Skip to main content

Okami HD - Test

Nicht Essig, nicht Wein, immer noch Okami.

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Außerhalb der Zeitlinie: Nicht gealtert, immer noch ein ausgezeichnetes Action-Adventure mit vielen Stärken und nur wenigen Schwächen.

Man kann gerne darüber diskutieren, ob es nun wirklich nötig ist, ständig jedes Spiel aus der letzten Generation mit dem HD-Zusatz eine Runde weiter zu retten, und auch wenn Okami nun jede PlayStation-Generation seit seinem Erscheinen mitnahm: Wenn es schon gemacht wird, dann bitte mit solchen Spielen. Okami ist mittlerweile so etwas wie eine Legende. Der ultimative Kritikerliebling, eine tiefgreifende Erfahrung für manche Spieler, ein einzigartiger Stil, eine tief in die japanische Mythologie eingegrabene Handlung, Okami hat alles. Nur eines war Okami nie: Der ganz große Verkaufshit. Aber so ist das nun mal mit Kunst, da passiert es schon mal, dass sie im Schaufenster liegen bleibt.

Zu einer eigenen Kunst wird nun, herauszuschälen, ob Okami wirklich zeitlos ist, denn über ein Jahrzehnt ist eine lange Zeit, die so manches Spiel nicht ohne Schäden übersteht. Ganz wenige sind wie der gute Wein, sehr viele, wenn nicht sogar die meisten, werden zu Essig, einige bleiben sie selbst. Und in dieser dritten Kategorie sehe ich Okami. Da das Spiel all diese zuvor genannten Dinge - Kritikerliebling und so weiter - völlig zu recht war und ist, ist das kein schlechter Ausgangspunkt.

In 2006 war es fast schon einzigartig, wenn ein Spiel mit seinem Stil Mut zeigte...

Vor allem technisch kommt mit der Zeit oft das Leid, aber in Okamis Falle sieht das Spiel so faszinierend aus wie am ersten Tag. Besser sogar, denn auch wenn es kein Spiel der Feinheiten ist, gibt es doch genug davon, die in dem unsäglichen Video-out der PS2-Generation untergingen. Die PS3-Umsetzung holte viel von der ursprünglichen Schönheit ans Licht und die neue 4K-Fassung... ändert nichts daran. Ehrlich, 1080p, selbst 720p reichen komplett, um alles zu zeigen, was Okami zeigen kann, 16:9 gab es schon in der letzten Runde. Wenn ihr das letzte Remake schon habt, dann könnt ihr hier eigentlich aufhören zu lesen und spielt stattdessen lieber noch mal das. Außer, dass es für eine weitere Hardwaregeneration nun leichter zugänglich ist, gibt es keine sinnvolle Ausrede, dass diese Version existiert.

Der eigenwillige Tusche-Stil des cleveren Cell-Shadings dürfte wie seine Vorbilder aus der japanischen Kunstgeschichte noch viele Jahre die ursprüngliche Faszination bewahren. Das erste Mal, wenn ihr einem der kleinen Areale das Sonnenlicht und die Farben zurückgebt und die Welt sich um euch herum transformiert, gehört zu den großen Momenten im Spielerleben. Das erste Mal in einem Elder Scrolls aus dem ersten Dungeon in die freie Welt treten, das erste Mal in Dark Souls eine wichtige Abkürzung freischalten, das erste Mal einen wirklich großen Boss legen, das erste Mal in Okami Leben in seine fantastische Welt zurückholen. Das ist der Level, von dem wir hier reden. Die Animationen strahlen ein unglaubliches Maß an Persönlichkeit aus, angefangen von eurem Wolf - sorry, Göttin Amaterasu - über die Bewohner hin zu den Bossen wird das Gefühl einer eigenen Welt in einem Tusch-Gemälde vermittelt. Der Stil ist heute immer noch so einmalig, wie er es damals war, daran hat sich zum Glück nichts geändert.

... in 2017, dem Zeitalter der schönen Indies, ist Okami immer noch etwas Besonderes, aber es ist mit seinen Ambitionen nicht mehr allein. Gut so.

Spielerisch lässt sich Okami leicht erklären, der Dank dafür geht an Zelda. Es ist ein klassisches Action-Adventure mit leichtem RPG-Einschlag, bei dem ihr neue Fertigkeiten freischaltet, damit Hindernisse überwindet, um in neue Gebiete zu kommen und neue Rätsel zu lösen. So arbeitet ihr euch manchmal ganz schön arg gestreckte 40 Stunden voran. Leider gehörte Okami schon immer zu den Spielen, denen ein wenig Straffung nicht geschadet hätte, mit 30 Stunden Laufzeit wäre es denke ich ein besseres Spiel. Es gibt keine Passage, die schlecht wäre, von der ich sagen würde, dass sie komplett raus muss, einfach nur alles ein bisschen mehr auf den Punkt wäre nicht schlecht gewesen. Aber keine Sorge, in einem Spiel, das so dermaßen schön ist und sich auch weitestgehend ordentlich spielt, kommt man drüber weg. Sicher die Kamerakontrollen kommen nach wie vor aus einer anderen Zeit - vornehmlich einer, als diese meist nicht sinnvoll funktionierten - und Amaterasu dotzt auch gerne mal etwas hakelig mit Schwung in ein Hindernis, aber wiederum, nichts davon ist ein Drama.

