Neverwinter - Test
Cryptics MMO-Action-RPG-Mix ist grundsolide und günstig. Nun ist die kreative Community gefordert.
Mögt ihr Themenparks? Bestimmt mögt ihr Themenparks. Von Attraktion zu Attraktion schlendern, immer dem Pfad entlang, Eis schlotzen, Achterbahn fahren, Spaß haben. Tolle Sache! Solange man nicht im Park wohnt. Denn irgendwann hat man sich sattgesehen. Ob ich nun die Geisterbahn, die Science-Fiction-Basis, den Wild-West-Saloon oder die Karibik-Piraten besuche - alles fühlt sich irgendwie gleich an. Kulissen voller Puppen, die mit zischender Druckluft ruckartig ihr Programm abspulen, während aus den Lautsprechern martialische Monologe dröhnen. Das macht man gerne mal ein paar Tage mit und kommt sogar mehrmals im Jahr wieder, um sich das neue Spukhaus oder die Einweihung des Freefall-Towers anzugucken. Aber jeden Tag? Nein danke.
Genau das ist der Knackpunkt bei Neverwinter. Es will ein MMO-Action-RPG-Themenpark für die Fans von Dungeons & Dragons sein. Tatsächlich taugt das für unterhaltsame Abende und macht bis zur maximalen Stufe Laune. Doch irgendwann hat man genug von all den ähnlich gestrickten "Attraktionen" des MMOs und vermisst die Abwechslung. Ich hab mich seit der geschlossenen Beta regelmäßig an der Schwertküste bespaßen lassen und einige Male darüber die Zeit vergessen. Vieles hab ich schon in meiner Vorschau beleuchtet, darum hier nur die Quintessenz.
Kämpfe mit Gewicht
Man muss den Entwicklern von Cryptic und ihrem Publisher Perfect World bescheinigen, dass sie ordentliche Arbeit abliefern. Besonders das Kampfsystem ist super und taugt für befriedigende Scharmützel. Das Skillsystem und die Beschränkung auf wenige aktive Fertigkeiten passen sehr gut und laden zum Tüfteln mit Builds ein. Nahkämpfer wie der Trickserschurke lassen die Messer tanzen, dass euch der Klickfinger raucht, während ihr als Wächter die Wucht schwerer Hiebe auf eurem Schild förmlich spürt. Schwere Attacken schleudern Gegner wie Pappkameraden zurück - was dank der soliden Physikengine jedes Mal ein Lächeln auf mein Gesicht zaubert. Magische Angriffe entfachen lodernde Prachtfeuerwerke. Dynamisch rollt oder teleportiert ihr euch zur Seite, sobald eine rote Markierung am Boden das nächste feindliche Spezialmanöver ankündigt. Wirklich gut gemacht. Daumen hoch, Cryptic!
Allein, die Gegner selbst werden schnell eintönig. Um das Bild vom Themenpark aufzugreifen: Es ist wurscht, ob man nun die Haut eines Räubers, Zombies, Orks oder Kultisten über das Skelett stülpt - wenn die Monster immer nur die gleichen Attacken abspulen, wird es schnell beliebig. Zumal die KI alles andere als Einstein-Niveau erreicht. Nahkämpfer stürmen auf euch zu, Fernkämpfer gehen auf Abstand. Das war es auch schon. Ausnahmen lassen sich an einer Hand abzählen und fallen meist in die Boss-Kategorie.
Ebenfalls enttäuschend unkreativ waren die Entwickler bei den Quests des Haupt-Handlungsstranges. Abgesehen davon, dass es nur wenig Anreiz gibt, mit anderen Spielern gemeinsam zu questen, heben sich die Einsätze nicht sonderlich vom Genre-Einheitsbrei ab. Zwar gönnt man euch gelegentlich Schalterrätsel oder intelligent verschachtelte und fallengespickte Dungeons, doch die meiste Zeit folgt man der glitzernden Feenstaub-Route von Missionsziel zu Missionsziel, um am Einsatzort eine vorgegebene Anzahl Monster zu meucheln, Gegenstände einzusammeln oder mit der Umgebung zu interagieren. Verlaufen kann man sich nicht, aber der Entdecker in mir fühlt sich unterfordert.
Kreative Dungeongestaltung für Einsteiger und Profis
Tatsächlich gibt es im Katalog mit den Missionen aus Spielerhand viele kreative Highlights.
