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Observer - Test

In dieser Zukunft war früher wirklich alles besser

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Dystopisches Cyberpunk-Adventure aus der Ego-Perspektive. Düster, intelligent, spannend und grandios in Szene gesetzt.

Ich weiß zwar, dass ich aus einem guten Grund in diesem verschimmelten Wohnblock umherlaufe, aber ich will eigentlich nicht hier sein. Hinter jedem Eck dieser graubraunen Motel-Kaserne wartet neuer Ekel, mehr Schimmel, mehr kaputte Bewohner. Und doch laufe ich immer weiter, verlaufe mich hier und da und finde dann wieder auf den richtigen Weg zurück. Nur um ein Zimmer weiter einen halbtoten Junkie vorzufinden, der vor einer blutgefüllten Plastikplane in einer Badewanne liegt und seine Gedärme mehr oder weniger in den eigenen Händen hält. Was geht im Kopf dieser scheidenden Existenz vor? Das ist es, was mich als Daniel Lazarski interessiert. Lazarski ist als sogenannter Observer in Krakau unterwegs - dem Krakau des Jahres 2084, in dem eigentlich nichts mehr an die Stadt erinnert, wie wir sie heute kennen. Denn die Zukunft dieser Welt ist nicht nur heruntergekommen und voller synthetischer Drogen, sie ist vor allem geprägt durch eine unheilige Allianz von Mensch und Maschine. So gut wie jeder hier ist auf die eine oder andere Weise ein Cyborg, das Hirn jedes einzelnen ist so zugänglich wie ein USB-Stick und Lazarskis Aufgabe ist es, in diesen Hirnen nach Spuren zu suchen. In diesem Fall vor allem nach Spuren seines vermissten Sohnes.

Willkommen beim Hausmeister. Der Arm ist nicht mehr ganz komplett und auch mit dem Gedächtnis hapert es. Aber für einfache Tätigkeiten reicht's.

Lazarski wird nicht ganz zufällig von Rutger Hauer gesprochen, jenem Schauspieler der im Science-Fiction-Meisterwerk Blade Runner den Replikanten Roy Batty spielt, und gegen Ende des Films den legendären Tears-in-Rain-Monolog spricht. Observer erinnert in nicht gerade wenigen Szenen an diesen Film, angefangen vom permanenten Regen, über die heruntergekommene Welt, bis hin zu den Figuren, von denen jede einzelne komplett verschroben und exzentrisch daherkommt. Lazarski aber ist kein Replikant, er will Kriminalfälle aufklären. Selbst mit einer Reihe kybernetischer Implantate ausgestattet, nimmt er die Welt nicht nur in ihrer tatsächlichen Form war, er sieht alles durch einen Augmented-Reality-Filter. Fast scheint es als würde der noch einmal genau nachzeichnen, was wirklich wichtig ist. Der Dreckfleck auf den Boden mag wirklich nur ein Dreckfleck sein, die Blutlache jedoch könnte wichtige Hinweise bereithalten, ebenso wie der alte Computer. Lazarski kann dabei neben seinem Standard-Blick auf die Welt noch auf zwei andere Sichtweisen zugreifen - eine, die die technischen Elemente dieser Welt hervorhebt und eine, die das gleiche mit allem macht, was organisch ist.

Ähnlich wie in Bioshock nehmt ihr in Observer keine wirklich funktionierende Welt wahr. Ihr seht viel mehr, was von einem einst großen Traum übriggeblieben ist. In der Blütezeit der Kybernetik hatte sich die Menschheit mit allerlei künstlichen Implantaten aufgerüstet. Biologische Arme und Beine waren schwächer als solche aus Metall, spezielle Kameras und VR-Schnittstellen im Kopf funktionierten reibungsloser und effizienter als Augen und Sehnerven. Wer sich selbst auf diese Weise verbesserte, bereute das jedoch relativ schnell, denn eine Seuche befiel die augmentierten Menschen. Die einzige Möglichkeit, dem zu begegnen, war die Amputation der fraglichen Körperteile, was dazu führte, dass ein Großteil der Menschen in Observer verstümmelt oder teilweise immer noch mit künstlichen Körperteilen ausgestattet ist, deren negative Auswirkungen sich nur mit Drogen eindämmen lassen.

