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Niedliche Zeitreisen mit Lilly Looking Through

In diesem gezeichneten Indie-Adventure knobelt ein kleines Mädchen auf Myst-Niveau.

Ich habe in meinem Leben schon einige Zeitreisende gesehen, aber die kleine Lilly aus Geeta Games' Indie-Adventure Lilly Looking Through ist die einzige, die akute Diabetes auslösen kann. Zwischen all den Terminatoren, Marty McFlys, Dr. Whos und Enterprise-Offizieren wirkt das tapsige Mädchen mit magischer Fliegerbrille ein wenig deplatziert. Die Zeit-Rätsel, mit denen sie sich herumschlagen muss, sind freilich alles andere als Kinderkram.

Mit Quantenphysik und temporalen Theorien hat Lilly nichts am Hut. Es ist eine magische Welt, in der das Mädchen nach ihrem Bruder suchen muss. Dieser wurde von einem roten Schal (!) gepackt und vom Wind davongetragen. Nun bahnt sich die Schwester ihren Weg durch Ruinen, Schlingpflanzen und Höhlen. Wie die Kinder überhaupt in diese Welt verschlagen wurden? Darüber werden wir im Dunklen gelassen. Kein Wunder, wenn man den Lebenslauf der Entwickler betrachtet.

Die Gegenwart in Lillys Welt besteht aus tristen Ruinen, die von Pflanzen überwuchert werden. Was verschlägt ein Kind nur in so eine Umgebung?

Geeta Games ist ein junges Indie-Entwicklerstudio in Michigan, besteht seit Januar 2012 und entstand um das Ehepaar Steve und Jessica Hoogendyk herum. Finanziert wurde Lillys Abenteuer mitte letzten Jahres auf Kickstarter. Dass Steve bei einigen Hollywood-Filmen und Spielen mit fantastischem Setting als Designer mitgearbeitet hat, sieht man dem Titel an. Hoogendyk war nicht zuletzt an Myst 3: Exile, RealMyst und Uru: Ages Beyond Myst beteiligt. Die zugleich vertraute und dennoch fremdartige Welt voller Hebel und Apparaturen - intakt in der Vergangenheit, Ruinen in der Gegenwart - das erinnert stilistisch stark an die legendäre Adventure-Reihe. Lilly Looking Through ist quasi ein Spiel für die Kinder der Myst-Generation. Wobei Mama und Papa wohl das eine oder andere Mal beim Knobeln zur Hand gehen müssen. Die Rätsel sind nämlich teilweise ziemlich ausgefuchst, trotz der eingebauten Hilfefunktion, die Hinweise auf den nächsten Klick gibt.

Dabei ist Lilly Looking Through ein sehr lineares Adventure, wenn man die Preview als Maßstab nimmt. Der Weg der kleinen Zeitreisenden verläuft stets von rechts nach links: Lilly betritt eine Szene, knobelt und kombiniert sich einen Pfad hindurch und wechselt zum nächsten Bild. Zurück geht es nicht. Ein Inventar fehlt ebenfalls. Alle Gegenstände, die das Mädchen benötigt, finden sich auf dem Bildschirm. Entweder ihr platziert die diversen Zahnräder, Stangen und Bauteile in den Apparaturen oder ihr benutzt sie anstatt des Mauspfeils. So könnt ihr zum Beispiel eine herumliegende Binse in Brand stecken und mit der Maus an ein Seil halten, damit es durchbrennt. Die Rätsel sind allesamt recht pfiffig, was auch an der Zeitwechsel-Mechanik liegt, der das Spiel seinen Namen verdankt.

Wer braucht schon einen Fluxkompensator?

