Palianytsia – Frogwares ukrainischer Mittelfinger für Russland
Die Wut war schon vor dem Krieg da.
Das hauptsächlich ukrainische Independent-Studio Frogwares (The Sinking City, Sherlock Holmes Chapter One) hat vor kurzem sein aktuelles Projekt mit dem vorläufigen Namen Palianytsia enthüllt. In der Bekanntgabe verwiesen die Entwickler dabei auf die schwierige Lage in ihrem Land. Sie erklärten, dass sie ursprünglich vorhatten, an einem ganz anderen Titel zu arbeiten, diesen aber zunächst auf Eis gelegt haben, um sich unter den erschwerten Bedingungen nicht zu übernehmen. Palianytsia sei daher eine zwar ebenso ambitionierte, aber weniger aufwändige Produktion.
Doch was genau bedeutet es eigentlich, ein Videospiel zu entwickeln, während sich das eigene Land im Krieg befindet? Immerhin sind die in Kiew arbeitenden Entwickler, wo sich auch der Firmensitz befindet, noch immer Raketenschlägen und Luftangriffen ausgesetzt, obwohl derzeit vor allem im Osten der Ukraine gekämpft wird. Das erklärt mir Communications Manager Sergey Oganesyan, den wir zur Situation von Frogwares befragen durften. Warum einige seiner Kollegen trotz der anhaltenden Gefahr in ihre Heimat zurückgekehrt sind? Sie wollen "zu Hause sein, um ihren Städten und Familien so gut wie möglich dabei zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen, anstatt sich irgendwo auf dem Land oder im Ausland zu verstecken."
Tatsächlich seien alle Entwickler sicher und am Leben. Diejenigen, die im Osten des Landes zu Hause sind, hätten schon zu Beginn der russischen Invasion von dort fliehen können. Wer in einem von Russland besetzten Gebiet lebt, könne dies allerdings momentan nicht verlassen und 10 bis 15 Prozent des Teams haben sich dazu entschlossen, entweder die Waffe zu ergreifen oder humanitäre Hilfe zu leisten. Ihnen gelte derzeit die besondere Sorge des Studios. Und spätestens, wenn Oganesyan erwähnt, dass einige Mitarbeiter Familienmitglieder oder Freunde verloren haben, wird klar, wie entsetzlich der Krieg ist. "Wir werden deshalb ständig daran erinnert, welchen Preis das alles hat", fügt er hinzu.
Dabei ist die Invasion nicht alles, was den Entwicklern auf dem Herzen liegt. Die Wurzeln ihrer Wut reichen offenbar viel tiefer, denn hat Putin sich ja nicht erst in den letzten Monaten aggressiv gegenüber der Ukraine verhalten. Einige Kollegen hätten bereits vor acht Jahren alles zurücklassen müssen, als sie aus dem Donbass oder der Krim geflohen sind.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass Oganesyan es entmutigend nennt, mitansehen zu müssen, wie Westeuropa Verhandlungen mit der Regierung Putins anstrebt. "Das sind keine Leute, denen man je vertrauen, mit denen man je verhandeln will. Das haben wir schon versucht und es hat zu einer kriegerischen Invasion geführt. Wenn die Menschen in Frieden und Sicherheit in Europa leben wollen, muss die Ukraine frei und vollständig bleiben."
Spiel trotz(t) Krieg
Und trotzdem: Palianytsia wird kein politisches Spiel werden, sich nicht direkt um das aktuelle Zeitgeschehen drehen. Es werde allerdings Themen enthalten, die Teile der derzeitigen Lage widerspiegeln. Der Communications Manager erwähnt die angekündigten Horrorelemente sowie das Gefühl, sich nicht gegen einen übermächtigen Feind wehren zu können.
Interessant ist nicht zuletzt der Titel, obwohl der nur vorläufiger Platzhalter für den späteren Namen ist. Denn auch der Platzhalter hat eine Bedeutung: "Wir haben etwas ausgewählt, über das unser Team und unsere ukrainischen Fans schmunzeln könnten. Das Wort (Palianytsia ist die Bezeichnung eines ukrainischen Brots; Anm. d. Red.) hat in unserem Land nämlich ein wenig Berühmtheit erlangt, weil Russen es nur schwer aussprechen können." Es sei das "Äquivalent eines phonetischen Dark Souls für Russen […]. Wenn jemand vorgibt, Ukrainer zu sein, etwa ein russischer Spion, könnte man ihn zum Test fragen, Palianytsia auszusprechen."
Frogwares versteht das Spiel also als trotzigen Mittelfinger gegen Russland – erachtet es aber auch seiner selbst willen als wichtig, da es wenigstens "einige Stunden lang vom Krieg ablenkt". Dass alle Entwickler derzeit remote arbeiten, dürfte dabei wenig überraschen. Den "einzigen Lichtblick, den Corona gebracht hat" nennt Oganesyan die Tatsache, dass derartige Abläufe heutzutage etabliert sind – obwohl gelegentlicher Luftalarm und die Flucht in einen sicheren Raum eigentlich nicht dazu zählten. Strom- und Internetausfälle seien ein weiteres Übel, mit dem viele Kollegen derzeit klarkommen müssen, wobei die Situation für jeden Einzelnen eine andere sei. Immerhin ist Nahrung wohl in ausreichender Menge vorhanden.
Das Spiel selbst werde aus Detektivarbeit bestehen, bei der Spieler möglichst wenig an die Hand genommen werden. Die Geschichte soll bei im Vordergrund stehen. Alles in allem werde Palianytsia an das erinnern, was schon das bisherige Portfolio des Studios auszeichnet.
Bleibt zu hoffen, dass nicht nur dadurch schnell wieder Normalität bei Frogwares und ganz besonders in der Ukraine einzieht.