Auch Lazarski selbst gehört zu diesen Drogenkonsumenten. Erlebt er zu viel Stress, gewinnen die künstlichen Bestandteile seines Körpers die Oberhand. Ihr nehmt die Spielwelt dann nicht mehr korrekt wahr, jede Bewegung füllt den Bildschirm mit Artefakten wie man sie heute nur von zu stark komprimierten Videodateien kennt. Also rein mit der Pille, immer wieder und erst recht nach besonderen Stressmomenten. Den ersten Impuls, dieser Drogensucht nicht nachzugeben und den Protagonisten in eine Art kalten Entzug zu schicken, habe ich schon bald aufgegeben. Lazarski muss schließlich funktionieren und dafür braucht er seine Pillen. Es scheint fast, als hätten die Entwickler hier ganz nebenbei die Mechanismen einer Drogenabhängigkeit simuliert - und mich selbst abhängig gemacht.

Gedärme zwischen den Fingern, Loch im Hals - der perfekte Moment fürs Kopf-Anzapfen.

Euer drogenabhängiger Protagonist ist dabei auch nicht unbedingt ein Sympathieträger. Eher schon wirkt er wie ein armer Tropf, der sich schon vor vielen Jahren mit seinem Sohn verkracht hat, das jetzt bereut und daher verzweifelt nach Lebenszeichen sucht. Eine wirkliche staatliche Ordnung scheint es in dieser Version von Krakau nicht mehr so wirklich zu geben, ihr handelt stattdessen im Namen eines Konzerns namens Chiron - wohl nicht ganz zufällig benannt nach dem Mischwesen aus Pferd und Mensch aus der griechischen Mythologie. Dieser Konzern jedenfalls kennt keine Ethik und schon gar nicht hält er etwas von Datenschutz. Lazarski kann deshalb bestimmten Figuren im Spiel einfach ein Kabel in den Kopf rammen und sich so ihrer Erinnerungen bedienen. Nur: Er liest sie nicht einfach, er erlebt sie in einzelnen Fragmenten nach.

Und während der Horror bei der Detektivarbeit in der heruntergekommenen Wohnanlage hauptsächlich durch die teilweise furchteinflößenden Bewohner und die Umgebung erzeugt wird, die ihrerseits fast scheint, als sei sie selbst am Leben - erst in den Gedanken anderer Menschen beginnt der echte Psycho-Horror. In den Gedanken des oben erwähnten Junkies erlebt ihr in schneller Abfolge Drogensucht, Einlieferung in ein Militärgefängnis, Misshandlungen, Gewalt und noch mehr Drogensucht bis ihr schließlich herausfindet, wie es sich für ebendiesen Menschen in genau diesem Moment anfühlt, zu sterben. Ja - der Observer nimmt diesem Menschen hier sogar den letzten privaten Moment. Das, was normalerweise jeder Mensch mit ins Grab nimmt: den letzten Gedanken vor dem finalen Atemzug.

Die Geschichte um die Suche nach eurem Sohn ist interessant erzählt, aber der Verdacht drängt sich doch sehr auf, dass die Entwickler nicht diese Detektivgeschichte ins Zentrum ihrer Erzählung rücken wollten, sondern das Bild der Welt, in der sie spielt. Ihr könnt prinzipiell an jeder Tür im Wohnkomplex klopfen und erfahrt so Stück für Stück mehr über das dystopische Krakau der Zukunft. Da ist die Frau, die sich stets geweigert hat, sich augmentieren zu lassen und die nun verbittert um ihren verstorbenen Mann trauert, der sie dafür stets ausgelacht hat. Da ist der zunächst sehr besonnen scheinende Musterbürger, der dann urplötzlich ausrastet als ihr ihn auf seine Nachbarin ansprecht, die seine Avancen nie erwidert hat. Da sind aber auch die vielen Computer, die ihr in der Spielwelt findet und deren gespeicherte Mails euch ganz eigene kleine Geschichten über die Alltagsprobleme der Menschen erzählen. Aber nicht nur die, sie enthalten auch Propagandageschichten aus einem nicht allzu lang zurückliegenden Krieg gegen irgendwelche "östliche Horden".

Manche Spielfiguren könnt ihr aufgrund biologischer Spuren identifizieren.

