Neva im Test: Der schönste "Anime", den ihr in diesem Jahr spielen werdet!
Ein Ghibli-Film zum Spielen.
Nur als Umrisse sind die Leichen riesiger Tiere im dichten Nebel zu erkennen. Mystische Kreaturen, viel größer als wir sie heute kennen. Und wie Aasgeier laben sich kleine, schwarze Wesen an ihrem toten Fleisch. Deren gieriges Klackern hallt durch die Stille und tatsächlich sind sie so mit Ausweiden beschäftigt, dass sie Alba und ihre Wölfin Neva in Ruhe lassen.
Erst später machen die Kreaturen ernst, als einige von ihnen wie Zombies über den Boden schleichen, unbeholfen ausholen und sich nach zwei, drei Schwertstreichen aber im Nirvana auflösen – bis eine von ihnen in den erstarrten Kadaver eines Wildschweins schlüpft, um dessen Leiche ein gespenstisches Leben einzuhauchen. Zweimal stürmt das morbide Kostüm auf Alba zu, dann stolpert es. Und als der Angreifer wieder aus dem Maul herausgekrochen kommt, macht das Schwert auch ihm den Garaus.
Ich könnte noch weitere, ganz andere solcher Momente aufzählen, bei denen ich aus dem Staunen nicht herausgekommen bin. Denn Neva ist nicht einfach nur der neue Plattformer der Gris-Macher. Neva setzt für mein Empfinden neue Maßstäbe, wenn man davon spricht, wie ideenreich und schön Videospiele sein können.
Dieser Nebel ist ja nur Teil der sterbenden Welt, durch die man in der Rolle von Alba reist, und ich werde nach der Einleitung so wenig wie möglich davon vorwegnehmen. Lasst euch nur gesagt sein, dass ich selten so euphorisch vor dem Bildschirm gesessen habe, wie das hier gleich mehrfach der Fall war.
Was Zeichenkünstler und seit Gris auch Spielemacher Conrad Roset gemeinsam mit seinem Nomada-Studio sowie den Musikern von Berlinist erschaffen hat, ist wie ein spielbarer Ghibli-Film, der mich vor allem an Prinzessin Mononoke und Chihiros Reise ins Zauberland erinnert. Das fängt bei den großen Tieren sowie der engen Beziehung zwischen der Protagonistin mit den Wölfen an und hört bei den finsteren Angreifern nicht auf, die mit ihren weißen Masken frappierend an das Ohngesicht erinnern.
Vor allem aber sind es Rosets prachtvolle Bilder, von denen in Bewegung eine Magie ausgeht, die ich in dieser Form noch in keinem Spiel gesehen habe. Es ist bezaubernd, welche Kraft in dem Flügelschlag gefiederter Kreaturen stecken kann, wie gewaltig eine Explosion überraschen kann und wie riesig ein Schauplatz wirken kann, wenn die Kamera immer weiter herausfährt, während das Spiel weiterläuft und die Umgebung größer und größer wird.
Gleichzeitig ist Neva ein starkes emotionales Abenteuer, wenn nach einem auf diese Art spektakulären Bosskampf plötzlich… Nein, ich werde wirklich nichts vorwegnehmen und nur erwähnen, dass die Geschichte ganz offensichtlich eine ebenso persönliche wie universelle Parabel über das Leben ist. Sie beginnt im Sommer, als Nevas Wolfsmutter von den schwarzen Wesen getötet wird, und endet im Frühling des kommenden Jahres, wenn sie keine kleine Welpin mehr ist, sondern ein ausgewachsenes Raubtier, das Steine durchschlägt und sich im Nacken seiner Angreifer festbeißt, um sie am Boden zu halten.
Anfangs muss Alba sie dabei schützen, sie zum Beispiel rufen, damit sie den Sprung über hohe Abgründe wagt. Man befreit sie aus dürren Händen, die aus der Decke heraus nach ihr greifen, und läuft zu ihr, um sie in den Arm zu nehmen. Im Herbst greift Neva dann schon selbstständig an. Später kommen weitere Aktionen hinzu, die man aber ebenfalls selbst entdecken sollte.
Das war immerhin ein Credo der Entwickler: „Wie würde Gris aussehen, wenn es darin Action gäbe?“ Nun… verdammt gut würde es aussehen! Nicht nur buchstäblich, sondern auch im übertragenen Sinn. Wobei Neva kein reines Action-Abenteuer ist, aber eins mit erfreulich vielen, speziell inszenierten Situationen, in denen man es mit erfreulich cleveren „Ohngesichtern“ zu tun bekommt. Auch hier will ich nichts verraten, habe mich über einige Ideen der Biester aber richtig gefreut.
Wenn ihr mich fragt, dann fehlt Neva nur eine Sache, und das ist das freie Erkunden der eindrucksvollen Kulissen. Knapp sieben Stunden dauert die Reise durch die vier Jahreszeiten zwar, was für ein Spiel dieser Art schwer in Ordnung ist. Weil sich das Klettern, Kämpfen und Erkunden so gut anfühlt, hätte ich allerdings gerne viel mehr davon gehabt als gelegentlich mal eine der mitunter gut versteckten Bonusblüten zu finden.
Neva im Test – Fazit
Tatsächlich habe ich überlegt, ob Neva nicht hätte mehr sein müssen, um dem Motto „Gris mit Action“ gerecht zu werden. Ein großes Metroidvania ist es schließlich nicht, obwohl es das von der Anlage und den Mechaniken her sein könnte. Ein solches Spiel schwebte Conrad Roset aber, wie es scheint, nun mal nicht vor. Roset will eine Geschichte erzählen, die ebenso universell wie anrührend ist, und das gelingt ihm mit einer Bravour, die ihresgleichen sucht! In Neva steckt sowohl in spielerischer als auch in visueller Hinsicht ein so kreativer Einfallsreichtum, wie man ihn selten zu Gesicht bekommt. Und den ich deshalb nur mit vollem Nachdruck empfehlen kann.
Neva | |
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PRO | CONTRA |
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