Nex Machina - Test
Eine Heldenhuldigung der besonderen Sorte.
Ich konnte es damals schon sehen: Ohne genau zu wissen, warum, waren die Spiele von Eugene Jarvis - in meinem Fall Stargate: Defender 2, vor dem ich Mitte der 80er mit dem Atari VCS 2600 viel zu viele Nachmittage totschlug - einfach etwas Besonderes. Vielen Spielen von damals wohnte ein immer wieder aus dem Ruder laufendes Chaos inne. Defender 2, bis heute eines meiner Lieblingsspiele, kannte das auch. Aber es dosierte die vollauf beabsichtigte Spielerüberforderung maßvoll und gab dem niemals abreißenden Strom krude gepixelter, vermeintlich erratisch über den Bildschirm flitzender UFOs stets eine zielstrebige Flussrichtung mit: nicht nur Ballern, sondern auch die Menschen retten, die in immer schnellerem Takt von den Aliens entführt wurden. Jarvis schätzt es, wenn man viele Bälle auf einmal in der Luft hält, ohne sich zu vergreifen, und brachte mit seinem Blick für Sekundärziele eine gewisse Ordnung in die Anarachie früher Games.
Ich weiß natürlich heute erst, was ich schon damals daran hatte und was es so außergewöhnlich machte. Nex Machina, Housemarques Kollaboration mit dem Altmeister, hat nicht zu knapp Anteil daran, auch wenn es natürlich eher an Jarvis' späteres Robotron 2084 angelehnt ist. Als von oben inszenierte Twin-Stick-Ballerei hält es dieselben Werte hoch: In der Hölle aus Gegnern und Projektilen Menschen zu retten, während man bei seinem Tanz durch ballettartige Formationen und Cluster gottgleiche Pirouetten dreht, dass man sich fast fragen möchte "Wie hab ich das gerade überlebt!?" - oder man blinzelt im falschen Sekundenbruchteil und der aktuelle Raum startet nach Abzug eines Bildschirmlebens von vorn.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Nex Machina ist ein reines High-Score-Spiel, auch wenn der Arcade-Modus Raum um Raum zu Welten verknüpft, bevor es in den nächsten, thematisch und visuell unterschiedlichen Abschnitt geht. Aus dem Wald wird eine Eislandschaft, aus Eis Feuer und so weiter. Aber wie das geschieht, das ist schon ein Hingucker. Jeder der überschaubaren Räume verfügt über ein ihm individuelles Layout und vorgegebene Wellen an Gegnerchoreografien, die ihr mit geschickter Stick-Gymnastik und den sich immer wieder aufladenden kurzen Dashes (samt Unverwundbarkeits-Frames natürlich) gekonnt verladet. Die meisten Feinde rollen einfach auf euch zu, bestimmte andere schnurstracks auf die zu rettenden Menschen. Die schreien um Hilfe, wenn es ihnen an den Kragen geht, ein paar Sekunden bleiben euch immer, ihnen zur Hilfe zu eilen. Gut, dass übersichtliche Pfeile euch den Weg zu ihnen weisen.
Der Raum ist geschafft, wenn alle Gegner tot sind, bevor ihr also in einer eleganten Kamerafahrt fast wie bei Super Mario Galaxy zum nächsten Raum katapultiert werdet - der schon mal, als würde man auf einem Würfel spielen, auf der senkrecht abgewandten Seite der letzten Ebene liegen kann -, solltet ihr zusehen, dass ihr alles erledigt habt, was es hier zu tun gibt. Neben in zerstörbaren Kisten versteckten Menschen warten Waffen-Pick-ups, die es erst zu finden gilt, als alte Arcade-Automaten getarnte geheime Ausgänge zu versteckten Arenen und optionale Gegner, die man nur in bestimmten Momenten erwischen kann. Es ist unglaublich motivierend, den letzten Gegner am Leben zu lassen (den das Spiel dann auch violett glühen lässt, damit ihr Bescheid wisst), um jede Stage auf seine Geheimnisse abzuklopfen. Manchmal fluchte ich regelrecht darüber, dass ich aus Versehen den letzten Roboter zerlegte, weil ich einfach wusste, dass mir etwas durch die Lappen ging.
