No Man's Sky - Test
Journey. Im Weltraum.
Vielleicht ist es, weil ich älter werde? Ich habe in den letzten Jahren für mich die weiche Regel aufgestellt, dass ein Spiel vor allem eines muss: Meine Zeit respektieren. Das "Moment-to-moment"-Erlebnis steht für mich mittlerweile über allem. Spiele, die den Grind und lange Wege mit dem Erleben ihrer Welt gleichsetzen, fliegen bei mir ganz schnell aus der Rotation. Und doch hielt mich No Man's Sky die vergangene Woche über ziemlich feste in seinem Bann.
Hier sind Erlebnis und Leerlauf irgendwie nicht zu trennen. Dieses Spiel ist ein einziger Weg. Nicht interessiert am Verbleib an einem Ort, lockt nur einen Mond weiter das nächste Filmposterpanorama. No Man's Sky schaut nicht zurück, nur nach vorn, ins gleißende Zentrum seines prozedural generierten Universums, wo... etwas wartet. Oder auch nicht? Hello Games sind mit ihrem Entwurf des Ziels dieser Reise in bester Gesellschaft - unter einschlägigen Sci-Fi-Denkern, deren Namen ich nicht nenne, um nicht zu viel über das Ende dieser Milchstraße zu verraten.
Vergleiche, die es als "Elite: Dangerous Kids" oder "Star Citizen Light" deklarieren, als eine Arcade-Version der Space-Simulationen, die gerade so hoch im Kurs stehen, muss man als Humbug fortwischen. Das hier hat im Großen und Ganzen trotz seiner im Vorfeld viel gepriesenen Freiheiten beinahe mehr gemein mit thatgamecompanys Journey. Nun gut, wenn man ihm Weltraumromantik beibrächte, den Weg auf unüberschaubare Länge streckte und sein Progressionssystem einer etwas zu strengen "Gamification" unterzöge.
Das Resultat beschäftigt problemlos mehrere komplett durchspielte Tage, in denen man sich prima seiner eigenen Verwahrlosung (und der seiner Haustiere und Sozialkontakte) hingeben kann. Dabei erlebt man einige Höhepunkte, die zum Teil ja gestern schon in einem eigenen Artikel zur Sprache kamen. Und trotzdem geht es als Ganzes irgendwie nicht auf. Schwächen in Konzept, echte und ehrliche Probleme aufseiten der Spielsysteme und nicht zuletzt Bugs und Abstürze sorgen dafür, dass ich mit zerknirschtem Gesicht und einem etwas leeren, unvollendeten Gefühl aus dieser letzten Woche hervorgehe.
- Entwickler/Publisher:
Hello Games/Sony - Erscheint für:
PS4, PC - Preis:
59,99 Euro - Erscheint am:
erhältlich - Getestete Version:
PS4 - Sprache:
Englisch, Deutsch - Mikrotransaktionen:
nein
Ein anderes Gefühl ist vier Tage, nachdem ich mein abgestürztes Raumschiff das erste Mal flottmachte, um die Reise anzutreten, aber nicht dabei: Reue. Man könnte No Man's Sky fast als Missverständnis beschreiben. Es ist genau das, was die ersten Trailer versprachen. Dieses hochtrabende Monstrum von einem Spiel, in dem man in einem unendlichen Universum macht, was man will, geht wohin man will. Und doch hat der fertige Titel nicht zwangsläufig viel mit dem Bild gemein, das der letzte Satz und die Beschreibungen im Vorfeld auf eure innere Leinwand projizieren. In diesem Bild kommt nicht vor, dass man von Anfang bis zum Ende, das viele gar nicht sehen werden, in erster Linie mit dem Sammeln überschaubarer Ressourcen verbringt.
