Oddworld: New 'n' Tasty - Test
1997 war ein guter Jahrgang.
Bei ihrem Weg rückwärts durch den überschaubaren, aber liebenswerten Katalog der Oddworld Inhabitants kommen die Remake-Spezialisten von Just Add Water nun bei der Genesis dieses merkwürdigen Universums an. Abe's Oddyssey, das New 'n' Tasty zugrunde liegt, ist das erste und wohl auch beste Spiel der kreativen Köpfe um Lorne Lanning. In dem Zusammenhang darf man sich durchaus wundern, warum die Briten von J.A.W., die sich nun darum kümmern, die Reihe auf die neuen Konsolen zu holen, sich zuerst Stranger's Wrath und danach dem schon seinerzeit nicht nur kommerziell, sondern auch spielerisch ernüchternden Munch's Oddyssey widmeten. Warum zäumten sie das Elum nicht von vorne auf?
Vermutlich ist es damit zu erklären, dass es im Fall des vorgerenderten Abe's Oddyssey von vor 17 Jahren nicht einfach mit höher aufgelösten Texturen und überarbeiteter Steuerung getan gewesen wäre. Das Spiel basierte auf aufwendig vorgerenderten Assets die - so schön sie auch auf Röhren-TV-Auflösung damals auch waren - auf den hochauflösenden Fernsehern von heute einfach nur noch grässlich aussehen. In der Neuauflage New 'n' Tasty werden alle Szenarien und Figuren nun in Echtzeit berechnet, die Bewegungen sind deutlich fließender und die Level scrollen nun sogar, anstatt bildweise umzuschalten.
Und überhaupt ist der Titel inhaltlich gut gealtert. Als einer der wenigen Plattformer, die jemals etwas zu sagen hatten, ist Abe zugleich bissig verknobelte Satire auf die maßlose Nahrungsmittelindustrie und charmanter Maskottchenhüpfer in einer interessanten Welt. Eine Mischung, die auch heute noch gut zündet und im Grunde nur unterstreicht, dass Oddworld Inhabitants schon Mitte der Neunziger deutlich weiter waren als die meisten ihrer Wettbewerber. Diese Sorte Spiel mit ihren immer bemüht-cooleren und pseudo-rebellischen anthropomorphen Tierhelden schien anno 97 gemeinsam mit ihren Spielern in einer spätpubertären Phase gefangen. Sie ist es eigentlich heute noch. Nur Mario, der blieb immer er selbst.
Oddworld macht auch in der neuen und leckeren Version so einiges anders als der Rest. Es ist nicht nur in seiner Message ein Spiel für den Kopf, sondern auch im Ablauf. Die in einer Fleischfabrik versklavte Alienrasse der Mudokons soll auf der Nahrungskette ein paar Glieder nach unten rutschen und Hauptzutat des nächsten Nahrungsprodukts der fabrikbetreibenden Glukkons bilden. Mudokon Abe findet das heraus und versucht, seine Leidensgenossen zu befreien. Hebel-, Sprung- und Kletterpuzzles wechseln in einem fesselnden Rhythmus mit Reaktionstests und komplexeren Aufgabenstellungen. Etwa wenn man mal wieder in einem der nun noch großzügiger in der Welt verteilten Geheimräume herausfinden muss, wie man möglichst viele der versklavten Mudokons durch die rettenden Vogelportale bekommt.
"Alles andere als einfach, wenn die komplette Fabrik wie ein gewaltiger verfressener Organismus aus Stahlzähnen und Knochensägen nach dem Spieler schnappt."
Das ist alles andere als einfach, wenn die komplette Fabrik wie ein gewaltiger verfressener Organismus aus Stahlzähnen und Knochensägen nach Spieler und NPCs gleichermaßen schnappt. Neben der Gedankenkontrolle, mit der Abe an bestimmten, nicht von Drohnen überwachten Orten die Steuerung über die bewaffneten Slig-Wachen übernehmen kann, ist sein nasales Mundwerk sein höchstes Gut. Sprecht andere Mudokons an, fordert sie auf, euch zu folgen, oder lasst die lemmingartigen Gemüter an einem sicheren Fleck warten, während ihr den Weg freiräumt.
Alle versteckten Räume zu finden ist nicht nur deshalb motivierend, weil man erst nach einer Mindestmenge geretteter Artgenossen das gute Ende sieht. Die Suche in versteckten Winkeln just außerhalb des Kamerablickwinkels oder hinter Vordergrundobjekten macht in ihrer altmodischen Implementierung auch durchaus Spaß. Einmal gefunden ist jede Kammer für sich ein ansprechendes Rätsel und man kann vielerorts sehen, wie der Zählerstand befreiter Sklaven den eigenen Fortschritt auf befriedigende Weise quittiert. Ich habe es nicht übers Herz gebracht weiterzuspielen, wenn ein Mudokon bei meinen Rettungsversuch starb, oder weil ich in dem tentakelgesichtigen Schuppenkleid eines Sligs versehentlich einen von ihnen erschoss. Dank nun noch großzügigerer Checkpunkte und der Quicksave-Option aus Abe's Exodus steht ambitionierten Spielern auf dem Weg zur perfekten Flucht aber nichts im Weg.
Nun, vielleicht die Steuerung, denn die erfordert manchmal eine Präzision, die Abes Bewegungsabläufe schlicht nicht hergeben. Zwar werden mittlerweile die Laufgeschwindigkeiten Abes in feineren Abstufungen abgefragt als damals am digitalen Controller. Aber die festen, kurzen Sprungdistanzen machen die haarigeren Sequenzen immer noch zu einer Trial-&-Error-Angelegenheit, die einem durchaus eine gewisse Zornesröte ins Gesicht treiben kann. Damals half, dass Abes Schrittlänge immer konstant war. Jetzt, mit den neuen Abstufungen im Tempo, ergeben sich zwar ein besser fließendes Spielgefühl - wenngleich sich der sympathische Schlacks immer noch recht träge handhabt -, aber auch nicht mehr ganz so präzise ausrechenbare Sprung und Bewegungsabfolgen. Prädikat: gewöhnungsbedürftig - und wohl der einzige Punkt, der durchblicken lässt, dass das Fundament von New 'n' Tasty gute 17 Jahre auf dem Buckel hat.
Von dieser Rustikalität in Sachen Beweglichkeit lässt man sich dennoch nicht ins Bockshorn jagen. Selten wurde ein Klassiker mit derartiger Liebe zum Detail und Verständnis für die Vorlage angegangen. Auch wenn sich J.A.W. Freiheiten bei der Gestaltung der Level nahm, fangen sie den Charakter und die Stimmung der Originalschauplätze perfekt ein und erwecken die Oddworld so schön und modern zu neuem Leben, dass man eine komplette Genesung der Marke für einen gar nicht so abwegigen Gedanken hält.
Es ist nach wie vor ein besonderes Spiel. Entrückt, ungewöhnlich und einfach irgendwie schräg, wie der Name auf der Packung schon immer so treffend versprach. Wer damals noch keine PlayStation hatte oder den Titel aus sonst irgendeinem Grund links liegen ließ, hat hier die Gelegenheit, eine echte Bildungslücke zu schließen.