Pathfinder: Kingmaker - Test: Bitteschön, euer eigenes Königreich
Glaubt nur nicht, dass das einfach wird.
Isometrische Rollenspiele im Stile eines Baldur's Gate erleben nun schon seit ein paar Jahren ihren zweiten Frühling und wenn ihr auch nur ein bisschen vertraut mit der Infinity Engine seid, werdet ihr euch auch in Pathfinder: Kingmaker ziemlich schnell zu Hause fühlen. Der Titel basiert auf dem Pen-and-Paper-Rollenspiel Pathfinder, einer Art Abspaltung der Dungeons-and-Dragons-Regeln, die im Wesentlichen auf deren Version 3.5 basiert. Kennen müsst ihr diese Regeln vorab nicht, das Spiel gibt sich trotz ausufernder Komplexität Mühe, euch beizubringen, wie es funktioniert. Wie Baldur's Gate eben, oder wie die jüngeren Titel Pillars of Eternity oder Divinity: Original Sin. Fühlt euch also wie zu Hause. Und taucht tief ein.
Denn ihr könnt gefühlt Stunden im Charakter-Editor verbringen und an euren Werten herumschrauben, wobei ihr euch am Anfang mutmaßlich nicht so recht vorstellen könnt, was jeder dieser Werte macht. Zur Wahl stehen acht verschiedene Völker wie Menschen, Zwerge oder Gnome, alle mit jeweils eigenen Merkmalen, zudem könnt ihr zwischen 14 verschiedenen Klassen wählen. Die bringen natürlich bestimmte Fähigkeiten und Zaubersprüche mit, teilweise dürft ihr sogar die angebetete Gottheit und das Sternzeichen wählen und schließlich liegt es sogar in eurer Hand, ob der Protagonist Links- oder Rechtshänder ist. Und klar wählt ihr auch unter den klassischen neun D&D-Gesinnungen eine aus - von rechtschaffen gut bis chaotisch böse. Das ist überwältigend, weshalb es am Anfang nützlich sein kann, sich für eine der vorgefertigten Figuren zu entscheiden. So könnt ihr wenigstens zügig starten und lernt dann nach und nach, was all diese Werte bedeuten und wie sie sich auf das laufende Spiel auswirken.
Habt ihr die Charaktererstellung einmal hinter euch gebracht, wirft euch das Spiel allerdings ziemlich schnell in die laufende Handlung. Ihr findet euch in einem Schloss ein und erfahrt dort, dass ihr und ein paar andere Auserwählte dazu auserkoren seid, die Raublande zurückzuerobern, einen Landstrich, der aktuell von Banditen kontrolliert wird, angeführt von einem, der sich selbst Hirschkönig nennt. Ihr selbst habt nun die Chance, in diesem Landstrich Baron zu werden und ihn künftig zu regieren. So weit, so gut - ziemlich schnell, nachdem ihr erfahren habt, was überhaupt euer Auftrag ist, wird das Schloss von den Anhängern des Hirschkönigs überfallen und müsst euch euren Weg freikämpfen. Danach könnt ihr euch erstmals über die Weltkarte bewegen.
Pathfinder: Kingmaker ist kein Open-World-Spiel, es ist stattdessen in viele kleinere Schauplätze aufgeteilt. Über besagte Weltkarte bewegt ihr euch von Ort zu Ort, von Kreuzung zu Kreuzung, und entscheidet dann, welchen Ort ihr euch näher ansehen wollt. Zwischendurch trefft ihr genretypisch Anhänger, die sich eurer Party anschließen können, insgesamt umfasst sie aber höchstens sechs Helden. Standardmäßig ist darunter auch Linzi, eine Bardin, die es sich zur Aufgabe gemacht hat als eine Art Geschichtsschreiberin euer Handeln zu dokumentieren. Das verleiht vor allem den zahlreichen erklärenden Texten im Tagebuch ein bisschen mehr Leben als in anderen Spielen, immerhin stammen diese alle aus Linzis Feder. Die Texte sind allesamt gut und unterhaltsam geschrieben und das ist auch bitter nötig, denn Pathfinder: Kingmaker enthält ziemlich viel davon. Wenn ihr wirklich jede Ecke eines Raumes absucht und jeden Hinweis lest, könnt ihr schon in zwei bis drei Bildschirmen locker eine Stunde verbringen. Nötig ist das aber nicht unbedingt - die Grundzüge der Geschichte bekommt ihr auch so mit. Immer wieder wirft euch das Spiel auch in kleine Szenen, die sich spielen wie eines der alten DSA-Soloabenteuer. Soll heißen: Das Spiel erzählt euch nur via Text, was gerade passiert und ihr müsst Entscheidungen treffen sowie gegebenenfalls mit einem virtuellen W20 Proben auf eure Fertigkeiten werfen. Die Entwickler gehen so zwar hauptsächlich galant der Herausforderung aus dem Weg, innerhalb der gegebenen Engine bestimmte Szenen darzustellen, die eigentlich nicht darstellbar sind (die Gruppe bewegt sich durch einen brennenden Raum oder zieht einen Pferdewagen aus dem Fluss) - ich mochte diese Pen-and-Paper-Szenen aber trotzdem irgendwie gern, zumal sie sehr charmant geschrieben sind. Danke, Linzi!
