das Spiel nach der Migration schon mal, wie viele Punkte man auf der Speedlist bereits erreicht hatte, nicht aber den Heat-Level. Das führt dazu führt, dass man mit einem Rattenschwanz an Cops noch einmal sechsstellige Punktzahlen einfahren muss, was ... ein bisschen kniffliger ist.
Bei einem weiteren Bug war ich plötzlich hinter der Leitplanke der Strecke gefangen und wurde im Sekundentakt wieder zurückgesetzt - allerdings immer wieder hinter die Leitplanke, weshalb ich das Spiel irgendwann abbrechen musste. Kein Bug, aber trotzdem ein bisschen Schelte wert: Auch im Einzelspielermodus kann man das Spiel nicht pausieren, was gerade bei hohem Heat-Level ein echtes Versäumnis ist.
Und doch: Dass ich jemals so viel Spaß mit einem Need for Speed hatte, kann ich nicht behaupten. Ich muss schon eine ganze Weile zurückgehen, zu Bizarre Creations und dem altehrwürdigen Blur, um einen Racer zu finden, bei dem ich ähnlich viel diebisches Pläsier verspürte. Rivals ist ein unglaublich ausgereifter Entwurf herrlich offener, krampflos vernetzter und deshalb wahrhaft nach Next-Gen mundender Arcade-Raserei - sogar schon in der technisch wackeligen PS3-Version. Obwohl bereits eine oberflächliche Recherche ergibt, dass beim neuen Studio Ghost Leute von Bizarre, Evolution, Turn 10 und SimBin sitzen, ein überaus imponierendes Erstlingswerk. Criterions Wachablösung hätte nicht reibungsloser vonstatten gehen können.