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New Tales from the Borderlands im Test - Spaßig wie ein gutes Telltale-Spiel und technisch endlich besser

Abenteuer für Alltagshelden

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Unterhaltsame Fortsetzung der Telltale-Formel, die spielerisch eine Idee zu dünn ist und erzählerisch nicht immer, aber doch meistens zündet.

Wer hätte gedacht, dass es mal eine Fortsetzung zu einem Telltale-Abenteuer geben würde, nachdem das Studio auf so unrühmlich Art dicht gemacht wurde? New Tales from the Borderlands heißt dieser Nachfolger – auch wenn Entwickler und Publisher Gearbox darauf hinweist, dass es sich offiziell eher um einen geistigen Nachfolger handelt. Immerhin entstand das Ganze auch bei einem neuen Studio und dreht sich hauptsächlich um brandneue Charaktere. Aber die Telltale-Formel und das Szenario, das kennt man eben.

Anu, ihr Bruder Octavio und dessen Boss Fran albern, stolpern und verunglücken jedenfalls auf die gleiche Art durch diesen interaktiven Comicstreifen, wie man es vom Vorgänger und vielen anderen Telltale-Geschichten kennt. Details der Handlung ändern sich deshalb gemäß der Entscheidungen, die man in Gesprächen trifft, oder hängen davon ab, wie gut beziehungsweise schlecht man sich in kleinen Reaktionsspielen schlägt.

Dank Unreal Engine sieht New Tales from the Borderlands endlich wie ein zeitgemäßes Abenteuer aus. Das behält die Telltale-typische Episodenstruktur des geistigen Vorgängers bei, wird aber ausschließelich als vollständiges Spiel mit allen fünf Folgen verkauft.

Nur sieht das Alles jetzt eine ganze Ecke besser aus als es das unter Telltale-Führung tat. Deren alte Technik kommt in New Tales from the Borderlands nämlich nicht mehr zum Einsatz, stattdessen ist das Ganze jetzt Unreal-betrieben. Dadurch sehen Schauplätze und Figuren um einiges lebendiger aus und agieren vor allem auch so. Die Gestik erlaubt endlich ein schnelles Fuchteln, kurzes Zurückschrecken, schnelles Kopfschütteln und gelegentlich auch mal Verrenkungen, auf das der Vorgänger noch verzichten musste.

Und dem gewohnt überdrehten Situationsklamauk tut das natürlich gut. Besonders Anu als von brillanten Einfällen getriebene, ständig an sich selbst zweifelnde Wissenschaftlerin profitiert von der physischen Charakterzeichnung. Gefühlt prescht sie in jeder zweiten Szene mit einem cleveren Aha-Moment nach vorne, um im selben Augenblick noch mit zusammengebissenen Zähnen vor ihrer eigenen Courage zurückzuschrecken.

Sie hat es ja auch nicht leicht! Der Geschäftsführer von Atlas feuert sie just in dem Moment, als das Unternehmen und der Planet Promethea vom Konkurrenten Tediore angegriffen wird. Also flüchtet sie auch, um ihrem Bruder zu helfen, der auf ebenjenem Promethea darauf wartet, dass ihn eine geniale Geschäftsidee berühmt macht – während er als Frans Protegé in deren Frozen-Yogurt-Diele aushilft.

Dank überzeugender Mimik und Gestik kommen die verqueren Charaktere erst richtig zur Geltung. Besonders Anu dreht oft voll auf - übrigens auch auf dem Steam Deck, wo das Spiel mit weitgehend einwandfreien 60 Bildern pro Sekunde läuft.

Und Fran selbst? Die im Roll- Verzeihung: Hoverstuhl sitzende Powerfrau versucht ihre Gefühlsausbrüche zu kontrollieren, um eine mit nur wenigen Leichen gepflasterte Vergangenheit hinter sich zu lassen. Es sind überdrehte Helden, wie Borderlands sie verlangt, aber auch eher alltägliche Charaktere, die in den Shootern der Hauptserie vielleicht als Questgeber dienen dürften. Schön, dass sie hier mal ihr eigenes großes Abenteuer erleben!

