Skip to main content

Oxenfree 2: Lost Signals im Test – Der Nachfolger hat das, was manchen Netflix-Serien fehlt: klasse Dialoge

Gute „Unterhaltung“ ist hier wörtlich zu verstehen.

Spannender Mystery-Thriller, der eine Idee zu geradlinig verläuft und sein erzählerisches Potential nicht ausreizt, aber mit ausgesprochen lebendigen Dialogen überzeugt.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich das erste Oxenfree zum Teil glatt übersehen, zum anderen Teil aber auch aus Zeitgründen ignoriert habe. Dabei gelingt Oxenfree 2: Lost Signals wie schon dem Vorgänger etwas, das Videospiele viel zu selten hinbekommen: Man unterhält sich über weite Strecken so, wie man es auch in Wirklichkeit tun würde.

Wenn man einen Gesprächspartner unterbricht, fragt der deshalb im Anschluss, worüber er zuletzt geredet hat, bevor er dann an dieser Stelle weitermacht. Außerdem ist man sehr aktiv an Dialogen beteiligt, anstatt nur gelegentlich mal „Ja, unbedingt“ oder „Ich glaube nicht“ zu antworten. Oder aber man reagiert gar nicht auf das zuletzt Gesagte. Die merken sich das ja! Hin und wieder bekommt man nämlich einen Hinweis darauf, dass die letzte Reaktion einen Eindruck hinterlassen hat. Welcher das ist, das erfährt man allerdings erst später, wenn es darum geht, dass die anderen Charaktere auf etwas reagieren, das man zum Beispiel von ihnen verlangt.

Klingt irgendwie nach Telltale? Kein Wunder: Night School Studio wurde von ehemaligen Telltale-Mitarbeitern gegründet und hat sich auf die Fahnen geschrieben, möglichst lebendige Dialoge zu inszenieren. Nun handelt es sich natürlich um einen Titel im Independent-Format, weshalb er audiovisuell vor allem von stilvollen Kulissen und einem stimmungsvollem Soundtrack lebt, aber nicht durch aufwändige Technik geprägt ist.

Es beginnt ganz harmlos für die Umweltforscher, doch schon als sie den ersten Sender aufgestellt haben, werden sie Zeugen sehr ungewöhnlicher Ereignisse. (Oxenfree 2: Lost Signals im Test - PC)

Night School Studio gehört inzwischen zwar zu Netflix, weshalb die mobile Variante des Spiels bei dem Streaming-Anbieter verfügbar ist. Rein technisch gesehen ist Oxenfree 2 aber ein überschaubares Adventure, bei dem man viel umher läuft, minimal fordernde Rätsel löst und hauptsächlich eben in die Gespräche mit den Bewohnern von Camena vertieft ist, die sich um geheimnisvolle Ereignisse rund um Edwards Island drehen.

Ganz genau: Das ist die Insel, um die es schon im Vorgänger ging, weshalb man auch Hinweise darauf findet. Hauptsächlich ist man in der Rolle von Riley Poverly aber deshalb in Camena unterwegs, weil sie etwas ziellos durchs Leben stolpert und in ihrer alten Heimat nach Antworten sucht. Sie tut das als Umweltforscherin, die gemeinsam mit ihrem neuen Partner Jacob ein paar Sender aufstellen soll, um den Ursprung seltsamer Signale zu finden. Jacob kennt sie von früher. Er kann körperlicher Ertüchtigung wenig abgewinnen, quasselt aber recht viel, was deshalb praktisch ist, weil man so immer jemanden hat, auf den Riley mit einer passenden Antwort reagieren kann.

Riley und Jacob können sich relativ frei in Camena bewegen und mitunter wählen, welches Ziel sie ansteuern. Viel zu entdecken gibt es nur leider nicht. (Oxenfree 2: Lost Signals im Test - Steam Deck)

Eine Gesprächstherapie erwartet euch deshalb allerdings nicht. Vielmehr finden sich die beiden schon bald in einem handfesten Mystery-Thriller, als seltsame Stimmen zu hören sind, geisterhafte Erscheinungen auftauchen und die ganze Realität aus den Fugen zu geraten scheint. Also stiefeln Riley und Jacob durch ganz Camena von einem Phänomen zum nächsten, um weitere Sender aufzustellen und Kontakt mit einer Gruppe Spinner aufzunehmen, die offenbar mit den seltsamen Geschehnissen zu tun haben.