Die schneidet man in vielen, vielen Stunden mit seinem Laser aus säulenartigen Formationen, die selbst auf unterschiedlichsten Planeten immer täuschend ähnlich aussehen. Teilweise macht man das freiwillig, weil ein besseres Schiff doch ein ziemlicher Anreiz ist, teilweise rein zwanghaft, weil das schlimme Inventar nicht zulässt, dass ihr Vorräte anlegt. Auch der Algorithmus, dem diese Galaxie zugrunde liegt, ist schuld daran, dass man manchmal fast wie von Sinnen schürft und schürft. Selbst die kleinste vorgenommene Unternehmung - "Ok, ich brauche Gold, um die Warp-Verbesserung zu reparieren" - entgleist regelmäßig in einen ausgewachsenen Spaziergang, weil 100 Meter abseits des Weges zurück zum Schiff eine dieser gelben Zinkblumen stand, die man unmöglich stehen lassen konnte (und ihrerseits wiederum nur einen Steinwurf vom nächsten, längst überflüssigen Gold- oder Aluminiumberg entfernt steht).
Selbst die schönsten Planeten wirken durch diesen sturen Blick für Ressourcen so manches Mal austauschbar. Wer Assassin's Creed eine Weile gespielt hat, kennt das: Man sieht nicht mehr Rom, Istanbul oder London, sondern nur noch Kistentreppen, Haltepunkte und Reckstangen, man blendet das Drumherum aus. Es spricht für No Man's Sky, dass die Szenerie immer wieder mit voller Wucht durchschlägt und den wiederholungsanfälligen Sammelzyklus kurz vergessen macht - ironischerweise ganz ohne, dass auch nur ein Mensch Hand an diese Panoramen gelegt hätte, während bei den Assassinen Hunderte mit der Umsetzung der Städte betraut sind. Aber im Kern macht man doch immer das Gleiche, ob man sich nun als optimierwilligen Technokraten gibt oder als Forscher, der alle acht bis 15 Tierspezies eines jeden Planeten scannen will.
Im Gegensatz zur Umgebung, die durchweg schön und organisch anmutet und auch eine tolle - wenngleich im Fall meiner Reise eben nicht gefühlt endlose Varianz - aufweist, sind die eigentlichen Inhalte sehr, sehr systemisch. Mussten sie auch sein. Wie sonst will man ein komplettes Universum füllen? Aber wie gesagt: Davon ist auf dem Bild in eurem und meinem Geiste, welches wir über die Jahre bereitwillig kultivierten, nichts zu sehen. Ebenso "Points of Interest", also auf Planeten sichtbar markierte "Orte von Interesse", die man ewig abklappert und die man trotz einer durchaus vorhandenen Fülle an Multiple-Choice Entscheidungen (wie in FTL, nur weniger hartherzig) schon lange vor dem Ende der Reise auswendig kennt.
Und doch muss ich sagen, selten habe ich so viel Zeit in ein Spiel gesteckt, ohnmächtig, mich von ihm zu lösen und gleichzeitig ohne Ahnung, ob ich hier wirklich Spaß verspürte. Ein veritables Fegefeuer eines internen Für und Wider. Die ersten beiden Nächte brachten mich erst Abstürze - später mehr dazu - weit nach 1:00 Uhr nachts dazu, ins Bett zu gehen. Immer und immer wieder knipste ich Screenshots, weil Hello Games in seinem Willen, Pulp-Sci-Fi-Novellen, Plattencovern und VHS-Hüllen ein Denkmal zu setzen, voll abliefert. Ich ließ mich treiben. Sehr gerne sogar. Und merkte nicht einmal, wie teilnahmslos ich darüber wurde, was ich hier eigentlich machte. Es ist das ultimative Chill-Spiel, dessen seichte Survival-Elemente eher störend eingreifen und noch dazu irritierend handzahm sind. Nur selten muss man sich ernsthaft verteidigen - vor den viel zu leicht abzuhängenden Sentinels, die allzu aggressives Roden der Planeten strafen, den Space-Piraten, die man im Raumkampf dank Auto-Aim und großzügigem Rückwärtsgang fast wie von selbst erledigt oder der selten aggressiven Tierwelt.
