Outer Wilds - Test: Das Sci-Fi-Spiel, von dem wir immer träumten
Sowas habe ich noch nie gespielt.
Update, 17.10. 2019: Endlich ist es da: Nachdem Xbox-User Outer Wilds bereits im Game Pass spielen durften und Epic-Store-Verweigerer am PC wohl noch ein wenig warten müssen, dürfen ab sofort auch PS4-Spieler für nicht ganz 24 Euro eines der bewegendsten und kreativsten Spiele überhaupt erleben. Niemand sonst brachte bisher ein so stimmiges Sci-Fi-Feeling echter Erkundung in einem Spiel von so kompaktem Format unter. Es ist ein Erlebnis wie ein Christopher-Nolan-Film, wenn der Regisseur ein wenig geschickter mit Emotionen umzugehen wüsste. Twist über Twist, Entdeckung um Entdeckung zieht euch ein Phänomen zum nächsten. Und dass am Ende alles einen Sinn ergibt, der einem die Tränen in die Augen treibt - sowohl in Aussage als auch Inszenierung - das wäre nach allem Erlebten beinahe nur noch die Kür, hebt die Gesamterfahrung hier aber auf eine neue Ebene.
Die PS4-Performance ist nicht wahnsinnig stabil, aber solide genug, um nicht zu stören, auf PS4 Pro natürlich besser als auf der Basiskonsole. Aber es ist nicht die Sorte Spiel, in der die Bildrate einen riesigen Unterschied machen würde. Die einzige winzige Einschränkung, die ich gelten lassen würde: Ihr müsst euch auf eine Progression ohne Wegmarkierungen einlassen, die ihr weitestgehend selbst steuert (wenngleich gestützt von einem übersichtlichen Logbuch) und mit einer Steuerung klarkommen, die das Wechselspiel von Gravitation und sechs davon beeinflussten Bewegungsachsen feiert wie wenig anderes. Ab und zu an einem Mond zu zerschellen, gehört zum Raumfahrerleben dazu - und ist dank kurzer Wege nie schlimm.
Mir bleibt nur noch, euch den Rest meines ursprünglichen Tests lesen zu lassen und als weiterführende Lektüre meinen Artikel Outer Wilds lässt sich in 30 Minuten beenden - auch deshalb ist es etwas Besonderes zu verlinken. Und wer hiermit für sich bereits abgeschlossen hat, der sollte sich wenigstens anschauen, wie Youtuber in der Regel auf das Ende reagieren, aber selbst spielen ist definitiv besser.
Ursprünglicher Test, 29. Mai 2019
Glaubt mir, das hier habe ich genauso wenig kommen sehen wir ihr. Schon länger freute ich mich auf Outer Wilds, denn auf den Bierdeckel-Pitch muss man als alter Star-Trek-Fan einfach anspringen wie Captain Picard auf eine alte Skulptur ungeklärter Herkunft. Dass es mein Lieblingsspiel seit langer, langer Zeit werden sollte, schwante mir allerdings erst letzten Samstag, während meiner ersten längeren Session mit diesem gewaltigen und bestens polierten Indie-Titel von Mobius Digital (gegründet von Heroes-Schauspieler Masi Oka).
Klar, von Publisher Annapurna, der eigentlich vom Film kommt, ist man nur richtig Gutes gewohnt (Ashen, Edith Finch, Donut County, Kentucky Route Zero). Wann immer die ein Spiel ankündigen, weiß man schon vorher, dass es mit Sicherheit nicht nur etwas Besonderes, sondern auch hochsolide gemacht ist. Aber das hier ist etwas anderes: Es ist die Sorte Spiel, von der namhafte Entwickler in nicht allzu ferner Zukunft sagen werden, sie bereuten, dass sie nicht selbst auf diese Idee gekommen sind. Denn Mobius macht hier etwas, das so noch niemandem gelungen ist und schafft damit das für mich ultimative Science-Fiction-Spiel.
So. Pause. Erstmal kurz schütteln, nech? Ich sagte doch, ihr habt das nicht kommen sehen!
Wo bloß anfangen? Outer Wilds ist ein First-Person-Abenteuer, das in einem in Echtzeit simulierten und frei und ohne Ladezeiten erkundbaren Sonnensystem spielt. Allerdings eines, dessen niedliche Gestirne klein genug sind, um selbst die größten in zehn Minuten zu umlaufen. Der Orbit um die im dramatischen Tempo am Horizont der Planeten vorüberziehenden Sonne misst wenige Dutzend Spielkilometer, die man mit dem Antrieb seines großteils hölzernen Raumschiffs schnell durchquert. Dessen Steuerung ist einfach und ohne Simulationsambitionen, gehorcht aber variierenden Gravitationsverhältnissen ebenso, wie ihr die schnell wandernden Planeten auf ihrer Umlaufbahn abpassen müsst, um nicht an ihnen vorbeizuschießen oder an ihnen zu zerschellen. Das HUD greift eingängig unter die Arme, mit dem Controller steuert sich alles bestens. Es macht Spaß, in diesem Schiff Marke Eigenbau durchs All zu düsen.
