Paper Mario: Sticker Star - Test
Schöner als Origami aber leider noch lange nicht so komplex.
Ich bin kein Freund von 3D. Bei jedem neuen Film, der mit diesem Marketing-Feature versehen wird, flüchte ich gezielt zu einer normalen Version. Falls diese nicht existiert, verzichte ich meist komplett auf die Erfahrung. Bis auf seltene Ausnahmen wie 'Avatar' oder 'Drachenzähmen leicht gemacht' ruinierte der Effekt mein Kino-Erlebnis. Für dämliche “Zeige mit einem Objekt auf den Zuschauer”-Momente, grauenhafte Nachbearbeitungen und die Tatsache, dass ich als Brillenträger das ohnehin schon unbequeme Plastikgestell über meine Gläser ziehen muss, zahle ich ungern mehr Geld.
So kann man sich täuschen
Demnach blieb bei der Ankündigung des 3DS jegliche Euphorie in mir aus. Bei jedem Spiel stelle ich den Regler ab und zu nach oben, drehe die Kamera ein wenig und schalte den Effekt dann wieder aus, bevor meine Augen auf den Bildschirm bluten. Bei Paper Mario: Sticker Star ist es umgekehrt. Manchmal habe ich den Effekt erst bewusst wahrgenommen, nachdem ich den Bildschirm leicht drehte und somit die Darstellung verzerrte. Die Welt fühlt sich in 3D so authentisch an, dass ich das Feature als vollkommen normal empfinde.
Der Grund dafür ist recht simpel. Anstatt den 3D-Effekt auf ein Spiel und dessen Umgebung zwanghaft anzuwenden, eignet sich Paper Mario perfekt dafür. Ich wundere mich, warum Nintendo den Titel nicht schon viel eher bei Intelligent Systems in Auftrag gab, um es zum Start als Tech-Demo präsentieren zu können.
Durch die strikte Ansicht auf eine 2D-Welt, in der alles aus Papier besteht und Räumlichkeit allein durch Perspektive entsteht, erkennt ihr die Abstände zwischen Objekten wesentlich besser und fühlt die Entfernung, sobald Mario weiter nach hinten verschwindet. Da die Kamera nur selten gedreht wird und sich meist von einem Winkel aus auf das Geschehen konzentriert, wird euer Sehnerv stark entlastet. Selbst nach einer dreistündigen Session verspürte ich keinerlei Probleme. Spiele ich dagegen Ocarina of Time, bei dem die Kamera ständig durch weitläufige Arealen rotiert, schaffe ich keine zehn Minuten, ohne zum Aspirin zu greifen.
Wenn es einen Aspekt in Sticker Star gibt, den man absolut nicht kritisieren kann, ist es die Optik. Dank vielfältiger, farbenfroher Welten und einem brillant genutzten 3D-Effekt für mich das schönste Spiel auf Nintendos technischer Wunderkiste.
Richtungswechsel in 2,5D
Bevor ihr aber zum Händler des Vertrauens rennt, um den Titel zu kaufen, müssen wir noch über das Gameplay reden. Denn so wunderschön die kreativen Orte auch sein mögen, gibt es ein paar Dinge, die Veteranen der Serie stutzig machen. Denn im Kern ist Paper Mario: Sticker Star kein traditionelles Rollenspiel mehr. Ihr erhaltet keine Erfahrungspunkte, steigert keine Attribute und seht außer Mario niemals einen festen Kumpanen auf eurer Seite des Feldes kämpfen.
"Im Kern ist Paper Mario: Sticker Star kein traditionelles Rollenspiel mehr."
Stattdessen konzentrierten die Entwickler sich auf das Kernelement des Kampfes und fügten einen neuen Twist hinzu. Anstatt eure Angriffe wie in jedem anderen Rollenspiel aus einem Menü auszuwählen und für einige Attacken eine Art von Mana zu bezahlen, benutzt ihr Sticker.
Jeder Sticker besitzt eine besondere Eigenschaft. Durch manche führt Mario direkte Attacken wie Sprünge oder Hammerschläge aus, andere erzeugen Statusveränderungen oder heilen den dicklichen Klempner. Pro Zug dürft ihr ohne den Einsatz kostspieliger Boni nur einen Sticker aus eurem Inventar auswählen, der dann für immer verschwindet. Damit ihr nicht nach einer halben Stunde mit leeren Händen dasteht, könnt ihr die Klebeblätter überall an Wänden, hinter Büschen oder in Blöcken finden. Zudem lassen sie sich in Shops verkaufen, in denen ihr dann neue ersteht. Demnach wird Mario selbst nicht stärker, sondern die Sticker erhalten im Verlauf der Geschichte höhere Kräfte. Allein durch versteckte Energie-Upgrades könnt ihr eure maximale Lebensanzeige erhöhen.