Hin und wieder kann man dabei die Frequenzen eines Radios durchgehen, um dem örtlichen Funk zu lauschen oder über die Radiowellen mit bestimmten Geräten zu interagieren. Wie gesagt: Übernatürliche Phänomene sind hier an der Tagesordnung. Über ein Walkie-Talkie unterhält man sich außerdem mit verschiedenen Kontakten, die hin und wieder die Geschichte voranbringen oder einfach nur interessante Informationen parat haben.

Das ist es nämlich, was mein Interesse an diesem Abenteuer geweckt hatte; erinnert es auf dem Papier doch stark an Firewatch, das ich nach wie vor für eins der besten Erzählspiele halte, weil man sich auch dort auf sehr natürliche Art mit einer Person am anderen Ende einer Funkverbindung unterhalten konnte.

Manchmal muss man eine gesuchte Frequenz wählen, um ein Rätsel zu lösen oder einen Sender zu hören. Abgesehen davon nutzt man das Radio aber selten. (Oxenfree 2: Lost Signals im Test - Steam Deck)

Nur hat mich Oxenfree 2 ausgerechnet in dieser Hinsicht ein wenig enttäuscht. So richtig frei ist man nämlich nicht darin, jederzeit ein beliebiges Gespräch zu starten. Das sind zum größten Teil doch klar vorgegebene Momente, in denen man das Funkgerät hervorholen muss. Man kann natürlich auch beim Funken oft auf beliebige Art antworten, hat aber selten die Wahl einen Gesprächspartner einfach so zu kontaktieren. Mit dem Radio ist es ähnlich. Das dient hin und wieder zwar als Werkzeug für kleine Rätsel und es gibt durchaus Situationen, in denen es sich lohnt, einen Sender zu hören. Die meiste Zeit über hat das Durchsuchen aller Frequenzen allerdings keinen Sinn.

Eine Sache, die ich dafür sehr schätze, ist die Klarheit, mit der man den Sprechblasen entnehmen kann, welche Antwort Riley geben wird. In manchen Spielen wundert man sich ja mehr darüber, was man gerade getan hat, anstatt im Small-Talk zu versinken. Das Gefühl hatte ich hier nur selten. Hinzu kommt die Tatsache, dass man nie das Gefühl hat das Spiel erklärt zu bekommen, da Riley und die Anderen immer so sprechen, wie es normale Menschen tun würden. Das ist eine Qualität, die ich in vielen Videospielen und anderen Medien sehr vermisse!

Ein kleines Ärgernis: Die Schrift ist auf einem Fernseher groß genug, auf Monitoren und mit einem Handheld wie dem Steam Deck fällt das gemütliche Lesen allerdings etwas zu schwer. (Oxenfree 2: Lost Signals im Test - Steam Deck)

Nicht zuletzt nutzt Night School Studio die Sprechblasen zudem auf clevere Art, um Rileys Geschichte und Charaktere aufzubauen. Denn auch, wenn man sich gegen die Sprechblase „Ich will lieber nicht über meine Mutter reden“ entscheidet, weiß man in diesem Moment ja, dass da etwas begraben liegt. Das ist nicht nur hier so, aber die Entwickler nutzen dieses Mittel für mein Empfinden sehr geschickt. Wobei sie besonders mit Riley und Jacob überhaupt angenehm bodenständige Figuren aufbauen, deren Beziehung zueinander so angelegt ist, dass die verschiedenen Antwortenmöglichkeiten immer plausibel sind.

Mir haben in der Erzählung nur leider ein paar Momente gefehlt, die neben dem geheimnisvollen Plot auch Rileys persönliche Reise stärker in den Vordergrund rücken. Denn als die Lichter ausgingen, war das zwar ein gutes Ende - in der Hinführung fehlten mir aber Anhaltspunkte, um mich auch emotional mitzunehmen.