Wo auch immer ihr wollt, könnt ihr aussteigen - Raumanzug anziehen nicht vergessen! - und per Jetpack die Umgebung erkunden. Das tut ihr, weil just an dem Tage, als ihr Teil des Weltraumprogramms dieser niedlichen Alien-Zivilisation werdet, das Übersetzungsgerät fertig ist. Mit dem lassen sich endlich all die geheimnisvollen Hieroglyphen entziffern, die auf jedem der zunehmend kuriosen Himmelskörper zuhauf zu finden sind. Und dann passiert es: etwa 20 Minuten nach Spielstart explodiert die Sonne und löscht alles aus, euch eingeschlossen. Nur, dass ihr wieder da aufwacht, wo das Spiel begann. Ihr seid also in einer Zeitschleife gefangen, nur bewaffnet mit dem gesammelten Wissen aus den vorangegangenen Zyklen, und steckt jedes Mal aufs Neue 20 Minuten lang eure Nase in einen anderen Winkel dieses Stückchens Raum. Irgendwo muss es sie geben, die Chance, das Überleben dieses liebenswerten Space-Liliput zu sichern.
Es gibt so vieles, was an diesem Spiel schlichtweg bewundernswert ist. Wie es sich strikt traditionellen Spielelementen verwehrt zum Beispiel: Es gibt keinerlei Kampfelemente, kein gängelndes Survival (abgesehen vom spannungsfördernden Sauerstoff- und Treibstoff-Verbrauch), trotzdem ist es durchweg spannend, weil eure Umgebung auf den meisten Planeten unerbittlich feindselig ist und so gut wie überall die Uhr gegen euch tickt. Gleichermaßen schraubt ihr auch nicht an eurer Ausrüstung (außer um Schäden am Schiff zu reparieren), schaltet keine Upgrades frei, sammelt keine Erfahrungspunkte. Eure Progression schlägt sich allein in dem gesammeltem Wissen nieder, das euer Schiffscomputer auch im nächsten Zyklus noch in eurem Schiff auf einer Übersichtstafel für euch bewahrt. Er markiert sogar, wo ihr noch nicht alles entdeckt habt und zeichnet den Ort sogar auf dem HUD für euch ein, wenn ihr möchtet.
Es fühlt sich an, als wäre jeder Planet ein kleiner bis ziemlich großer Zelda-Dungeon, für den es außer eurer Standardausrüstung (Sonde, Signalscanner und Übersetzungsgerät) nichts weiter braucht, als gutes räumliches Denken und Beobachtungsgabe - und natürlich müsst ihr auch die Geschicklichkeit und Verwegenheit mitbringen, beides im Jetpack oder am Joystick eures Schiffes in Resultate zu verwandeln. Was in jedem anderen Spiel langweilig wäre, wird durch zahllose physikalsche Phänomene oder Nomai-Technologien, die ihr in den Ruinen vorfindet, immer wieder frisch, neu und spannend. Ein Planet - denke "Dungeon" - ist "geschafft", wenn ihr alle Informationen aufgesogen habt. Gelingt euch das nicht, ist es oft ratsam, mit dem Start der nächsten Zeitschleife erst einmal ein anderes Phänomen zu untersuchen und später zurückzukehren.
Ich hatte schon lange nicht mehr so intensiv das Gefühl, meine eigenen Lösungen für die Probleme zu finden, die ein Videospiel sich für mich ausdachte, wie hier. Tatsächlich kommt hier wieder Zelda ins Spiel, denn das letzte Mal muss Breath of the Wild gewesen sein. In Outer Wilds fühle ich mich clever, wie der größte Eierkopf der Archäologen-Zunft, nur dass neben staubiger Historienarbeit hier die Rettung gleich mehrerer Welten Programm ist und ich wieder und wieder mein Leben dafür lasse. Sei es in einem unbedachten Sprung, weil mir der Sauerstoff ausging oder ich nicht aufpasste, wo ich hintrat. Es ist gleichzeitig erfrischend "unvideospielig", wirkt eher wie eine archäologische Ausgrabung, die unter Zeitdruck an den gefährlichsten Orten stattfindet, die man sich vorstellen kann. Und trotzdem fühlt man sich nicht nur gedanklich, sondern auch spielerisch gefordert. Was für ein Spagat. Dieses Spiel ist Kirk und Picard in einem ... Captain Pikirk?
Dass ein reines Erkundungsspiel so spannend sein kann, liegt vor allem am Einfallsreichtum der Designer, die ein Sonnensystem als ergreifendes Kuriositätenkabinett kreierten, das euch aller Orten vor neue Herausforderungen stellt. Ich will nicht zu viel verraten, aber wie sich diese Welten mit jedem Zyklus entwickeln, das ist so verdichtet und komplex, dass man nur schwer darauf klarkommt. Als ich das erste Mal begriff, dass bei den beiden sich gegenseitig nah umkreisenden Zwillingsplaneten unentwegt aller Sand von einem auf den anderen rieselt und Ruinen auf dem ersten freilegt und auf dem zweiten verschüttet (mit mir darin!), verschlug es mir die Sprache. Ich dachte, ich sehe nicht richtig. Das muss auch der Moment am vergangenen Samstag gewesen sein, dass ich das Smartphone in die Hand nahm, und allen meinen Freunden sagte, sie sollte mal dringendst ein Auge auf dieses Spiel werfen.