Je länger ihr euch über die Weltkarte bewegt, desto größer wird die Chance, dass ihr in einen Kampf geratet. Nicht nur in jene, die die Geschichte vorsieht übrigens, auch Überfälle gibt es. Entweder auf offener Straße, oder nachts, wenn ihr gezwungen seid, aufgrund erschöpfter Figuren zu rasten. Kämpfe finden statt, wie ihr es in Spielen gewohnt seid, die auf der Infinity Engine fußen. Grundsätzlich läuft das Kampfgeschehen also zwar in Echtzeit, durch einen Druck auf die Leertaste könnt ihr es aber jederzeit pausieren und euren Figuren Befehle zuweisen. In welchem Maß ihr in den Kampf eingreifen müsst, das ist stark abhängig vom gewählten Schwierigkeitsgrad. Den könnt ihr nicht nur in sechs verschiedenen vordefinierten Stufen bestimmen, ihr könnt euch auch einfach euren eigenen basteln. Ein Beispiel: Wenn die Trefferpunkte einer Figur auf null absinken, wird sie bewusstlos, sinken sie aber auf einen negativen Bereich, der größer ist als die Konstitution der Figur, stirbt sie. Zur Wiederbelebung braucht es dann einen besonderen Zauber. Stirbt also jemand, kann das das Gameplay natürlich ausbremsen - mögt ihr das also nicht, stellt ihr es einfach aus, den endgültigen Tod im Kampf gibt es dann nicht mehr. Einstellen könnt ihr beispielsweise auch, ob nur jene Figuren Erfahrungspunkte erhalten, die auch im Einsatz sind oder alle automatisch mit aufsteigen.
Ich empfand es einerseits als ganz praktisch, die Spielregeln so detailliert beeinflussen zu können. Auf der anderen Seite war ich mir aber selbst nicht im Klaren, welche Anpassung jetzt eigentlich schon tumbes Cheaten ist und welche noch legitim. Und ich wurde irgendwie auch das Gefühl nicht los, dass die Entwickler damit das teilweise etwas unausgereifte Balancing korrigieren wollen. Denn während ihr noch in den ersten zwei bis drei Spielstunden die meisten Gegner auf normalem Schwierigkeitsgrad relativ problemlos von den Beinen hauen könnt, rennt ihr kurze Zeit später unerwartet in schier unbesiegbare Feinde. Die meisten davon sind für das Fortschreiten der Geschichte zunächst nicht nötig, aber sie sind eben da und können euch bei einem Fehltritt auf der Karte zumindest ausbremsen.
Das Speichersystem ist allerdings äußerst fair, ihr dürft frei speichern und außerdem selbst bestimmen, in welchen Abständen das Spiel Auto-Saves anlegt. Ich gebe aber zu, dass ich den ein oder anderen dieser übermächtigen Gegner schlicht aus Neugier besiegt habe, indem ich den Schwierigkeitsgrad herunterschraubt habe - schließlich kann man ihn anschließend auch wieder aufdrehen. Nur fällt auch bei niedriger Herausforderung auf: Eure tapferen Recken schlagen ziemlich oft daneben. Das erinnert an sehr frühe Rollenspiele und wirkt leicht lächerlich, stellt man sich die Kampfsituation nur mal in der Realität vor: Da ist diese Barbarin mit dem Riesenschwert, deren Bauchmuskeln beinahe ihre Lederrüstung sprengen und wenn sie dann auf den riesigen Monsterfrosch einschlagen soll, der gerade vor ihren Augen erschienen ist, schlägt sie daneben? Den Frosch in allen Ehren, aber so gut kann der auch wieder nicht ausweichen.
