Nocturnal im Test: Verkürzt gekonnt die Wartezeit auf Prince of Persia: Lost Crown, wenn auch nur um 5 Stunden
Spiel mit dem Feuer.
Da so mancher mit dem Look des neuen – und exzellenten – Prince of Persia: The Lost Crown so seine Probleme hatte und das Spiel noch ein halbes Jahr entfernt ist, dürfte der just erschienene Action-Platformer Nocturnal gerade vielerorts Interesse wecken. Ich war optisch jedenfalls direkt angetan von dieser Finster-Version von Tausendundeiner Nacht. Auch, wenn ich nicht sicher bin, ob er zur Vision von Ubisoft Montpelliers Prince of Persia gepasst hätte. Zu diesem Spiel passt er jedenfalls wahnsinnig gut, und ja, auch er dreht sich um ein spannendes Gimmick, das einem Prince of Persia gerecht geworden wäre.
Das Spiel der Schweizer von Sunny Side Games fängt die Ästhetik des alten Persiens jedenfalls ziemlich ordentlich ein. Nach Angaben des Entwicklers ist das Reich Nahran nicht nur von den alten Prince of Persia Spielen inspiriert, sondern vor allem durch Iran-Reisen der Verantwortlichen. Es ist ein nicht allzu sehr romantisierter Blick auf die Popkultur-Version dieses antiken Reiches. In pastellenen, zarten Farben stilisiert, nicht zu kantig, aber doch voller klar gezogener Konturen, die sich ein organisch dahinfließender und ehrlich beeindruckend animierter Düsternebel einverleibt. Es ist ein schöner Kontrast, der auch Aufhänger des kompletten Spiels ist.
Auf dem Weg, seine verlorene Schwester zu finden, muss Held Ardeshir mit wehendem Umhang und scharfem Krummsäbel die Dunkelheit vertreiben. Dreh- und Angelpunkt des Gameplays ist deshalb das Spiel mit dem Feuer, wenn ihr an Fackeln euer Schwert in Flammen setzt und diese vor Auslaufen eines hübsch implementierten Timers zur nächsten erloschenen Fackel tragt. Andernorts setzt ihr Efeu in Brand, um versteckte Durchgänge, Plattformen oder Wandmalereien mit Puzzle-Lösungen freizulegen und auch im Kampf und beim Rennen und Hüpfen kommt euch das Feuer zugute.
Dazu sollte man vorwegschicken, dass Nocturnal kein Metroidvania ist, sondern einem klaren, kritischen Pfad von Anfang bis Ende folgt. Hier und da gibt es eine Abzweigung, die zu Buchseiten und Briefen führt, die ein wenig tiefer in die Mythologie und den Verbleibt von Ardeshirs Schwester Arsia eintauchen lassen. Unterm Strich ist Nocturnal aber wenig an Erkundung interessiert. An sich wirkt es in der Flut moderner Platformer überhaupt etwas heruntergekocht. Wie ein Konzentrat der Hüpfer, wie man sie damals toll fand.
Es gibt zwar einen Ausweich-Spurt, der darf bis kurz vor Schluss aber nur am Boden ausgeführt werden. Geblockt, oder pariert wird nicht, einen Doppel- oder Wandsprung gibt es ebenso wenig, wie die Möglichkeit, sich nach unten durch Plattformen herunterfallen zu lassen, oder mit einer Stampfattacke aus der Luft auf die Feinde herabzustürzen. Dafür dürft ihr nach gut einem Drittel des Spiels auch einen Dolch zielen und werfen, was ebenfalls häufig für Sprung-Puzzles genutzt wird.
Die Kämpfe sind summa summarum dennoch simple “Ausweichen-und-von-hinten-angreifen”-Angelegenheiten. Sie fühlen sich kräftig, satt und in Sachen Timing ordentlich umgesetzt an, sind aber auch nicht besonders tiefschürfend oder dynamisch. Zumal ich hier und da den Überblick über die sich teilweise überlappenden Lebensenergie-Anzeigen eng zusammenstehender Gegner verlor. Definitiv nicht schlecht, aber nicht großartig daran interessiert, dass ihr sie perfektioniert. Zugleich fand ich diesen Oldschool-Ansatz erfrischend. Wollt ihr beim Springen zum Beispiel ein wenig Weite extra erreichen, schlagt ihr in der Luft mit eurem Schwert, was wie ein Workaround aus der Urzeit der Spielkultur wirkt. Und das nicht einmal auf die schlechte Art.
