Papo & Yo - Test
Hat eigentlich noch jemand daran gezweifelt, dass Spiele auch als Ausdrucksform funktionieren?
Papo & Yo ist ein Spiel zweier Hälften. Auf inhaltlicher Ebene erlebt man hier die Flucht des misshandelten Jungen Quico in eine Traum-Favela, dem wohl einzigen Ort, an dem er die Macht hat, die Dinge zu verändern. Die "Dinge" könnte man im Großen und Ganzen auf die Abhängigkeit seines gehörnten, sanftmütigen Freundes "Monster" von giftigen Fröschen reduzieren, die ihn in eine mordslustige Bestie verwandeln. Einen flammenden Killer, der Quico - wenn er ihn denn erwischt - packt und schüttelt wie ein 60 Kilo schwerer Rottweiler ein Kaninchen.
Wer sich traut, dieses ehrlich gemeinte, autobiografische Spiel des Designers Vander Caballero über das Aufwachsen unter seinem alkoholkranken Vater allein auf seine interaktive Ebene herunterzubrechen, ohne sich dabei vom Kontext berühren zu lassen, wird dagegen nur ein kurzes Action-Adventure mit teilweise gruseliger Technik und ungenauen Sprungpassagen finden. Diese beiden Hälften kommen zugegebenermaßen nicht immer zu einem befriedigenden Ganzen zusammen, was dazu führt, das Papo & Yo seine seine beträchtliche Wirkung erst entfaltet, wenn der Abspann einsetzt. Es ist eines dieser Spiele, die im Ganzen erlebt werden müssen, und die sich mit einer Demo keinen Gefallen tun.
Es ist aber auch eines, das von seiner starken Symbolik besser lebt als die meisten anderen Titel und sie im Kleinen wie im Großen exzellent in den Spielablauf integriert. Monster ist als Zerrbild von Caballeros Vater das wichtigste Mittel, um durch diese Welt zu kommen und größter - und einziger - Feind zugleich. Wenn Quico das nüchterne Biest durch die Favela dirigiert und dieses dabei den Weg bahnt, liest der Spieler dies als die guten, lehrreichen, friedlichen Zeiten im Leben, die Caballero mit seinem Erzeuger auch gehabt haben muss - und als die Überzeugung des Jungen, seinen Vater heilen zu können, wenn er nur alles richtig macht. Sobald der Himmel sich dann verfinstert, weil der eigentlich sanfte Riese doch einen Frosch gefunden hat und jetzt buchstäblich wutentbrannt Quico nach dem Leben trachtet, ist das trotz allen Kontrasts zur ätherischen Umgebungsknoblerei noch ein erträglicheres Bild als die Szenen, die sich in in der Realität abgespielt haben müssen.
Viel Trost zieht das Spiel auch aus seinem traumartigen Szenario, in dem Caballero und sein Team von Minority einem ein paar Bilder und Rätsel bescheren, die man so noch nicht gesehen hat. Hier machen die Designer im Grunde da weiter, wo Christopher Nolan in Inception ruhig noch etwas weiter hätte gehen dürfen. Quico schleppt Pappkartons durch die Gegend, wodurch im Hintergrund vollkommen analog zu der braunen Kiste eine große Favela Blechhütte umher schwebt. Caballeros optisch wirklich verblüffende Art, den Spieler eine Brücke errichten zu lassen. Auf niedrigster Ebene ist diese Sorte Puzzle das typische "Wie komme ich von A nach B?", wie man es von Puzzle-Plattform-Abenteuern kennt. Es ist nur verpackt in einer kindlichen Unverbrauchtheit, die einen mit Leichtigkeit gefangen nimmt.
An den meisten anderen Orten signalisiert zum Beispiel eine weißlich glühende Kreidezeichnung an der Wand, dass hier ein Mechanismus versteckt ist. Dreht ihr etwa einen der gemalten Schlüssel, lasst ihr einem Haus Beine sprießen, woraufhin sich dieses an einen anderen Ort bewegt. Ab und an blickt ihr sogar "unter" oder "hinter den Level", wenn ihr Teile der Umgebung spaltet oder Streifen der Architektur anhebt, um versteckte Bereiche freizulegen. Später wachsen einer Reihe von Hütten sogar Kreideflügel. Selig flatternd stapeln sich die baufälligen Verschläge anschließend übereinander, um sich dann mithilfe eines analog verstellbaren Hebels zu einer M.C. Escher-artig verdrehten Treppe verformen zu lassen. Dass es so schwer zu beschreiben ist, sagt einiges über den verblüffenden Einfallsreichtum und die Vorstellungskraft Minoritys aus.
Die Bedienung und Technik halten da nur selten mit. Nicht immer fühlt man sich Herr der Lage, gerade wenn es an die Sprungpassagen geht, die zum Glück nicht allzu viel Präzision verlangen. Angesichts der menschenleeren Favelas ist vor allem das regelmäßig einsetzende, heftige Tearing zudem ziemlich verwunderlich, ebenso wie die Häufigkeit, mit der Monster durch solide Gegenstände hindurch clippt. Wenn Das Biest in Rage Quico nachjagt, verfällt es zudem - kurz bevor es den Jungen erreicht - auf einmal vom Sprint in ein langsameres Joggen, wobei allerdings nur dieselbe Renn-Animation etwas weniger schnell abgespult wird. Das erzeugt einen seltsamen Zeitlupen-Effekt, der wohl weniger technische Gründe hat, sondern eher aus Balance-Gründen zum Einsatz kommt. Quico, der nur zwei Geschwindigkeiten kennt und im Grunde nur fliehen kann, soll wohl nicht allzu oft von Monster malträtiert werden. Es ist eine unbefriedigende Lösung, die lange nicht so elegant ist, wie einige der coolen Rätsel, die sich Minority für dieses Abenteuer hat einfallen lassen.
Und doch verblassen diese Probleme, wenn sich Quicos melancholisches Abenteuer nach circa drei Stunden zu seinem bewegenden Höhepunkt aufschwingt. Dann sitzt man auf einmal sprachlos da, Klos im Hals, und wundert sich über die emotionale Strahlkraft dieses tapferen kleinen Spiels. Man ahnte es eine ganze Weile und ist dann trotzdem schockiert, wenn die Reise das einzige Ende nimmt, das sie nehmen konnte, während einen die fantastisch kathartische Abspannmusik aus dem Spiel spült.
Zugegeben, es hat nicht immer Spaß gemacht - durfte es das überhaupt? - und man hat nicht einmal das Gefühl, Papo & Yo noch einmal spielen zu wollen. Und doch weiß man, dass man gerade etwas erlebt hat, das dieses Medium soeben ein Stück erwachsener gemacht hat. Ein schöner Gedanke für ein Spiel, das sich selbst als Ode ans Erwachsenwerden versteht.