Skip to main content

Panzer Corps: Wehrmacht - Test

Zieh, als wäre es 1994

Ist jetzt nicht ganz neu das Game, liegt jetzt nicht seit gestern in den Regalen, aber wenn ich schon so viel Spaß, praktisch Retro-Spaß, über die Feiertage hatte, fühle ich mich jetzt doch bemüßigt, euch daran teilhaben zu lassen. Vor allem, wenn ihr wie zu Weihnachten oder an anderen solchen Tagen auf einen Laptop bauen müsst, der nicht gerade den neusten Alienware-Spezifikationen entspricht. Und Rundenstrategie liebt. Dann ist Panzer Corps: Wehrmacht genau das Richtige.

Nicht die Packung und auch nicht der Titel an sich wohlgemerkt. Das Cover ist potthässlich. Es weckt zusammen mit dem Namen Erinnerungen an Opas alte Panzerbücher. DVD nehmen, Packung verstecken und erstmal drei Stunden reservieren. Zeit ist hier ein wichtiger Faktor und das lässt sich für Kenner des Mitt-90er-Klassikers Panzer-General leicht und für alle anderen etwas umfangreicher erklären. Die erste Gruppe weiß jetzt nämlich alles, was sie wissen muss, um zu entscheiden, ob sie dieses Game in etwas hübscherer Auflösung, aber mit den grundsätzlich gleichen Mechaniken haben möchten. Tauscht einfach das Corps gegen General aus und das reicht dann schon. Der Entwickler nennt auf seiner Page sogar SSI´s damaliges Kind beim Namen.

Für alle anderen: Panzer General galt damals als das "zugängliche" Taktik-Spiel und im Vergleich zu einigen der richtig harten Runden-Brocken da draußen stimmt das wohl bis heute. Da sich in diesem Randgenre nicht viel geändert hat, ist auch Panzer Corps etwas für die Einsteiger. Sehr relativ betrachtet. Die monströse Kampagne mit 25 oder so Szenarien durch den ganzen europäischen Zweiten Weltkrieg hindurch kann Wochen bei Laune halten, und bis man 400 Einheiten kennt, vergeht Zeit. Das Schöne an Panzer Corps ist jedoch, dass es bei aller Komplexität dank Tutorial und durchdachter Bedienung einsteigerfreundlich bleibt. Sicher, ein paar Sachen könnten aufgeräumter sein, aber im Großen und Ganzen hat man das Spiel in seiner Grundfunktionsweise am ersten Abend verinnerlicht.

Dann stürzt ihr euch in den Kampf und merkt in wenigen Schlachten, dass Tempo gefragt ist. Nicht beim Ziehen, das geht klar in Runden, aber braucht ihr zu viele davon, kann es sein, dass ihr zwar diese Runde gewinnt, die Karten in der nächsten Schlacht aber gegen euch gezogen werden. Die Belohnungen für schnelle Siege sind ansehnlich. Wer intelligent zieht und es schafft Moskau vor dem Winter zu erobern, belagert danach die USA, etwas das ohne diesen Sieg vorher nicht möglich ist. Diese alternativen Szenarien geben euch einen echten Anreiz, Tempo bei der Welteroberung zu geben.

Tempo heißt auch nicht, dass überstürzte Züge etwas brächten. Im Gegenteil. Mal abgesehen davon, dass die KI genau weiß, was sie tut, müsst ihr enorm viele Faktoren im Hinterkopf rotieren haben. Tanken und Munition nachfüllen sind Aktionen, Bomber wollen von Jägern geschützt werden, Truppen aufgefrischt sein. Auch wechselt die Versorgungslage schnell. Eben war eure Bomberflotte noch in Reichweite des rettenden Flughafens, nur leider gehört der nach einem Überraschungsangriff plötzlich dem Gegner. Wetter und Gelände spielen in die Schlachten mit hinein und so gehen schnell Gefechte verloren, habt ihr nicht alles im Blick.

Da kommt es gelegen, dass eure Truppen auch hochgestuft werden können, wenn sie lange genug - auch über mehre Schlachten hinweg - überleben sollten. Erfahrene Trupps sind schlagkräftiger, haben höhere Reichweiten und mehr individuelle Truppen innerhalb einer Gruppe. Je länger ihr also spielt, desto mehr kennt und schätzt ihr eure Kerntruppe. Eine Verbundenheit, wie bei einem guten Rollenspielcharakter. Verluste werden gleich herber, Siege süßer. Das lenkt jedoch nicht ganz davon ab, dass Panzer Corps so puristisch bleibt, wie es auch Panzer General war. Ihr spielt die Schlachten und eure Aufgaben darin sind stets gleich. Erobern und Siegen. Wer logistisches Makromanagement über den eroberten Kontinent hinweg sucht, wird nichts finden und das wäre vielleicht ein Punkt gewesen, wo man für Veränderungen hätte ansetzen können. Aber andererseits, so kompetent, wie Panzer Corps sein Kernthema der Schlachten beherrscht, ist es vielleicht besser, dass der Entwickler - The Lordz Game Studio - es dabei beließ.

Etwas, das am Ende bei Panzer Corps dennoch echte Sympathiepunkte gibt, ist das gute Tutorial und ein Ingame-Lexikon, sodass es ausnahmsweise Mal nicht nötig ist, nebenbei ein Wiki offenhaben zu müssen. Vorbildlich. Da verschmerze ich es zumindest sehr leicht, dass Animationen und Sounds sich weitestgehend rar machen. Ehrlich gesagt hätte ich sie hier sogar für überflüssigen Tand gehalten. Ganz im Gegensatz zum genialen Play-by-Mail-Service. Da so eine Runde schon mal ein Weilchen dauert, zieht einfach ein Spieler und, ist er fertig, geht eine Mail an den Gegner, der dann, sobald er wieder Zeit hat, seinen Zug macht. Spannende Partien ohne Hektik und Not. Natürlich kann man auch zu zweit an einem PC spielen, aber ich ziehe definitiv die Mail-Variante vor.

Ein hervorragendes "Remake" eines zeitlosen Klassiker ohne echte Schwächen. Wer hätte das hinter so hässlichem Namen und Verpackung vermutet? Zugängliche Hardcore-Rundenstrategie, deren Stärken in seiner Spieltiefe stecken, und die Geduld, Zeit und vor allem viel Nachdenken belohnt. Das Ganze verpackt in einer umfangreichen, gut durchdachten sowie mit den Rundenvorgaben spannend strukturierte Kampagne und abgerundet durch einen so simplen wie intelligenten Mail-Multiplayer. Ja, es geht noch komplexer, man kann bei anderen Games tiefer in das Mikromanagement einsteigen. Ein schönes Spiel ist das hier auch nicht wirklich. Etwas mehr Abwechslung hätte auch nicht geschadet. Aber Panzer Corps bietet genau wie sein Vater im Geiste vor so langer Zeit die perfekte Balance zwischen allen Faktoren, um den Spaß an hochkomplexen Runden-Strategien schon fast massentauglich zu machen. Ein Kunststück, das nur ganz wenige in dem Genre schaffen.

Panzer Corps: Wehrmacht ist ab sofort im Laden für den PC erhältlich. Ich hab noch eins extra hier. Wer es haben möchte, der postet unten, wann sich die Wege von SSI - damaliger Entwickler von Panzer General - und dem Russo-American Mercantile das erste Mal kreuzten. Wie immer, der erste, der richtig liegt, bekommt ein Panzer Corps frei Haus.

8 / 10

Schon gelesen?

Martin Woger Avatar
Martin Woger: Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel
Verwandte Themen
PC