Splinter Cell: Double Agent
Kann Sam Fisher ein Schwein sein?
Neulich habe ich mich mit ein paar Freunden in einem Bistro getroffen. Das Thema Politik ist bei so einem Kaffeeklatsch momentan ganz angesagt, da ja weltweit alles den Bach runter geht. Politik deprimiert mich, also wollte ich den Talk in eine andere, freundlichere Richtung lenken. Leider fiel mir nix ein und so fing ich an, ein wenig über kommende Top-Spiele zu schwadronieren. Als ich bei Splinter Cell: Double Agent angelangt war, kam es zum Eklat. "Das ist doch das Ding mit Sam Fisher, oder? Dieser erzkonservative Ur-Amerikaner wählt doch garantiert George W. Bush!", schmetterte mir Harald an den Kopf. Ich hielt den Sozialpädagogik-Studenten übrigens immer für einen Kommunisten. Habe aber meine Meinung geändert, nachdem ich erfuhr, dass er nebenbei mit Aktien zockt. Was für ein Heuchler!
Doch wenn ich ehrlich bin, hinterlässt der Splinter Cell-Kämpfer wirklich einen eher unentspannten Eindruck. Ein griesgrämiger, pflichtbewusster Superagent, der alles für sein Vaterland tun würde. Jemand, der lieber zehn gefährlichen Terroristen ins Auge blickt, als einem Greenpeace-Aktivisten die Hand zu schütteln. Eigentlich lustig, dass gerade Franzosen einen knallharten US-Helden erfinden. Ob Sam wohl Freedom Fries mampft? Aber die Zeiten ändern sich und mittlerweile hat der Stealth-Onkel sein CDU-Wähler-Image mehr oder weniger freiwillig abgelegt. Wie so oft im Leben sind es auch hier die besonders heftigen Schicksalsschläge, die einen Mann zum Umdenken zwingen. In Sams Fall passiert das, als seine Tochter tödlich verunglückt. Dieser Verlust zerstört unseren Third Echelon-Helden beinahe völlig und dann klopft plötzlich das Schicksal erneut an die Tür ...
Jetzt schaltet sich Stefan ein, der Splinter Cell: Chaos Theory nie durchgespielt hat. Das Schwein leiht sich immer Spiele von mir und gibt sie nie zurück. Sein Einwand: "Ubisoft zeigt in der neuen Episode also, dass Sam Fisher auch Gefühle hat. Das ist mir so was von schnuppe. Den ersten Teil habe ich geliebt. Den zweiten Teil eigentlich nur noch aus Prinzip durchgezockt und Splinter Cell 3 konnte ich beim besten Willen nicht weiter als bis zur Hälfte ertragen. Ständig durch die Dunkelheit zu schleichen, macht mich mittlerweile depressiv. Was bringt außerdem die beste Optik, wenn man sowieso nur in stockfinsteren Levels rumhantiert? Mit mir nicht, meine Herren! Zur Strafe kriegst Du deine Spiele nie wieder zurück!" Na ja, den letzten Satz habe ich erfunden, aber Stefans Argumente sind nicht völlig aus der Luft gegriffen. Ich hab ja auch alle Teile gezockt und mich über die gleichen Dinge geärgert, wenn auch nicht in solchem Maße. Doch ich muss gestehen: Einen spielerisch identischen vierten Teil brauche ich nicht. Auf Wiedersehen, Mister Fisher. Ich werde Sie immer in bester Erinnerung behalten.
Halt! So weit will es Ubisoft nicht kommen lassen und deshalb krempelten die Jungs einfach alles um. Revolution statt Evolution. Eine abgelutschte Phrase, aber in diesem Fall passend.
In Splinter Cell: Double Agent bietet die NSA Sam Fisher einen neuen Job an. Non Official Cover ist die Devise. Sollte während des Auftrags irgendwas schief gehen, weiß die Regierung von nichts. Als Doppelagent ist er auf sich alleine gestellt und soll sich in eine terroristischen Organisation namens JBA (John Brown's Army) einnisten. Ein Mitglied der Terrorvereinigung hockt gerade im Knast, ein paar Knöpfe werden gedrückt, worauf Sam ebenfalls im Bau landet. Er erhält nicht nur eine neue Kurzhaarfrisur, sondern auch eine göttliche Eingebung. Hilft er dem JBA-Mann bei der Flucht, wäre das doch eine todsichere Eintrittskarte für den Terroristenverein! Während des Ausbruchs erlebe ich Moves, die schon in vergangenen Multiplayer-Sessions spaßig waren. Räuberleiter machen, um den Partner über Hindernisse zu hieven, zum Beispiel. Übrigens ist es erfrischend, Sam mal nicht im schwarzen Gummianzug und Nachtsichtgerät durch die Gegend zu jagen.
