OnLive
Quantensprung oder Rohrkrepierer?
Problem 2 Die Latenz:
Mal angenommen, die Server für OnLive stehen in England und Ihr wollt aus Deutschland zugreifen. Ihr seht also einen Gegner kommen und zielt auf ihn. Die Eingabeinformation wird an den Server geleitet. Ohne Fastpath können da schon mal 80 ms zusammenkommen, je nach dem, von wo Ihr zugreift und wie viele Stationen dazwischen liegen. Danach werden diese Informationen in Bewegungen umgerechnet und an den Multiplayerserver weitergeschickt – der im Idealfall daneben steht und was nur 10 ms kostet. Dieser überträgt die Ergebnisse wieder an den Spielserver, der selbige als Video encodiert und wieder an den Nutzer zurück geschickt. Eine Umwandlung, die nur wenige Millisekunden dauern soll, sich aber klar auf die Qualität auswirkt. Doch dazu mehr bei Problem 3.
Auf dem Rückweg werden wieder 80 ms fällig. Macht zusammen also etwas mehr als 180 ms, was bei einem Strategie-Titel noch erträglich ist. Bei einem Action-Game sieht es aber ganz anders aus. Vor allem weil Ihr die Verzögerung ja direkt seht. Euer Videobild hinkt mindestens die 180 ms hinterher – plus die Verzögerung Eures Monitors – und nicht nur die eingehenden Informationen wie bei einem normalen Online-Spiel.
Genaues Zielen in einem schnellen Spiel wird so unmöglich. Nur wenn Ihr in etwa gleich nah am Server sitzt, ist ein faires Spiel denkbar. Laut OnLive sollen spezielle Tools hier zwar Abhilfe schaffen, doch die Lichtgeschwindigkeit bei der Übertragung von Daten lässt sich nun mal schwer austricksen.
Problem 3 Die Qualität:
Die kurze Verarbeitungszeit der Video Encodierung wird mit Qualität erkauft. Umso länger ein Rechner Zeit hat, Video Daten zu komprimieren, umso besser ist das Ergebnis. Gerade wenn 60 Frames pro Sekunde erreicht werden sollen, treten starke Komprimierungs-Fragmente auf, die im Beispiel-Video auch deutlich zu sehen sind. Im direkten Vergleich mit dem Bild einer Playstation 3, einer Xbox 360 oder einem starken PC zieht OnLive klar den Kürzeren. Außerdem wird die Qualität des OnLive-Encoders von vielen Experten, wie unserem englischen Kollegen Richard Leadbetter, bezweifelt.
Für ihn sind die angestrebte Latenz von gerade mal 1 ms utopisch. In unserem ausführlichen Vergleichsvideo - siehe unten - erkennt man die enormen Unterschiede zwischen dem OnLive-Video und dem normalen Datenstrom aus der Konsole. Das Bild wirkt matt, die Details verschwinden und Artefakte stören die Atmosphäre. Insbesondere Besitzer von großen HD-Fernsehern werden nur schwer mit einem solchen Manko leben können. Doch für sie ist OnLive, zumindest zu diesem Zeitpunkt, ja gar nicht gemacht.
Chancen und Risiken
Für einige der genannten Probleme gibt es momentan, aber auch in Zukunft keine einfachen Alternativen. Schneller als Lichtgeschwindigkeit können die Daten nicht transportiert werden. Flinke Multiplayer-Shooter sind nur sehr schwer zu realisieren. Nur wenn man die Technologie weiter lizenziert und praktisch jeder Internet Service Provider eigene OnLive-Server stellt, könnte man die Latenz auf ein erträgliches Maß reduzieren. Außerdem wird der Service nie die optische Qualität seiner Hardware-Alternativen erreichen. Echte Hardcore-Gamer werden sich kaum mit der gezeigten Qualität zufrieden geben.
OnLive sollte beziehungsweise muss den eigenen Anspruch also etwas herunterschrauben. Bei der Technik, beim Umfang des Service und bei der Zielgruppe. Ältere Titel und andere Genres, wie zum Beispiel das vorgeführte World of Goo, machen deutlich mehr Sinn als Crysis und Co. Vor allem wenn die Framerate gesenkt wird – die meisten Spiele laufen sowieso mit 30 fps -, man die SD-Auflösung optimiert und sich auf Gelegenheitsspieler konzentriert. Man kann so die Zielgruppe erweitern und eine günstige Alternative zum teuren Hardware-Zyklus liefern. Trotzdem könnte man Titel spielen, die weit besser aussehen als klassische Browser-Games, die als direkte Konkurrenten fungieren.
Natürlich kann uns OnLive bei einem Beta-Test eines besseren belehren. Schon im Sommer soll es eine Closed Beta geben, die Fakten schafft. Nach dem aktuellen Stand sind die Ziele von OnLive aber zu hoch gesteckt. Andere Entwickler wie Crytek bestätigen zwar grundsätzlich die Machbarkeit, sehen die Realisierbarkeit aber erst in ein paar Jahren. Acclaim-Chef und Branchen-Plaudertasche Dave Perry kündigt sogar einen ähnlichen Service namens Gaikai an, der ähnlich wie OnLive funktionieren soll. Früher oder später wird es also einen solchen Service geben, die Frage ist nur für welche Zielgruppe, für welche Form der Anwendung und wie günstig es wird. Wir sind auf die Beta gespannt. Bis dahin streicheln wir noch die eigene Hardware und freuen uns über ein laufendes, fehlerfreies System.