Schon in den ersten Tagen nach Release hat außerdem die Tatsache für Kritik gesorgt, dass das Spiel Zeitlimits für seine Hauptquests vorsieht. Um die Sache mit dem Hirschkönig aus der Welt zu schaffen, habt ihr beispielsweise 90 In-Game-Tage zur Verfügung. Allzu sehr unter Druck gesetzt fühlen solltet ihr euch hiervon aber nicht, denn das Zeitlimit ist recht großzügig bemessen. Ähnliche Limits gibt es auch in späteren Quests, wobei sie nicht immer dazu führen, dass das Spiel vorbei ist, wenn ihr ein bestimmtes Ziel in dieser Zeit nicht erreicht. Manchmal tickt die Zeit einfach nur bis zu einem bestimmten Ereignis herunter (ein Angriff einer feindlichen Macht oder ähnliches) und ihr habt diese Zeit, um euch darauf vorzubereiten.
Seine Stärken hat Pathfinder: Kingmaker vor allem im Kleinen, nämlich im Erforschen der Dungeons. Ihr könnt schon mal mehrere Stunden in einem solchen verbringen und das fühlt sich auf seine klassische Art doch sehr angenehm an. An jeder Ecke erzählt das Spiel kleine Geschichten. Da findet ihr etwa die Leiche von einer Naturforscherin, die letzten Endes von ihren eigenen Forschungsobjekten in der Luft zerrissen wurde. Oder ihr trefft auf einen Haufen Gnome, die von ihrem Bürgerkrieg mit anderen Gnomen berichten. Es gibt also wirklich viel zu entdecken - so viel, dass man manchmal schon fast den roten Faden vermisst. Pathfinder: Kingmaker bietet euch eine Welt, in der nicht jeder Quadratmeter dafür gebaut ist, eurem Abenteuer ein Puzzlestück hinzuzufügen, sie vermittelt stattdessen sehr glaubwürdig das Gefühl, dass ihr euch hier wirklich in einer Welt bewegt, in der sich große Teile nicht im geringsten um das scheren, was ihr macht. Ich mag das.
Und dann kommt da der Moment, an dem der Hirschkönig Geschichte ist. Das war in meinem Fall nach rund sieben Stunden Spielzeit der Fall und auf einmal wurde ich Baron der Raublande. Das hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Gameplay und es fügt eine gänzlich neue Spielebene hinzu. Ab sofort seid ihr nicht nur Abenteurer, ihr seid Politiker. Ihr sitzt also wortwörtlich auf einem Thron, umgebt euch mit Beratern und entscheidet über die Geschicke des Landes. Ihr baut Ortschaften auf und müsst dafür sorgen, dass die Bewohner eine Kneipe haben, damit ihre Moral nicht allzu sehr sinkt, eine Kaserne, damit sie wehrhaft bleiben und eine Windmühle, damit sie auch ihr Korn mahlen und sich ernähren können. Pathfinder: Kingmaker ist auch hier nicht minder komplex als in seinen Rollenspielelementen ohnehin schon.
Es gibt zehn Basiswerte für die Baronie, der ihr stets in Balance halten müsst, darunter Werte wie Treue, Armee, Wirtschaft, Religion oder Außenpolitik. Hier auszuführen, was genau welcher Wert bedeutet, würde nun wirklich zu weit führen. Verkürzt gesprochen: Ihr bekommt im Lauf der Zeit verschiedene Aufgaben gestellt, müsst beispielsweise eine Handelsdelegation empfangen, die anbietet, euch mit wertvollen Rohstoffen zu versorgen. Dazu müsst ihr aber auch etwas für sie auftreiben und mit ebendieser Aufgabe beauftragt ihr dann einen eurer Gefährten. Schafft er es, wird einer der Werte gesteigert, schafft er es nicht, sinkt er. Sinkt er auf 0 oder niedriger, kann das dazu führen, dass die Baronie komplett scheitert und das Spiel verloren ist.
Neben diesen noch relativ leichten Entscheidungen müsst ihr aber eure Siedlungen auch individuell ausbauen, ihr könnt Siedlungen in angrenzenden Landstrichen gründen und müsst dafür sorgen, dass diese ebenfalls glücklich und verteidigt sind. Den Schwierigkeitsgrad eurer Baronie könnt ihr ebenfalls anpassen - ihn sogar auf automatisch stellen. Das hat dann zur Folge, dass ihr euch um Regierungsentscheidungen überhaupt nicht mehr treffen müsst und euch das Spiel garantiert, dass eure Herrschaft niemals scheitern wird. Bestimmte Boni durch Regierungserfolge könnt ihr auf diese Weise aber auch nicht freischalten.