Lilly findet relativ früh eine magische Fliegerbrille, durch die sie nicht nur einen Blick in die Vergangenheit werfen kann, sondern komplett dorthin versetzt wird. Das macht sie zur Herrin über Kausalität und Raum: Wo Lilly in der Vergangenheit eine Eichel fallen lässt, steht in der Gegenwart ein Baum. Ein überschwemmter Durchgang oder eine zerstörte Brücke lassen sich passieren, sobald sie in die Vergangenheit wechselt. Manchmal ist auch das richtige Timing entscheidend - da hüpft Lilly in der Gegenwart ins Leere, springt durch die Zeit und landet (wenn ihr alles richtig macht) in der Vergangenheit auf sicherem Boden.

Die gleiche Szene wie oben, nur in der Vergangenheit. Sonnenschein, sattes Grün und intakte Gebäude - da behält man doch die Brille lieber auf der Nase!

Trotz Adobe-Flash-Gerüst und Indie-Entwickler im Rücken hinterlässt der Titel einen sehr soliden Eindruck. Es werden 3D-animierte Figuren und gezeichnete Hintergründe kombiniert. Der Übergang zwischen manipulierbaren Objekten, den Charakteren und der Umgebung verläuft allerdings manchmal etwas unsauber. Die Szenerien wurden mit viel Herzblut und sanftem Federstrich gemalt. Die darin agierende Lilly und die anderen sporadisch auftauchenden Figuren wirken hingegen scharf per 3D-Animationssoftware akzentuiert und heben sich in der Bewegung deutlich vom Rest des Bildes ab. Einige manipulierbare Gegenstände sehen auffällig verpixelt aus, solange sie herumliegen, werden scharf, sobald sie sich bewegen, und verschmelzen dann wieder pixelig mit dem Hintergrund. Hier hätte man vielleicht besser nur den Pinsel bemüht, anstatt die 3D-Software.

Jüngere Kinder dürften von den Knobeleien vielleicht ein wenig überfordert werden, außer sie haben die Adventure-Gene ihrer Eltern geerbt.

Doch im Grunde mäkele ich hier an Kleinigkeiten herum. Nach ein paar Minuten in der fremdartigen und faszinierenden Welt vergisst selbst der kritische Betrachter die Treppcheneffekte und verfällt der charmanten Protagonistin und den knackigen Rätseln. Jüngere Kinder dürften von den Knobeleien vielleicht ein wenig überfordert werden, außer sie haben die Adventure-Gene ihrer Eltern geerbt. Ein wenig problematisch finde ich außerdem, dass sich die Animationen nicht beschleunigen lassen. Lilly braucht ihre Zeit, um von A nach B zu trippeln, Hebel zu ziehen oder an Seilen zu klettern. Auch wenn das beim ersten Durchlauf niedlich anzusehen ist - spätestens, wenn die Rätsel mehrfach die gleiche Aktion erfordern, würde ich die Angelegenheit gerne etwas beschleunigen.

Andererseits ist Lilly Looking Through sowieso kein Adventure zum schnellen Durchpowern. Die geheimnisvolle und detailverliebte Welt wäre viel zu schade für einen Gewaltmarsch der Marke "Chinesischer Tourist" (21 europäische Metropolen in drei Tagen). Nehmt euch also ruhig ein wenig Zeit. Erst recht, wenn ihr dabei einem Nachwuchs-Knobler über die Schulter schaut. Am 1. November kommt der Titel für PC, Mac und Linux in den Handel. 10 Dollar kostet die DRM-freie Pre-Order-Version (Cross-Plattform) auf der offiziellen Seite, die Deluxe-Fassung inklusive Steam-Key und Artworks-PDF schlägt mit 15 Dollar zu Buche. Eine Demo findet ihr auf der Homepage des Spiels.

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Frank Erik Walter Avatar
Frank Erik Walter: Tagsüber arbeitet Frank als freier Journalist. Nachts jagt er seit 2010 flüchtige MMOs für Eurogamer.de und die MMO PRO. Skittles und Tetris sind sein Kryptonit.
In diesem artikel

Lilly Looking Through

PC, Mac

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