Die Flucht endet im sicheren JBA-Hauptquartier, wo die nächste Neuerung auf mich wartet. Eine Geisel wimmert vor sich hin und meine neuen "Freunde" reichen mir eine Waffe. Shit, ich soll die arme Sau kalt machen. Was tue ich denn jetzt? Wenn ich abdrücke, gewinne ich das Vertrauen der Terroristen. Aber kann ich das mit meinem Gewissen vereinbaren? Und was würde die NSA dazu sagen, wenn ich Unschuldige über die Klinge springen lasse? Laut der Entwickler haben übrigens 70% der Vorab-Tester die Geisel verschont.
Die Frage ist also, inwiefern sich solche Spielerentscheidungen auf den weiteren Verlauf von Sams Auftrag auswirken. Die Sache ist laut Ubisoft eigentlich ganz einfach: Sind die Terroristen von mir beeindruckt, steigt auch deren Vertrauen in mich. So erhalte ich etwa Zugang zu gesperrten Bereichen des JBA-Hauptquartiers und besserem Equipment. Auch Staatsfeinde denken also praktisch. Warum teure Ausrüstung an einen Typen verschwenden, der es sowieso nicht bringt? Brenzlig wird es aber, wenn man gleichzeitig für die Guten und die Bösen agieren muss. In einer Mission soll ich während eines Meetings der JBA-Penner Wache halten. Die NSA wiederum möchte, dass ich das Treffen abhöre. Es gilt einen Weg zu finden, beide Parteien zu befriedigen. Man kann es zwar nicht immer jedem recht machen, aber Versuch macht kluch. An einer Stelle soll ich einen Menschen opfern, um 3000 andere zu retten. Gemein ist, dass mir diese Person nahe steht.
Erwähnte ich eigentlich schon, dass nur noch ein relativ kleiner Teil von Splinter Cell: Double Agent in der Dunkelheit spielt? Im Kinshasa-Level kämpft sich Sam bei Tageslicht durch die vom Bürgerkrieg gebeutelte Innenstadt. In der Arktis taucht er unter Eisschollen herum, kann sogar Löcher hinein schneiden, um Feinde in die Tiefe zu ziehen. Zu den neuen Aktivitäten gesellen sich überdies Fallschirmsprünge und ich bin mir sicher, dass auf der gerade stattfindenden Games Convention weitere Aktionsmöglichkeiten ans Tageslicht geraten.
Keine halben Sachen! Der Mehrspieler-Modus wird ebenfalls gepimpt und einsteigerfreundlich gestaltet. Damit Anfänger nicht mehr so planlos durch die Gegend hampeln. Gerade auf Seiten der Spione war die Lernkurve früher ja recht steil. Das wird jetzt unter anderem dadurch entschärft, dass Icons jederzeit darüber aufklären, welche Interaktionsmöglichkeiten ein Objekt oder die Umgebung bieten.
Stefan und Harald sitzen übrigens immer noch da. Sie wollen Sam Fisher doch noch eine Chance geben. Gut, denn mehr wollte ich nicht. Sie wollen leider auch, dass ich die Rechnung übernehme. Diese gierigen Bastarde.
Sam ist nicht mehr der Inbegriff der Eindimensionalität. Ich weiß zwar nicht, was das bedeutet, aber es klingt gut und ich hab mir den Satz sogar selber ausgedacht. Dass Ubisoft den vierten Teil in eine neue Richtung lenkt, ist das Beste, das Herrn Fisher passieren konnte. Ihr neues Gut/Böse-Prinzip funktioniert und intensiviert das Spielerlebnis. Moral als Teil der Spielmechanik. Da soll noch jemand behaupten, dass uns Videospiele zu herzlosen Killern machen.
Splinter Cell: Double Agent erscheint am 31. Oktober für Xbox 360, PS2, Xbox, PC und GameCube. Würde uns aber nicht wundern, wenn Herr Fischer auch die Playstation 3 beehrt.