Zudem hat die an die Leine genommene Mobilität sichtlich Methode. Ein zarter, aber lohnender Fähigkeitenbaum gewährt euch etwa höhere Bewegungsgeschwindigkeit bei loderndem Säbel, einen mächtigen Spezialangriff, mehr Lebensenergie und stärkere Schläge. Es ist deshalb unermesslich wichtig, die Flamme am Leben zu erhalten. Mit Feuer an der Klinge seid ihr die beste Version eurer selbst und der Kontrast wird durch die Einfachheit der Kampf- und Bewegungsabläufe umso deutlicher. Schon ganz zu Beginn spürt man einen ganz besonderen Drive, weil man sich beeilt, die nächste Fackel zu erreichen, zumal nicht wenige davon überhaupt erst Türen für euch öffnen.
Das ist ziemlich treibend und bereitet gut auf spätere Herausforderungen vor, wenn man unter Zeitdruck beweglichen Lichtquellen folgen und gleichzeitig kämpfen muss, während man auf Feinde trifft, die Flammen auch löschen können. Hinzu kommt die smarte Risiko-Belohnung-Abwägung, weil ihr das Feuer auch konsumieren könnt, um euch zu heilen. Die Aussicht, im Dunkeln zu stranden und dann eventuell gefährlichen Schattenwesen nichts entgegensetzen zu können, ist nicht gerade prickelnd. Nocturnal wirkt deshalb ziemlich rastlos und geradezu manisch vorwärts gerichtet, ein schöner Spiegel von Ardeshirs Gemütszustand auf der Suche nach Arsia.
Ein paar Macken hat Nocturnal aber doch. So sieht man zum Beispiel regelmäßig, dass nicht so viel Geld, respektive Personal dahintersteckt. Der Regeneffekt zu Beginn tröpfelt nur auf der Parallaxe, auf der Ardeshir sich bewegt, was ebenso seltsam aussah, wie die Copy-and-paste-Leichen der Opfer der Katastrophe, die auffallend uniform den Hintergrund zieren. Und allgemein fand ich die Hintergründe nicht so wahnsinnig abwechslungsreich, wenngleich Sunnyside Games auch mit seinen Licht- und Nebeleffekten sowie wirklich ausgezeichneter Musik stimmungstechnische Hightlights setzt.
Diese ästhetischen Probleme wiegen allerdings nicht so schwer, wie ein bestimmtes Leveldesign-Versäumnis: Mehrfach fühlte ich mich nämlich von der Struktur des Spiels hinters Licht geführt. Wenn plötzlich hinter mir eine Tür endgültig zufällt und so den nächsten Abschnitt auf dem kritischen Pfad zum Ende einläutet, obwohl ich Meter zuvor noch eine mögliche Abzweigung ausgemacht hatte, ist das kein gutes Gefühl. Komplettierer müssen also aufpassen: Ich habe einige Sammelgegenstände in Form von Buchseiten verpasst, die mehr über die Geschichte und die Figuren erzählen.
Nicht die feine Art, zumal Nocturnal nicht gerade lang ist. Ich habe das Ende in 4:39 Stunden gesehen und kann nicht sagen, wie viel Spielzeit mir deshalb durch die Lappen ging. Und obwohl ich im Verlauf der Reise eine ordentliche Steigerung in der Intensität feststellen konnte – auch wenn es nie zu schwer wird –, war ich doch überrascht, als ein bestimmter Boss dann doch der letzte war.
Interesse? Nocturnal gibt es im Nintendo eShop für Switch für PC auf Steam, für PS4 und PS5 im PlayStation Store und für Xbox One und Series im Xbox Store.
Nocturnal Test – Fazit:
Ganz rund ist Nocturnal dann also doch nicht. Vor allem, dass es euch gerne aus Bereichen ausschließt, mit denen ihr noch nicht fertig wart, ärgert. Mir hat es trotzdem Spaß gemacht, war es doch das richtige Spiel zur richtigen Zeit. Zugleich als Vorgeschmack auf und als Gegenentwurf zu dem neuen Prince of Persia drückte es so feste all die richtigen Knöpfe bei mir, dass ich es in nur zwei Sitzungen durchgespielt habe. Dass ich länger als zwei Stunden am Stück mit einem Spiel verbringe, das ich eigentlich nur kurz anschauen will und an das ich keine Erwartungen hatte, kommt in meinem eng durchgetakteten Tagesablauf nicht mehr allzu oft vor. Insofern: Wenn ihr fünf Stunden totzuschlagen habt, bekommt ihr hiermit einen (meist angenehm) minimalistischen Indie, der einen verliebten, aber geübten Knicks vor einem der prägenden Spiele dieses Genres hinlegt. Nocturnal ist definitiv einen Blick wert.
Nocturnal | |
---|---|
PRO | CONTRA |
|
|