Es sind solche Momente, in denen die Entwickler diverse große Werke der Science-Fiction mit tatsächlichen Zukunftsvisionen der Gegenwart vermischen. In Observer trifft Philip K. Dick auf George Orwell, Raymond Kurzweil auf Isaac Asimov. Das Spiel stellt nicht nur die Frage, wo der Mensch aufhört und der Computer anfängt, es zeichnet gleichzeitig das Bild einer Gesellschaft ohne jede Ethik, in der das bloße Überleben durch einen Drogenvorrat, der nur groß genug sein muss, alles ist, was zählt. Und wie jede gute Science-Fiction spart Observer zumindest unterschwellig nicht mit Kritik an unserer Gegenwart. Wo die Politik heute darüber diskutiert, in welchem Umfang Smartphones auslesbar sein sollten, rammt Lazarski einem sterbenden Dealer eben mal eben ungefragt ein Kabel in den Kopf.

Nur: Diese Welt fühlt sich nicht gut an. Es macht eben keinen Spaß, die Gedanken anderer auszuforschen, denn sie stellen sich in allen Fällen als Horrorszenarien heraus, als blutbesudelte Gefängnisgänge, endlose Ansammlungen in der Luft schwebender Leichen und schemenhaften Monstern, die mir beim Spielen immer wieder Wellen von Gänsehaut über den Körper gejagt haben. Zugegeben - teilweise sind auch ein paar etwas unangenehme Jump Scares dabei, im Wesentlichen entsteht der Horror in Observer aber nicht aus sinnlos aneinandergereihten Schock-Effekten, sondern aus der Verkommenheit der Welt selbst. Zugegeben: Die Orientierung fällt hier und da nicht ganz leicht, manchmal dauert es, bis ihr findet, was ihr sucht - das liegt nicht zuletzt an den Augmented-Reality-Einblendungen, die euren Blick auf die Welt manchmal doch etwas zu sehr überfüllen. Das trifft umso mehr auf die Bio- und Technik-Scanner zu, deren grelle Farben fast ein bisschen in den Augen schmerzen. Aber: All das ist Teil einer nun mal sehr unangenehmen Welt, bei der ich mich durch diese Mankos fast noch mehr gefühlt habe, als sei ich wirklich ein Teil von ihr.

Die Welt von Observer erinnert sicher nicht ganz zufällig an Filme wie Blade Runner.

Das alles, obwohl ihr rein gameplaytechnisch wirklich nur ein Adventure spielt. Hier und da gibt es ein kleines Code-Rätsel, manchmal müsst ihr irgendwo einem Nachbarn gut zuhören, um woanders eine Tür öffnen zu können. Diese Rätsel sind allerdings nie sonderlich anspruchsvoll, ihr werdet also nicht irgendwo groß hängen bleiben. Observer ist in Bezug auf sein Gameplay schon etwas mehr als ein Walking-Simulator, allein, weil ihr den Wohnblock frei begehen dürft. Vor große Herausforderungen stellt euch das Spiel insgesamt aber nicht, zumindest vorausgesetzt, ihr setzt eure augmentierten Detektiv-Fähigkeiten brav an jedem Ort ein, der aussieht, als könnte hier jemand ermordet worden sein.

Es gibt Spiele, die kurzfristig Spaß machen, andere motivieren auf lange Zeit - und wieder andere dauern gar nicht so lang, aber bleiben trotzdem hängen. Zu dieser Kategorie gehört Observer. Nach gut zehn Stunden habt ihr das Spiel beendet, aber bis dahin seid ihr so tief in die Spielwelt eingedrungen, dass ihr euch auch danach gedanklich nur schwer lösen könnt. Obwohl ihr vom dystopischen Krakau nicht viel mehr seht als diesen ranzigen Wohnkomplex, gelingt den Entwicklern die Charakterisierung dieser Welt doch so gut, dass ich an vielen Stellen mit schwitzenden Händen vor dem Computer saß. Die Ästhetik dieses Spiels sucht ihresgleichen und Rutger Hauer als schon zu Beginn gebrochener Protagonist funktioniert in diesem Kontext fantastisch. Von einer manchmal etwas arg verwirrend dargestellten Spielwelt abgesehen - ich möchte keine Sekunde meines Spielerlebnisses missen.

Entwickler/Publisher: Bloober Team/Aspyr - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: 27,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: englische Sprachausgabe, deutsche Bildschirmtexte - Mikrotransaktionen: Nein

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Markus Grundmann Avatar
Markus Grundmann: Seine ersten Videospiele konsumierte Markus auf dem Game Boy. Heute spielt er so ziemlich alles, bei dem er auf Knöpfe drücken kann – mit besonderer Vorliebe für Nintendo und extravagante Indie-Titel.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Observer

PS4, Xbox One, PC, Nintendo Switch

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