Überhaupt: Die Tiere. Schlechte Menschen in der Redaktion belächeln mich bisweilen ein wenig wegen meines Dinosaurier-Ticks. Aber für mich waren die ersten Bilder urzeitlicher Fantasiewelten der Traum schlechthin. Jetzt, nachdem das Spiel hinter mir liegt, muss ich sagen: Wenn es haushohe Future-Brachiosaurier gibt, oder 100-Meter-Schlangen, die sich wie ein Dune-Sandwurm durch die Wüste fräsen - beides Dinge aus den ersten Trailern -, dann habe ich sie in über 40 Stunden nicht gesehen. Das kann reines Pech sein, aber alles, was ich sah, bewegte sich im lustigen, aber überschaubaren Rahmen bis fünfeinhalb Metern Größe. Es war schon auffällig, wie häufig die größten Biester eines Planeten zuverlässig diese Dimensionen erreichten. So auffällig, dass ich mich frage, ob es vielleicht aus technischen Gründen nicht größer geht? Gut möglich, dass rund um den Kern des Universums noch wildere Sachen passieren, aber wer der zentralen Questline um den mysteriösen Atlas folgt, und das dürften viele sein, der wird so weit gar nicht kommen.
Ansonsten darf man ruhig auch Zweifel an der Unendlichkeit der oft auch untereinander ziemlich teilnahmslosen herumwuselnden Kreationen (haargenau ein Mal sah ich einen Jäger einen Pflanzenfresser töten) anmelden. Es stimmt schon, dass sie sich technisch gesehen immer unterscheiden. Aber weil fast alle aus unterschiedlich skalierten Bauteilen des bekannten Tierreichs und einiger Sci-Fi-Kreationen bestehen - Spore lässt Grüßen -, kommen einem mit der Zeit gewisse Wesen bekannt vor, was im Übrigen auch für die Flora dieser Welten gilt. Das ist schon okay. Auch so sieht man genügend coole Viecher und ich kann schließlich nicht mit Bestimmtheit sagen, dass dieses eine Biest, das mir in seiner Gewaltigkeit noch die Schuhe auszieht, nicht doch existiert.
Und das ist das Gefühl, das einen vorwärts zieht. So wiederholungsanfällig und arg weltlich die eher systemisierten Entdeckungen und Aufgaben mit der Zeit auch wirken, so sehr lockt nur ein Sonnensystem weiter vielleicht doch noch die Entdeckung, die einem die Sprache verschlägt. Ich kann nicht sagen, dass ich es vor dem Launch anders gewollt und erwartet hätte. Damit sich die Entdeckungen wirklich und wahrhaftig Besonders anfühlen, müssen sie nun mal von Natur aus auch sehr selten sein. Das bedeutet auch, dass man nicht davor gefeit ist, sie zu verpassen und vielleicht nie zu Gesicht zu bekommen. Manchmal muss man vorsichtig sein, was man sich wünscht. Wenn sie irgendwo da draußen sind, ist alles vergeben und vergessen.
Das kann ich über die vielen störenden Kleinigkeiten nicht sagen. Inventar für Anzug und Raumschiff, die nicht zulassen, etwas zu Craften, wenn sie voll sind (selbst wenn die Zutaten dabei verbraucht werden) und eine Welt, in der man nichts "mal eben kurz ablegen" kann, sondern nur ein für allemal wegwerfen, sind die denkbar schlechteste Kombination. Mit vollem Inventar etwas aufzuheben, löscht es auf Nimmerwiedersehen. Ich kann kaum abschätzen, wie viele Wagenladungen an Ressourcen ich wegwerfen musste, um nicht stapelbaren Quest-Gegenständen Platz zu machen. Vor mir die feuchten Traumwelten eines jeden Trekkies und ich soll mich stattdessen mit dem Inventar befassen? Verbindlichsten Dank.
Ein anderes Problem ist sowohl spielerischer als auch philosophischer Natur. Hier geht es um die Reise ins Zentrum allen Lebens. Was hinter euch liegt, ist egal. Aber muss das Spiel durch das Fehlen einer echten Karte jegliche Möglichkeiten gezielter Erkundung zunichtemachen? Eine kryptische Klassenbezeichnung und ein Buchstabensalat-Name ist alles, was ihr auf der Galaxiekarte bekommt. Sich aus der Ferne schon ein interessantes System rauszupicken, ist nicht drin. Man fliegt immer ins Blaue hinein. Und niemals zurück, weil das Spiel den gekommenen Weg nicht einzeichnet und bereits besuchte Systeme zwar im Erkundungsmenü vermerkt, sie aber nicht als Ziel wählbar sind. Überhaupt ist es ungemein schwer, unmöglich fast, bereits entdeckte Orte wiederzufinden. Die im Menü klar als "Wegpunkte" deklarierten Lokalitäten lassen sich nicht als Reiseziele festlegen. Dies ist kein Spiel, bei dem man lange irgendwo bleibt. Macht euch das klar, dann könnt ihr besser damit leben.