Und wie gesagt: Deren quirliges Tun fängt New Tales from the Borderlands erfreulich überzeugend ein. Nur wenn’s mal heiß her geht, fehlt manchmal eine wirklich überzeugende Inszenierung. Ich mag viele Situationen dafür, dass die Figuren nicht nur am Fleck stehen, sondern sich viel im Raum bewegen, was die Kamera mit gelungenen Perspektivwechseln, Crash-Zooms und anderen Stilmitteln einfängt. Gleichzeitig fehlen in vielen Momenten aber auch das Timing und die Animationen, um vollends als Film zu überzeugen, sodass mancher Witz nicht so recht zünden kann. Da ist in Zukunft vielleicht noch mehr drin.

Der Großteil des Spiels dreht sich erneut um Multiple-Choice-Dialoge, an denen die Handlung mal mehr, mal weniger stark verzweigt.

Auf jeden Fall spielt man abwechselnd einen der Drei, wobei sich das selbst inmitten einer Szene ändern kann. Immerhin stehen nach wie vor Unterhaltungen im Mittelpunkt, die man für die jeweils aktive Person durch eine von meist vier Antwortmöglichkeiten in die gewünschte Richtung lenkt. Das beeinflusst den Verlauf der entsprechenden Szene mal mehr, mal weniger deutlich, und verändert zusätzlich das Verhältnis der Charaktere zueinander, was ebenfalls zu Verzweigungen führt.

In den wenigsten Momenten verändert man damit den grundsätzlichen Lauf der Dinge. New Tales from the Borderlands merkt sich aber gerade so viele Details, dass man im Kleinen das gute Gefühl hat Einfluss zu nehmen.

Und so erlebt man ein paar richtig starke Augenblicke, die nicht nur lustig, sondern gelegentlich auch eine willkommene Prise Emotionalität enthalten. Als sich das Trio etwa zum ersten Mal trifft, werden die Figuren und ihre Beziehungen sehr geschickt in das vorsichtige Annähern (Anu und Octavio verbindet nicht gerade ein besonders festes geschwisterliches Band) eingebunden. Da hat es Spaß gemacht, Octavtio aus der Patsche zu helfen, indem man betont auffällig so tut, als hätte er nicht das Funkgerät in der Tasche stecken, mit dem sich gerade die Soldaten der Invasionsarmee zu Wort melden...

Für das Minispiel Vaultlanders sammelt man Figuren, die man dann auch vom Hauptmenü aus in einem kleinen Reaktionsspiel nutzen kann.

Umso bedauerlicher finde ich deshalb aber auch, dass man weniger oft als früher in die Gespräche eingreift. Dadurch fühlt sich die geistige Fortsetzung nämlich mehr nach der auf Schienen laufenden Erzählung eines David Cage an, obwohl sich viele der Telltale-Abenteuer gerade dadurch auszeichneten, dass man durch relativ häufige Multiple-Choice-Situationen sehr aktiv an den Unterhaltungen teilnahm.

Aber gut, man muss die Kirche ohnehin im Dorf lassen: So souverän diese „neuen Geschichten“ das vertraute Borderlands fortführen, dabei sogar zu einer der sagenumwobenen Kammern führen und auf dem Weg dahin gekonnt Videospielklischees persiflieren, so müde wirkt das allzu routinierte Herumblödeln manchmal. So köstlich durchgeknallt wie Borderlands 2 oder The Pre-Sequel! ist es leider nicht – auch wegen des erwähnten, nicht immer zündenden Timings.