Denn es ist nun mal so: Alles treibt den Score nach oben, gleichzeitig aber auch den Level an Konzentration und Koordination, den ihr aufbringen müsst, wenn ihr einen Abschnitt überhaupt überwinden wollt. Zu einem gewissen Grad wählt man die Eskalation selbst, das ist wunderbar elegant. Run-Optimierer kommen ebenso auf ihre Kosten wie Spieler, die einfach nur froh sind, das Ende zu sehen. So oder so sind es diese Schnörkel, die Nex Machina an ein eigentlich wahnsinnig stumpfes Konzept macht, die dafür sorgen, dass sich die Wahrnehmung des Subjekts am Controller allein auf den Puls des Spieles reduziert. Man wird nicht oft so sehr eins mit einem interaktiven Erlebnis wie hier. Dieses Gefühl ist der Hauptgrund dafür, dass einen die Level auch dann noch zurückholen, wenn man seine 99 Continues buchstäblich verballert hat. Bis man so weit ist, wirklich alles aus jedem Raum pressen zu wollen, vergeht aber schon eine Weile, in der man Leben um Leben lässt, bis man kapiert, wie dieses Spiel angefasst werden will.
Am Ende jeder Welt wartet natürlich ein Boss, den man legen muss, bevor es weitergehen kann. Deren Design fragt gekonnt euer angeeignetes Skillset ab, auch wenn sie mit gewissen, nicht immer zuverlässig reproduzierbaren Konstellationen aus Waffen-Pick-ups und den diversen unterschiedlichen Dashes deutlich einfacher zu besiegen sind. Das scheint im ersten Moment nicht 100-prozentig optimal, aber jeder Endgegner ist auch nur mit dem grundlegenden Ausweichsprint und dem Standardschuss bezwingbar, was wiederum für ihr Design spricht.
Ungeduldigen Naturen sei gesagt, dass der zentrale Arcade-Modus seinen Namen sehr genau nimmt und euren Spielfortschritt nicht speichert. Sind die Continues verbraucht oder beendet ihr die Sitzung, fangt ihr beim nächsten Mal von vorne an. Immerhin gibt es einen Modus, in dem ihr die Welten einzeln spielen könnt. Im exzellenten Arena-Modus geht ihr die Welten separat und unter veränderten Vorzeichen an, etwa mit schnelleren Gegnern, wobei man wiederum Ränge und Münzen verdient, mit denen man seine Spielfigur ein wenig individualisieren darf, was ich sehr nett fand. Punktejäger und Bestenlisten-Junkies finden in Nex Machina jedenfalls ihr Eldorado. Aber man sollte schon wissen, dass man für einen Anlauf auf den Arcade-Modus zumindest zu Anfang schon gut zwei Stunden einplanen sollte. Stirbt man später immer weniger, geht's schneller.
Das ist letzten Endes aber ein Einsatz, den man gerne erbringt, denn rein vom Gefühl ist dieses Actionspiel eines der besten der letzten Jahre. Gar nicht unbedingt von den direkten Interaktionen her - obwohl die natürlich ohne Tadel sind -, sondern in Sachen Flow ist das hier die Königsdisziplin. Es ist die Quintessenz eines richtig guten Shooters dieser Schule, euch durch die Verteilung der Pick-ups und seines Kanonenfutters nach und nach auf seine Wellenlänge zu ziehen und dort zu halten - und wenn man dann im Takt mit diesem geradezu hypnotisierenden Erlebnis in seinem Stuhl pulsiert, schlängelt man sich fast hellseherisch von Raum zu Raum, fühlt sich wie berauscht dabei. Akustisch und visuell tut das Spiel sein Übriges, euren Augen und Ohren nicht nur Zucker, sondern auch die richtigen Orientierungspunkte und Signale zu geben, um der Schwemme an Informationen und wild über den Screen wischenden Voxeltrümmer nicht abzusaufen. Für die PC-Version würde ich mir allerdings noch ein Update wünschen, mit dem man den leichten Weichzeichner abschalten kann, der vor allem über dem Untergrund der Level liegt. Hier ist wohl ein Post-Process-Anti-Aliasing im Einsatz, das dafür sorgt, dass dieses Spiel selbst in 1440p nicht vollends scharf aussieht.
Aber hey, das ist wirklich das Einzige, was mich an diesem wunderbar schlanken, motivierenden Shooter maximaler Absorptionskraft störte, und das auch nur am Anfang. Nex Machina ist die Krönung dessen, was Housemarque bisher auf die Beine gestellt hat - und da waren eine ganze Reihe nicht eben schlechter Spiele darunter. Ganz ehrlich, ich bin nicht sicher, wie viele von dieser Sorte sie noch machen können. Umso besser fühle ich mich mit Nex Machina: Wenn das hier das letzte Spiel nach dieser Art sein sollte, das sie jemals machen, lassen sie das Genre mit einem kleinen Klassiker zurück.
Entwickler/Publisher: Housemarque - Erscheint für: PS4, PC - Getestete Version: PC -Preis: 19,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Deutsch/Englisch - Mikrotransaktionen: Nein