Ich wünschte auch, man hätte manchmal etwas mehr Zeit zum Überlegen. Tatsächlich kommt es hin und wieder sogar vor, dass jemand eine Frage stellt und im selben Moment die Dialogoptionen schon verschwinden. Da hat man in jeder Quizshow mehr Zeit und vor allem auch im echten Leben. Schon allein deshalb, weil sich die Antworten zwar nicht auf die ganz große Geschichte, aber auf wichtige Einzelheiten in ihrem Verlauf auswirken, hätte ich manchmal gerne ein paar Sekunden mehr Zeit.

Leider haben sich auch kleine technische Fehler ins Spiel geschlichen. Diese Spiegelung zum Beispiel sollte es so nicht geben. (Oxenfree 2: Lost Signals im Test - Steam Deck)

Hinzu kommt, dass Camena rein technisch gesehen nicht aus einer einzigen Karte besteht, sondern aus relativ kleinen Arealen, die durch Ladebildschirme getrennt sind. Wenn man sich dann gerade unterhält, während man zum nächsten Abschnitt springt, werden die Antwortmöglichkeiten unterschlagen, die Riley daraufhin eigentlich hätte.

Auch an anderen Stellen hakt die Technik manchmal auf störende Art. So habe ich mich mehrmals während eines Dialogs in eine Ecke manövriert, aus der ich anschließend nicht mehr herauskam, weil die Kamera inzwischen so weit an die Akteure herangefahren war, dass Riley am Bildrand eingeklemmt wurde. Und es sind manchmal sogar die eigentlich hervorragenden Unterhaltungen selbst betroffen, wenn sich mehrere Dialogteile einfach überlagern, weil nicht alle Aktionen das aktuelle Gespräch unterbrechen.

Ein Beispiel für eins der einfachen Rätsel: Man muss Frequenzen modulieren, um auf dem Oszilloskop eine gesuchte Form zu erzeugen. (Oxenfree 2: Lost Signals im Test - PC)

Ganz rund finde ich Oxenfree 2 daher nicht. Wobei das Abenteuer auch so geradlinig verläuft, dass ich mir zumindest beim Erkunden der Umgebung ein wenig mehr Freiheit gewünscht hätte. Immerhin klettern Riley und Jacob auch an Bergen entlang oder steigen in Höhlen hinab, wobei sie mitunter einen anderen Weg wählen kann als ihr Partner. Abseits von wenigen Notizen gibt es dort nur nichts zu entdecken. Wie gerne hätte ich zum Beispiel abgelegene Höhlen entdeckt und optionale Hintergrundinformationen erhalten, um per Walkie-Talkie weitere Details einzuholen oder gar zu entscheiden, wem ich davon erzähle, weil das ein entscheidendes Detail für später sein könnte.

Oxenfree 2: Lost Signals im Test – Fazit

Das lange Hin und Her mit Jacob, der viele Small-Talk… so sehr die Dialoge auch ein paar Jahre nach dem Vorgänger noch zu den besten ihrer Art zählen, so einförmig fühlt sich das eigentliche Abenteuer doch an. Es sind nicht die zahlreichen Gespräche an sich; es ist das Verhältnis zu allem anderen, das auf Dauer nicht ganz stimmig ist. Wobei es natürlich klasse ist, dass man den Verlauf dieser Geschichte dadurch beeinflusst, wie man mit Personen umgeht. Und dass das in hervorragend geschriebenen, lebensnahen Dialogen geschieht, in denen man Gesprächspartner sogar unterbrechen kann, finde ich umso besser. Fast hätte diese seltene Qualität die Schwächen der restlichen Interaktion glatt überwiegt, sodass ich mich vollends in dieses spannend erzählte Abenteuer hätte fallenlassen können. Aber ausgerechnet dafür fehlten neben einigen Stichpunkten und kurzen Visionen leider auch stärkere emotionale Anhaltspunkte in der Erzählung, sodass Oxenfree 2 zwar ein sehr "unterhaltsames" Erlebnis ist - aber eben auch eins, das sowohl sein erzählerisches als auch sein spielerisches Potential nie ganz ausreizt.

Schon gelesen?