Ach, ja: Fragt ihr euch vielleicht, ob der spielerische Anspruch in Sachen Rätsel oder Reaktionsspiele mit dem Wechsel des Entwicklerstudios gestiegen ist? Dem ist leider nicht so. Und das finde ich alles in allem auch in Ordnung. New Tales from the Borderlands will gar nicht mehr sein als ein interaktiver Film.

Wer die Figuren neu einkleidet, kann die Kostüme sogar von Beginn an nutzen. Immerhin darf man die einzelnen Episoden frei anwählen. Ärgerlich ist nur, dass man seinen Speicherstand vom PC nicht aufs Steam Deck mitnehmen kann, weil das Spiel keine Cloud Saves unterstützt und auch über die Anbindung an 2Ks eigenen Shift-Dienst diese Funktion nicht anbietet.

Und trotzdem wünschte ich in manchen Situationen, dass man stärker ins Geschehen einbezogen wäre. Hin und wieder irgendeine gefühlt zufällig ausgesuchte Taste zu drücken, fühlt sich nicht wirklich nach Interaktion an. Und auch das freie Herumlaufen an einigen wenigen Schauplätzen... Ein paar drollige Überraschungen erlebt man da – überseht nicht den Kühlschrank in Frans Küche! Außerdem sammelt man Figuren für das Minispiel Vaultlanders. Mehr als die Suche nach dem richtigen Zielobjekt zum Anklicken ist das unterm Strich aber nicht.

Zumindest findet man in etlichen Schränken, Kisten und anderen Objekten die berühmten Dollarnoten, um dem Trio ein paar abgedrehte Kostüme zu kaufen, die man dann sogar beim erneuten Spielen vorheriger Kapitel anziehen darf. Und hey, es ist durchaus erstaunlich, wie gut sich das Looten selbst in diesem Nicht-Loot-Shooter anfühlt!

New Tales from the Borderlands – Fazit

Alles in allem hatte ich also meinen Spaß mit dem „geistigen Nachfolger“, der einmal mehr auf unterhaltsame Art ins Borderlands-Universum führt. Es zünden nicht alle Gags, der Inszenierung fehlt mitunter der rechte Pep und weder das vertraute Multiple-Choice-System noch die überschaubaren Reaktionsspiele sorgen dafür, dass man intensiv an der Erzählung teilnimmt. Dafür mochte ich die charmanten Charaktere, habe mich über manche Anspielung gefreut und bin sehr froh darüber, dass die Telltale-Formel auch mit moderner Technik funktioniert. Mimik und Gestik erlauben nämlich endlich eine Situationskomik, die gerade dem Borderlands-Szenario auch gerecht wird. Falls ihr mit dieser Art Erzähl-Adventure etwas anfangen könnt, dann dürfte New Tales from the Borderlands somit voll auf eurer Wellenlänge liegen.

Pros und Contras

Pro:

  • Sympathische Charakterköpfe in Haupt- und Nebenrollen
  • Gelungene Charakterisierung über Mimik und Gestik
  • Unterhaltsame Geschichte mit gelungenen Anspielungen und Blödeleien

Contra:

  • Etwas behäbiges Timing und Kameraführung behindern manchmal die Situationskomik
  • Überschaubare Interaktion meist über gewöhnliche Multiple-Choice-Dialoge

Entwickler: Gearbox Studio Québec - Publisher: 2K - Plattformen: PC, PlayStation 5, PlayStation 4, Xbox Series, Xbox One, Nintendo Switch - Release: 21.10.2022 - Genre: Adventure - Preis (UVP): ca. 40€

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Benjamin Schmädig Avatar
Benjamin Schmädig: Für ihn ist WipEout 2097 der Grund, aus dem es Videospiele gibt – aber auch Indiesachen, Shooter sowie fast alles, das mit Weltraum zu tun hat. Sucht gute Storys, knackige Herausforderungen und freut sich, wenn die grauen Zellen nicht unterfordert werden.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

New Tales from the Borderlands

PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X/S, PC, Nintendo Switch

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