Das klassische Rollenspiel auf der einen, der Baronie-Manager auf der anderen Seite - beide Teile von Pathfinder: Kingmaker wären an sich großartige kleine Spiele. Sie greifen leider nur nicht ideal ineinander. Bewegt ihr euch gerade auf der Suche nach Abenteuern über die Weltkarte und werdet dann in den Thronsaal zurückgerufen, weil eine verzweifelte Bürgerin ihre Hauskatze vermisst, ist das nervtötend. Gleichzeitig bekommt ihr ein schlechtes Gefühl, wenn ihr dem Ruf nicht folgt - und zwar nicht so sehr wegen der vermissten Katze, nein, weil ihr darum fürchten müsst, dass eure Baronie-Werte flöten gehen, wenn ihr euch nicht um die Bedürfnisse der einfachen Leute kümmert. Dabei müsst ihr ohnehin schon allzu oft zurückkehren um die vielen Gegenstände zu verkaufen, die ihr auf euren Abenteuern findet und die ihr gerade nicht verwenden könnt. Erschwerend hinzu kommt, dass bei den Wanderungen über die Weltkarte automatisch relativ viel Zeit vergeht, schließlich müsst ihr auch rasten. Eure gerade zu Beginn raren Berater könnt ihr aber nur dann auf diplomatische Missionen schicken, wenn sie gerade nicht mit euch unterwegs sind, ihr müsst sie also zurück in den Thronsaal schleppen.
Wie gesagt, ihr könnt diesen ganzen Verwaltungskram auch automatisieren. Dann würdet ihr aber auf einen eigentlich eben auch spaßigen Teil des Spiels verzichten, der nur deshalb so nervig ist wie er ist, weil er den anderen Teil des Spiels stört. Die Modi sind zwei liebgewonnen Haustiere, die um Aufmerksamkeit heischen, aber so richtig kann man sich eben immer nur um eines kümmern. Ich habe letztlich keine Lösung für dieses Problem, habe aber das Baronie-Management zumindest auf einfach gestellt. Wenn ich in einem relativ großen Schauplatz gerade eine heiße Spur habe und einem lang gesuchten Feind auf der Spur bin, möchte ich diese Aufgabe einfach nicht abbrechen, weil gerade ein paar Kaufleute an meine Haustür geklopft haben. Geschichte schreibe ich in einem Spiel wie diesem lieber immer noch selbst indem ich Monster zu Brei schlage - und nicht, indem ich herumsitze und auf dem Papier Entscheidungen treffe. Aber wie gesagt, dass könnt ihr auch anders handhaben.
Pathfinder: Kingmaker ist ein sperriges Spiel. Es lockt euch zunächst mit seinen bekannten Infinity-Engine-Systemen und haut euch dann mal und mal Spielmechaniken um die Ohren, mit denen ihr so nicht gerechnet habt. Einige funktionieren gut, andere weniger und letzten Endes vermeiden die Entwickler allzu tiefgehende Kritik, indem sie entscheidende, den Schwierigkeitsgrad beeinflussende Elemente in eure Obhut legen. So kommt mir das Spiel manchmal weit mehr vor wie ein Spielplatz als wie ein Spiel, das wirklich auf die ein oder andere Art gespielt werden will. Es gibt keine festen Regeln und daran müsst ihr euch gewöhnen.
Trotzdem, das Spiel hat Charme und Klasse. Noch mehr als Original Sin oder Pillars of Eternity wirkt es wie ein Liebeslied auf die isometrischen Rollenspiele der alten Schule, fügt es doch kaum eine Komfortfunktion hinzu. Wer die Klassiker mag, wird auch Pathfinder lieben. Denn er wird lächelnd hinwegsehen über die vielen Wege, die er ins Dorf zurückgeht um Gegenstände abzulegen und simple Befehle zu erteilen, das ist man schließlich von damals gewohnt. Er wird auch den Baronie-Aufbau-Modus lieben, denn der fühlt sich auch kaum anders an als eines der alten Manager-Spiele wie die Fugger. Das hier ist ein Spiel für Retro-Liebhaber, die gerne viel lesen, komplexe Spielmechaniken in sich aufsaugen, Werte vergleichen und ihren Kühlschrank in Form von Excel-Tabellen organisieren. Gehört ihr dazu (oder wollt ihr herausfinden, ob ihr dazugehört), dann bitte: Der Hirschkönig wartet!
Entwickler/Publisher: Owlcat Games/Deep Silver - Erscheint für: PC, Mac - Preis: 39,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PC - Sprache: englische Sprachausgabe, deutsche Texte - Mikrotransaktionen: Nein
PC-Spiele testen wir auf Lenovo Legion PCs und Laptops, die uns von Lenovo zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt wurden. Hier erfahrt ihr mehr über Gaming-Laptops 2018 im Allgemeinen und hier geht es zur Website von Lenovo Legion Gaming.