Ein Gimmick, das mich 2006 störte und mich auch 2017 latent nervt, ist der himmlische Pinsel. Ich weiß, es ist eines der definierenden Elemente des Spiels, eines der Features, für das es immer wieder gelobt wird, aber ich hasse es, Malprogramme, egal wie reduziert, mit einem Stick zu steuern. Um es zu erklären: Ihr habt als Sonnengöttin Zugriff auf große Schaffenskraft und diese kommt in Form eines Pinsels, den ihr mit göttlichen Gedanken und gehaltener Taste ruft. Dann müsst ihr immer komplexer werdende Muster zeichnen, um mal die Sonne aufgehen zu lassen, eine Brücke zu schaffen oder eine Spezialattacke zu landen. Im Grunde sind es die Fertigkeiten, die ich erwähnte. Wo Link ein Kraftarmband findet, lernt ihr in Okami ein neues Muster. Der Einsatz bei den Puzzles ist auch durchaus clever, aber wie gesagt, Malen nach Zahlen mit Pad-Stick ist etwas, das ich eigentlich in meinem Leben gern auf ein Minimum reduzieren möchte.

Die Kampfdynamik funktioniert heute noch wunderbar, kein Wunder bei einem Studio, das später Platinum Games werden sollte.

Vor allem aber reißt zumindest mich das Pinseln in den Kämpfen aus dem ansonsten großartigen Rhythmus heraus. Dass aus Clover Studios später Platinum Games werden musste, zeichnet sich hier schon ab. Das Timing der Attacken und Bewegungen ist tadellos und auch wenn es ein oder zwei Stunden dauert - bleiben ja noch genug danach -, bis ihr richtig in den Flow findet, das Kampfgefühl mit eurem Wolf ist relativ einzigartig. Sicher auch einer der Aspekte, die das Game über die lange Spielzeit am Laufen hält. Es ist so gut, dass ich selbst über die Pinselspezialattacken gerade bei den Bossen hinwegsehen kann. Und manch einer wird sie schätzen, denn auch wenn ich nicht dazugehöre, viele lieben den himmlischen Pinsel und er ist ja auch ein ungewöhnliches Werkzeug in einem Spiel. Die PS4-Version hat beim Pinsel übrigens einen echten Vorteil: Das Touchpad wird genutzt, ihr dürft also mit dem Finger malen, was ganz okay funktioniert. Nicht so gut wie damals die Wii-Mote oder die PS3-Leuchtkugel, aber gut genug.

Was die Geschichte angeht, nein, sie war nie lang genug für 40 Stunden. Die künstliche Pieps-Sprache, mehr ein brabbeliger Soundeffekt als eine Sprache, kann einem auf den Keks gehen. Aber, ganz großes Aber: Gute Güte, für eine Geschichte um mythische japanische Monster, Sonnengöttinnen, tote Landschaften und himmlische Pinsel, hat Okami erstaunlich viel Humor. Nicht platte Comedy-Routinen - okay, auch das manchmal ein klein wenig - , sondern einfach nur immer wieder eine trockene, humorvolle Zeile, wenn sie gebraucht wird. Es gibt viel, was andere Spiele von Okami lernen können, aber das ist vielleicht die wichtigste Lektion. Nur, weil die Welt zu Ende geht - und das tut sie in dem Medium drei Mal vor dem Frühstück -, gibt es keinen Grund, auf ein paar gute Schmunzler zu verzichten, wenn sie sich anbieten. Dazu kommt das Kunststück, eine praktisch stumme Hauptrolle zu haben - Amaterasu ist ein Wolf und die reden nicht - und sie trotzdem mit mehr Persönlichkeit auszustaffieren und zu entwickeln, als es manchem oft zu gesprächigen Videospielhelden vergönnt ist. Also ja, wie auch das Spiel hier und da ein paar gesunde, kleine Kürzungen vertragen hätte, geht es der Story nicht anders. Aber genauso ist sie viel zu gut, als dass ich mich lange darüber aufregen würde.

Übrigens: Wenn ihr die Geschichte aus dem letzten Jahrzehnt schon kennt und jetzt Angst habt, dass ihr euch all die vielen, vielen Zeilen noch mal angucken müsst: Ihr dürft alles wegdrücken. Von der unwichtigsten Tutorial-Zeile hin zu essenziellen Zwischensequenzen, ein Knopfdruck und es geht weiter.

Ob ihr es heute noch spielen sollt, wenn ihr es noch nicht kennt? JA! AUF JEDEN FALL!

Okami ist nicht gealtert. So zeitlos wie seine Hauptfigur spielt es sich erstaunlich frisch und kaum wie ein Titel, der schon zwei Generationen zurückliegt. Es hat den Look eines mutigen Indie-Titels, die Ambitionen eines großen Action-Adventures aus einer anderen Zeit und obwohl es seine Längen und kleinen Verfehlungen haben mag, es gelang Okami 2017 fast genauso gut zu sein, wie es 2006 schon war. Es fühlt sich nicht mal wie ein HD-Remake an, mehr wie großer Indie und das ist es auch vielleicht, was Okami heute ein wenig von seiner Einzigartigkeit nimmt. Das ist etwas Gutes, schließlich bedeutet das, dass es seitdem mehr Spiele gab, die Mut zu neuen Stilen hatten. Für Okami heißt das, dass es als Kunstprojekt vom Thron runter und aus dem Tempel raus musste und nun mit anderen in einer Galerie stilistisch wertvoller Games steht. Als Spiel funktioniert es nach wie vor tadellos - selbst, wenn ich mich mit dem Pinsel wohl nie anfreunden werde. Solltet ihr euch fragen, ob ihr euch zum ersten Mal dieses Erlebnis gönnen solltet, das Okami immer noch ist, kann ich nur sagen: für gerade mal 20 Euro, das sogar boxed? Na klar und sicher doch, worauf wartet ihr!

Entwickler/Publisher: Clover Studios / Capcom - Erscheint für: PS4, Xbox One, PC - Preis: ca. 20 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: Xbox One - Sprache: Deutsch (immer noch mit Fehlerchen), Englisch - Mikrotransaktionen: nein

Schon gelesen?