Natürlich dürft ihr durch Tastenanschläge im richtigen Moment eure Offensive sowie Defensive weiterhin verstärken. Drückt ihr zum passenden Zeitpunkt den A-Knopf, nimmt Mario weniger Schaden, verteilt stärkere Schläge oder führt mehrere Sprünge aus. Jedoch ist es ohne Teamkommandos ein wenig redundant. Ich hätte mir zumindest einen Partner gewünscht, damit ich wie in Mario & Luigi: Superstar Saga kompliziertere Aktionen ausführen darf, deren perfekte Ausführung jeder Auseinandersetzung zusätzliche Tiefe verleiht.
"Die Rätsel erinnern stark an alte Adventures, und bringen all die gleichen schönen Macken mit sich."
Diese Kleinigkeit ist durch die wunderbare Präsentation mit all ihren zuckersüßen Animationen, die sich bei jedem Sticker unterschiedlich entwickeln, noch zu verkraften. Wesentlich schlimmer traf es das Balancing. Bis zu einem Boss lauft ihr ohne Probleme durch die Welt, die nun ähnlich wie in New Super Mario Bros. auf einer Oberwelt in kleinere Areale unterteilt wird, nur um euch eine dicke Portion Frust einzufangen.
Das Problem hierbei ist nicht einmal die grundlegende Stärke der opulenten Brocken, sondern ihre Schwachstellen, die sich meist nur mit einem bestimmten Sticker ausnutzen lassen. Leider sind diese Sticker seltener, teurer und nehmen mehr Platz in eurem streng limitierten Inventar ein. Falls ihr bei einem Boss den Gegenstand nicht habt, erhaltet ihr erst beim zweiten Versuch einen Hinweis und dürft euch dann vor dem dritten Anlauf auf die Suche machen. Denn die passenden Sticker befinden sich nicht immer in dem Areal, durch das ihr vor dem Endgegner gelaufen seid.
Schnitzeljagd
Gleiches gilt für die Rätsel, die stark an alte Adventures erinnern, und all die gleichen schönen Macken mit sich bringen. Für jede Lösung gibt es immer nur einen bestimmten Sticker, den ihr zwei Stunden zuvor irgendwo hättet aufsammeln sollen. Ohne Hinweis reist ihr also durch das Land und sucht nach Objekten, die ihr in Sticker verwandelt. Die Idee ist grundsätzlich nicht verkehrt. Doch wenn mir der Titel seine Logik aufzwingt und keine alternativen Möglichkeiten offen lässt, zücke ich schnell den nächsten Walkthrough, bevor meine Freundin mich weinend in der Dusche vorfindet.
Eigentlich gehören die abwechslungsreichen Umgebungen mit ihren versteckten Geheimnissen zu den größten Stärken des Spiels, doch wenn ich immer wieder zum Backtracking gezwungen werde, weil ich irgendwo ein Objekt vergessen habe, trübt es den Gesamteindruck. Das soll nicht heißen, dass ich ständig mit grimmiger Miene vor dem 3DS hocke, sondern mir nur ab und zu der Spaß verboten wird. Als hätte mich meine Mutter damals an Weihnachten vor jedem großen Geschenk eine dazu passende Schere im Haus suchen lassen, um es damit zu öffnen.
Sobald ihr aber eine dieser Hürden überwunden habt, deren Bürde sich je nach Spieler und seiner Erfahrung unterschiedlich auswirkt, verfliegt euer Zorn und ihr werdet erneut in eine Welt voller interessanter Orte und Figuren gezogen. Und die lassen kaum eine Gelegenheiten aus, euch herzhaft zum Schmunzeln oder sogar Lachen zu bringen. Schließlich sind sich alle Charaktere sind sich ihrer zweidimensionalen Situation durchaus bewusst und beschweren sich beispielsweise, dass sie wie Wäsche auf eine Leine gehängt oder acht Mal gefaltet wurden. Ein gewisser Charme, den nur Spiele wie Paper Mario zu vermitteln wissen.
Daher lege ich trotz kleiner Probleme jedem 3DS-Besitzer Paper Mario: Sticker Star ans Herz. Schiebt ohne Gefahr euren 3D-Regler nach oben und genießt das Abenteuer. Stellt euch nur darauf ein, kein traditionelles Rollenspiel zu erhalten. Sticker Star schlägt wie seine Vorgänger eine neue Richtung ein und hat allein dafür schon Applaus verdient. Selbst wenn einige Ideen nicht ins Schwarze treffen, hinterlassen sie keine zu großen Risse im Papier.