Und derartige "A-ha"- und "Oh Gott"-Momente bietet jeder Ort in diesem Sonnensystem. Während die sogenannten Sanduhrzwillinge sich gegenseitig in ihrem gleißenden Sediment ersticken, zerbricht zum Beispiel an anderer Stelle der wohl größte Planet des Systems in Tausende gigantische Einzelteile, um einem schwarzen Loch in seinem Inneren entgegenzustürzen. Ich könnte ohne Ladezeiten schnell von wo auch immer hierher gelangen, um komplette interaktive und begehbare Bereiche von seiner Oberfläche wegbröckeln zu sehen, sogar mit ihnen hinunter ins Verderben stürzen - und das Spiel würde weder laden müssen noch käme es anderweitig ins Stocken. Obwohl zeitgleich alles simuliert ist und man selbst ist in Echtzeit steter, integrierter Teil dieser Simulation. Für ein Team dieser Größe eine mir unbegreifliche Leistung.
Die Kombination aus den vorprogrammierten Ereignissen dieses in immer wiederkehrender Vernichtung begriffenen Stück Weltraums und euren Aktionen sorgt für so viele einzigartige Momente, die das Spiel oft genug mit einem Stück aus seinem sensationellen Soundtrack unterstreicht. Ich merke, mir gehen die Worte aus. Sie reichen nicht. Ist aber wohl besser so, denn Outer Wilds solltet ihr selbst erlebt haben. Wem das jetzt noch wichtig ist: Es ist kein kurzes Spiel und ich halte es für unwahrscheinlich, dass man hier in unter zehn Stunden rauskommt. Ich habe sicher deutlich mehr reingesteckt, aber jegliches Zeitgefühl verloren und der Epic Launcher zählt ja leider nicht mit.
Noch ein paar Takte zu den technischen Aspekten: Die Optik ist sehr ordentlich und künstlerisch mit leichtem Double-Fine-Einschlag versehen. Bei Polygonzahl und Texturen machte man ebenso erwart- wie verschmerzbare Abstriche, wenn ein Indie-Entwickler mal eben ein komplettes Sonnensystem simuliert. Trotzdem sind immer wieder wunderhübsche Panoramen drin, was an der Beleuchtung und einigen exzellenten Effekten liegt. Das Spiel lief ohne jegliche Abstürze auf meinem PC flüssig (Epic-Store-exklusiv aktuell). Über die Xbox-Version kann ich leider nichts sagen. Wohl aber über die deutsche Übersetzung, denn die ist sehr sauber gelungen und hat sich ihren Wortwitz bewahrt, was wirklich nicht alltäglich ist. Sprachausgabe gibt es nicht, ist angesichts der wenigen NPCs aber auch nicht unbedingt wichtig. Und das Beste: Der eine oder andere von euch hat es vielleicht morgen schon automatisch. Outer Wilds ist ab dem 30. Mai Teil des Xbox Game Pass.
Es kommt nicht häufig vor, dass ich die Tage zähle, bis das Embargo für einen Spieletest fällt. Wenn das so ist, liegt es meistens daran, dass ich meine Freude über ein Spiel förmlich in die Welt hinausschreien möchte. Das letzte Mal ist eine Weile her. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt in einem Spiel so häufig stehen geblieben bin und vor Wehmut über die tollen Einfälle oder das nächste atemberaubende Panorama hörbar betretene Seufzer ausgestoßen habe. Outer Wilds ist das Weltraumspiel, auf das ich seit Starflight gewartet habe und das reinste, aufregendste und selbstbewussteste Erkundungsspiel, an das ich mich erinnern kann. Es verdichtet und destilliert in seinem kleinen Modellsonnensystem all das Wundervolle, Fremdartige und Rätselhafte, das Science-Fiction als Themenwelt so endlos faszinierend macht - und es geht ein fesselndes Tempo: gern bereit, euch in melancholischem, gemütlichem Takt zu folgen, bis es wieder an der Zeit ist, sich ins Apokalyptisch-Dramatische aufzuschwingen.
Irgendwann, zwei Drittel durch dieses nicht gerade kurze Spiel hindurch, heißt man sie willkommen, die wehklagenden Synthies, die das bevorstehende Ende eines Zyklus' ankündigen. Fast ritualartig lässt man mit dem ersten Akkord alles liegen, was man tut, sucht sich einen schönen Platz, von dem aus man der Sonne dabei zuschaut, wie ihr gleißendes Blau sich alles Leben einverleibt - wohl wissend, mit den letzten gefundenen Inschriften der Nomai der Rettung wieder einen Schritt näher zu sein. Ein Moment, einzigartig wie das Spiel, dem wir ihn zu verdanken haben.
Entwickler/Publisher: Mobius Digital/Annapurna - Erscheint für: PC, Xbox One - Preis: ca. 20 Euro - Erscheint am: 30. Mai - Sprache: Deutsch - Mikrotransaktionen: nein - Getestete Version: PC
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