NIER
Geheimtipp mit Macken
„Dieser Eintopf riecht, als hätte ich auf ein Lagerfeuer gepinkelt. Ist da überhaupt Fleisch drin? Und was sind diese großen, schwarzen Klumpen?“, grübelt euer Held vor sich hin. Es hilft nichts. Gute Miene zum bösen Spiel ist angesagt, immerhin hat euer todkrankes Töchterchen Yonah für euch gekocht. Hirschfleisch und Weizen. Beides von euch besorgt. „Papa? Hast du keinen Hunger?“ Nun, NIER besitzt definitiv seine Knallermomente. Situationen und Dialoge, bei denen durchschimmert, dass die Entwickler sich, euch und das ganze Rollenspiel- und Action-Adventure-Genre auf die Schippe nehmen. Und wisst ihr was? Das ist gut so!
Ein tolerantes Humor-Verständnis solltet ihr allerdings mitbringen, denn NIER überschreitet durchaus Schmerzgrenzen. Etwa wenn es sich für eine Mission in ein Text-Adventure verwandelt. Ganz recht: TEXT-Adventure. Kurze Erklärung für Leser unter 95 Jahren: Text-Adventures sind Spiele, die nur mit Worten funktionieren. Ohne Grafik. Nur Sätze. Ihr seht einen schwarzen Bildschirm, weiße Buchstaben verkünden euch zum Beispiel, dass die Fenster einer Burg mit lautem Getöse zerbersten. „Ein frischer Wind weht durch die Gänge und Korridore und vertreibt den Rauch ein für alle Mal bla bla bla bla“. Und dann dürft ihr in diesem Fall per Antwort-Wahl eine Textaufgabe lösen oder den Weg aus einem Labyrinth finden und so weiter. Das ist kein kurzer Scherz – die Buchstabenwüsten samt Aufgaben beschäftigen euch bestimmt eine halbe Stunde.
Es gibt wie in fast jedem Rollenspiel auch Angelmissionen. Jedoch haltet ihr nicht einfach euer Stöckchen ins Wasser, ihr dürft richtig ranklotzen. Die passende Stelle finden, Köder aussuchen, mit der Beute kämpfen, bis ihr sie in der Hand haltet. Das ist ein paar Mal lustig, doch nach dem vierten rostigen Eimer und der zweiten Mini-Sardine, die ihr statt des benötigten Schamanenfischs aus dem Wasser zieht, beginnt die Prozedur langsam zu schmerzen. Die Qual scheint jedoch kein Design-Fehler, den die Entwickler übersehen hätten. Es ist Absicht! Warum sonst sollte sich das Spiel irgendwann erbarmen, die Zeit zwei Tage vorzudrehen und euch zum erfolgreichen Fischfang einen blöden Kommentar reinzudrücken?
Sind die Entwickler nur brillant oder auf eine gewisse Art und Weise sadistisch? Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Die Anspielungen auf bekannte Genre-Vertreter lassen bei Kennern der Materie jedenfalls die Freudenglocken läuten. Da erwartet euch eine 2D-Ballersequenz wie aus Contra, ein Junge hält zu einem Jingle seine gefundene Maske wie Link in die Kamera, ein altes Herrenhaus versprüht verdächtig viel Resident-Evil-Charme oder ein Keller überrascht mit isometrischer Diablo-Perspektive. Einfach herrlich.
Doch Nier kämpft auch mit unnötigen Macken. Ihr dürft die Tasten nicht frei belegen und es existieren nur drei Speicherstände. Liebe Entwickler, mit solchen Steinzeit-Restriktionen könnt ihr das Schreckgespenst der dahinsiechenden japanischen Videospiel-Industrie nicht vertreiben! Wer etwa gewohnt ist, mit „A“ zu interagieren und „B“ zu springen, den treibt eure künstliche Komfortschwelle in den Wahnsinn. Und weshalb diese halb-transparenten Balken bei den Zwischensequenzen?
Aber gut, man gewöhnt sich an alles. Auch daran, dauernd zwischen der Handvoll Orte auf der Karte hin und hergeschickt zu werden. Allzu lange Wege lassen sich zwar auf einem rasenden Eber oder später mit Schiffen & Co. verkürzen, doch ein guter Teil der Spielzeit fällt auf eure Spaziergänge. Das Spiel kommentiert eure Mühen auf seine eigene Art und Weise. „Hey, ich kenne Euch!“, entgegnet euch ein Kerl am Hafen. „Ihr seid dieser verzweifelte Typ, der jeden Auftrag annimmt, egal wie stumpfsinnig oder erniedrigend er auch sein mag!“ Na danke.