Man könnte noch darüber reden, wie seltsam man sich in einem Universum fühlt, das sich allein um einen selbst zu drehen scheint. In dem nach jedem Hyperraumsprung eine ganze Flotte wortloser NPCs wie zum Gruß vor eurem Bug zum Stehen kommt und in dem Raumhäfen erst dann von anderen Schiffen angeflogen werden, nachdem ihr darauf gelandet seid. Ein Universum, in dem alle Nicht-Spieler-Charaktere regungslos als Stichwortgeber dastehen und nie etwas Anderes tun, als darauf zu warten, dass ihr sie ansprecht. Oder darüber, dass das Spiel nur speichert, wenn ihr aus eurem Raumer aussteigt, was dazu führt, dass Reparaturen oder Handel oder einfach nur eine lange Serie von Sprüngen ohne Zwischenstopp komplett verloren gehen, wenn das Spiel mal wieder abstürzt, was mir vergangene Woche sicherlich zehn Mal passiert ist.
Das liest sich jetzt sicher vernichtend, aber wie ich oben schon schrieb: Reue verspüre ich nicht. Es gibt Mittel und Wege, viel Freude aus diesem Spiel zu ziehen. Vergesst die ausgelobte Freiheit, die angepriesenen vielen Wege dieses Spiel zu erleben. Begreift es als Reise auf mehr oder weniger gerader Linie und mit klar definierter Endstation. In dem "Pfad des Atlas", der euch zu Beginn des Spiels angeboten wird, liefert das Spiel eine gute Route, auf der sich die Oohs und Aahs, die Hello Games mit einiger bewundernswerter Leichtigkeit generiert, nicht so schnell erschöpfen. Folgt dieser Questline gemächlich, nehmt euch Zeit für Abstecher und schlagt wieder eine direkte Linie zum Ende ein, sobald euch der erste unwillentliche Seufzer entfährt. Auch hier beutelt einen zwar das Inventar - wie bitte soll man zehn Plätze für Quest-Items reservieren?! - aber man verlebt eine erfüllendere Zeit.
Am Schluss seiner Präsentation auf dem Launch-Event des Spiels hatte Sean Murray letzte Woche noch etwas hinterhergeschickt, was wie eine vorauseilende Entschuldigung klang. Man sei ein zu kleines Studio, um das perfekte Spiel zu machen. Doch wenn man nur einmal dieses 'Wow, ich habe diesen neuen Ort entdeckt' erzeugen könne und dem Spieler die Größe des Weltraums begreiflich mache, sei das Studio schon froh. Nun, das ist ihnen gelungen. Mehr als einmal saß ich mit offenem Mund vor diesem Spiel. Markierte "points of interest" bedeuten in den meisten anderen Spielen, dass es abseits dieser Orte nichts, aber auch rein gar nichts Bemerkenswertes zu sehen gibt. No Man's Sky relativiert das auf so malerische Weise, dass man oft nicht glauben kann, dass hier nicht doch jemand Hand angelegt hat.
Am Ende wurde ihm seine Größe aber eben doch zum Verhängnis. Ich bin über 40 Stunden drin, fühle mich gleichzeitig immer noch am Anfang und so sehr am Ende, wie ich lange nicht mehr mit einem Spiel am Ende war. Ich habe dieses Universum trotzdem ins Herz geschlossen. Es ist ein bemerkenswertes, einzigartiges Projekt, das man mal erlebt haben sollte. Und eines, dem mit den richtigen Updates vielleicht doch noch eine Zukunft ins Haus steht, die zu dem Bild passt, das man sich im Vorfeld von dem Spiel machte. Irgendwie treffend also, dass sich No Man's Sky als ewige Reise inszeniert. Auch sein Weg scheint noch lange nicht bis zum Ende abgeschritten.