Ni No Kuni: Der Fluch der weißen Königin - Vorschau-
Tod, Trauer, Traumwelt -Wie ein kleiner Junge versucht, seine Mutter zu retten.
Selbst wer nur mit einem halben Auge hinschaut, sieht Ni No Kuni unmittelbar an, dass Studio Ghibli seine Stifte und Pinsel im Spiel hatte. Nicht, dass ein halbes Auge die Schönheit dieser Traumwelten auch nur im geringsten aufnehmen könnte, aber er genügt halt, dieser rasche Blick. Beginnt man jedoch, sich auf inhaltlicher Ebene mit diesem Japan-Rollenspiel auseinanderzusetzen, merkt man schnell, dass sich der Input der Animationslegenden nicht allein auf das Art-Design des Titels beschränkte.
Auch inhaltlich ist es das typisch herz-schmerzige, bittersüße Erzählen, für das die Japaner zu Recht zu Weltruhm gelangt sind. Erneut erlebt man aus Kindesperspektive ein Abenteuer zwischen den Welten, den Verlust eines Elternteils und eine gewaltige Reise in eine entrückte, andere Realität - in der Hoffnung, alles wieder gut zu machen. Hier ist es Olivers Mutter, die stirbt - mit "Herrn Tröpfchen", ein von den Tränen des Dreizehnjährigen zum Leben erwecktes Stofftier, als Katalysator für das Abenteuer. Das startet in "unserer" Welt, in einer Stadt namens Motorville, und führt den Jungen in ein zauberhaftes Reich, so fremd, vor Leben sprühend und komisch, wie man es aus den Filmen Studio Ghiblis kennt.
Ein süßer Kniff, der dieser Traum-Realität symbolische Tiefe beschert, ist, dass fast jeder wichtige Charakter, auf den man dort trifft, der optisch und charakterlich Seelenverwandte eines Bewohners der "echten" Welt ist. Dies wird im Rahmen der Quests auch mehrmals von Bedeutung sein. In dem von mir auf Namco Bandais Frankfurter Event letzte Woche gespielten Auszug verschlug es Oliver, Tröpfchen und eine Freundin aus der Anderswelt in eine Wüstenstadt. In der sprudelt reine Milch aus dem Stadtbrunnen, was insofern passt, als dass die orientalisch angehauchte Oase von der "Kuhlifin" regiert wird. Die hat allerdings ein Problem. Aufgrund ihrer ... buchstäblich häuslichen Statur kommt sie kaum noch aus ihrem Schlafgemach. Dennoch besteht ihre Muhjestät auf ihre Lieblingsspeise. Um herauszufinden, welche das ist, begibt sich Oliver in die Echtwelt zurück, um die Seelenverwandte der bovinen Regentin aufzusuchen.
Die ist hier eine vollschlanke Ladenbesitzerin und zeigt eine auffällige Schwäche für Käse. Zurück auf der anderen Seite des Spiegels verzaubert Oliver die Milch aus dem Brunnen im Stadtzentrum in das löchrige Leckerli und trägt es zusammen mit seiner Freundin zur Kuhlifin. Im Verlauf der Quest fiel besonders auf, wie nahtlos das Spiel zwischen Cel-Shading Echtzeitgrafik und handgezeichneten Animationsfilmen wechselt. Wie Oliver die riesenhafte Adlige erklimmt, um ihr das gigantische Stück Käse in den Rachen zu schieben, das zeigt mehr als einmal an die unwirkliche und stellenweise sogar ein bisschen unheimliche Bildsprache Studio Ghiblis. In den Echtzeit-Sequenzen hingegen freuen sich langjährige JRPG-Spieler über den Einzug des Motion-Capturings, das die Figuren bedeutend lebendiger wirken lässt, als in der versammelten Genre-Konkurrenz. Die fällt seit frühesten 32-Bit-Tagen oft eher durch steifes Gestikulieren auf, als durch überzeugend ausdrucksstarke Bewegungsabläufe. Ni No Kuni setzt hingegen alles daran, Welt und Protagonisten in Bewegung ins bestmögliche Licht zu rücken.
Ohnehin hat man schon oft genug das Gefühl, sich durch zum Leben erweckte Konzeptzeichnungen zu bewegen. Und spätestens, wenn ihr dann beinahe zufällig merkt, dass ihr in den Dialogsequenzen die Kontrolle darüber habt, aus welchem Winkel ihr das Gespräch verfolgt, wisst ihr: Das hier ist das vermutlich schönste Japan-Rollenspiel, das ihr je gesehen habt. Sei es in den Städten oder auf der betörenden Oberweltkarte, die tolles Reiseflair vermittelt und euch dank direkt sichtbarer Gegnermobs auch den Komfort gewährt, etwaigen Kämpfen auf Wunsch aus dem Weg zu gehen - die Liebe zum Detail ist in jeder Hinsicht beachtlich.
Rein spielerisch bleibt man eher traditionell, wobei sich Level 5 an den eigens erarbeiteten Tugenden orientiert. Es gibt ein Echtzeit-Kampfsystem mit freier Bewegung, diversen indirekten Befehlen und Cooldowns für Attacken, Magie und diverse andere Aktionen. Es sieht actionreich aus, ist allerdings taktisch. Schlag-Kombos oder dergleichen führt man im Sinne der Genretreue natürlich nicht aus. Trotz des Wuselfaktors in den Gefechten, fand ich mich dank des in funktionaler wie auch in handhabungstechnischer Hinsicht schönen Interfaces schnell zurecht. An Olivers Stelle könnt ihr auch seine Begleitung steuern oder eines eurer selbst herangezogenen Maskottchen in die Schlacht schicken, was für Variabilität und Langlebigkeit des Systems spricht. Meine Hands-on-Zeit mit dem Spiel war aber leider zu kurz, um hier weiter in die Tiefe zu gehen. Der ersten Vorschau-Fassung sehe ich schon jetzt mit Spannung entgegen.
Doch das kann selbst für uns Spiele-Redakteure noch eine ganze Weile dauern. Namco Bandai gibt sich sichtlich Mühe mit der Lokalisation, die Texte waren schon hervorragend übersetzt, aber: Das Spiel ist seit November 2011 in Japan zu haben - für Deutschland ist der Stichtag mit dem 25. Januar 2013 noch geradezu schmerzlich weit entfernt. Dass dies jedoch der einzige Haken ist, der mir zu Ni No Kuni: Der Fluch der weißen Königin einfällt, sagt schon einiges über die Qualität des von mir erlebten Abschnitts aus.
Prämisse und Umsetzung drücken einfach all die richtigen Knöpfe. Von der Idee mit dem Weltenwechsel, bis hin zu der Sache mit den Seelenverwandten - Olivers niedliche blonde Begleitung hatte in der gespielten Szene einen rührigen Moment, als sie ihr Echtwelt-Gegenstück sah -, alles hat Hand, Fuß und vor allem Herz. Ni No Kuni ist damit eine fabelhafte Erinnerung daran, wie sehr Spiele von Figuren mit starken, nachfühlbaren Motiven profitieren. Hier hat ein kleiner Junge seine Mutter zu verlieren. Wer fühlt sich da nicht berufen, ihm zu helfen?