Hinsichtlich der eintönigen Quests könnten der Foundry-Editor und die fleißige Community Abhilfe schaffen. Tatsächlich gibt es im Katalog mit den Missionen aus Spielerhand viele kreative Highlights. Da liefern sich NPCs witzig zu lesende Streitgespräche mit euch, ihr geht während eines geskripteten Dungeon-Raids auf eure NPC-Mitstreiter los oder ihr werdet zum Spielball im Intrigen-Netz eines korrupten Adligen. Neben solchen Perlen dominieren ansonsten leider eher Quests den Katalog, wie sie auch die Entwickler liefern - nur mit mehr Rechtschreibfehlern oder sonstigen Macken. Wer das umgehen will, hält sich an die Wertungen der Community im (vorbildlich mit zahlreichen Filtern versehenen) Katalog-Fenster für Foundry-Missionen.
Wollt ihr selbst Abenteuer erstellen, wird etwas Einarbeitung fällig. Der Foundry-Editor ist mächtig und bietet alle Möglichkeiten, die auch den Entwicklern zur Verfügung stehen. Der Editor ist zwar vergleichsweise zugänglich, doch wer mehr tun möchte, als bloß ein Kellerverlies von der Stange mit beliebigen Monstern zu bepflastern, muss sich erst einmal in den umfangreichen Kontextmenüs zurechtfinden. Während ihr den Dungeon testet, könnt ihr Objekte spontan innerhalb der 3D-Ansicht verschieben, was die Platzierung von Deko sehr erleichtert. Trotzdem ist das Ganze eine recht trockene Angelegenheit - wer die Arbeit investiert und eine spannende Quest abliefert, hat immerhin die Chance, von den Entwicklern im Katalog gefeatured zu werden und Trinkgelder in Form der In-Game-Währung Astraldiamanten einzustreichen.
Endgame-Inhalte sind abseits der Foundry-Missionen dünn gesät. Es gibt tägliche Quests, die man für Astraldiamanten abklappern kann. Das Handwerkssystem ist nett und seine Browser-Auskopplung eine schlaue Idee, doch das Crafting läuft eher nebenbei und taugt keinesfalls zur Dauerbeschäftigung. Im Hauptfenster werden ansonsten noch Gefechte und Gewölbe angeboten, für die ihr euch in einer Warteschlange anmeldet und dann mit anderen Spielern in eine Instanz zusammengewürfelt werdet. Unschön ist, dass das System hier keine Skalierung anbietet - ihr müsst euch an die Instanzen halten, die eurer Stufe entsprechen. Während der Gefechte kämpft ihr gegen mehrere Feindwellen oder müsst euch zum Endboss vorarbeiten. Gewölbe sind ein bisschen umfangreicher und locken mit zusätzlicher Beute.
NPC-Gefährten sind während der Koop-Einsätze übrigens erlaubt. Ihr müsst also nicht auf die praktische Kleriker-Gehilfin verzichten, mit der viele Spieler aktuell unterwegs sind. Intelligenzbestien sind diese Gesellen zwar nicht, aber es reicht, um euch das Leben zu erleichtern. Die Heilzauber der Begleiter mindern zudem etwas den Druck, einen Kleriker-Spieler für die Gruppe zu suchen.
PvP beschränkt sich auf einen Domination-Modus namens "Herrschaft", in dem ihr mit fünf Spielern pro Seite Punkte erobern und halten müsst. Zwei Karten sind etwas mau, schade auch, dass man nicht per Foundry eigene Maps erstellen darf - hier besteht eindeutig noch Verbesserungspotenzial.
Um ein bisschen Fantasy-MMO-Luft zu schnuppern und sich nach Feierabend unkompliziert mit ein paar Quests zu beschäftigen, ist Neverwinter ideal. Auch Einsteiger finden sich schnell zurecht und trotz des Free-to-play-Modells bleibt der Cashshop dezent, zumal man die In-Game- und Premiumwährung frei tauschen darf. Insofern bietet der "Freizeitpark" mit Dungeons-and-Dragons-Anstrich Spaß ohne Reue und dynamische Kämpfe mit Action-RPG-Gefühl. Für einen Daueraufenthalt mangelt es der Schwertküste aber an Inhalten. Sich in der Spielwelt zu verlieren, wie in MMOs vom Kaliber eines World of Warcraft oder EVE Online, wird kaum gelingen, weil die starke Instanzierung der Spielwelt die Immersion zusätzlich erschwert. Eben wie in einem Themenpark mit verschiedenen Bereichen, in dem man auch keine sanften Übergänge zwischen dem "Westernland" und dem "Fantasyland" erwarten darf. Trotzdem ist Neverwinter sehr solide Programmierkunst und der Download des Clients allemal gerechtfertigt - vielleicht auch um seine kreative Ader im Foundry-Editor zu erproben. Ein Freizeitpark mit Attraktionen zum Selbermachen? Das sollen Disney und Konsorten erstmal hinbekommen.