Payday 2 - Test
Wer die Prinzen zitiert, fliegt!
Als im Frühjahr 2012 bekannt wurde, dass die Starbreeze Studios (die Riddick-Spiele, The Darkness, Syndicate) den Payday-The-Heist-Entwickler Overkill Software kaufen würden, kündigte es sich bereits an: Von dem kleinen Studio, das sich zu guten Teilen aus den Resten von Grin rekrutiert, würde man noch viel zu hören bekommen. Seien wir mal ehrlich, The Heist war mit seinem "Left 4 Bank"-Ansatz überaus frisch, fühlte sich aber immer ein bisschen nach einer Mod an. Zudem geriet im überbordenden, zermürbenden Endlosgeballer der wilderen Raubzugphasen oft das eigentliche Heist-Feeling unter die Räder.
Und doch war es ein Machbarkeitsnachweis für eine packende Vier-Spieler Bankraubsimulation, dem nicht nur der große Erfolg recht gab. Für den Nachfolger legt das kleine Studio nun in jedem Bereich Politur und Triple-A-Feeling nach: Das beginnt nur bei der Präsentation, die viele der Menübildschirme mit gut gefilmten Videoloops zwielichtiger "Geschäftspartner" und pumpenden Beats unterlegt. Und es endet nicht erst in der Waffenkammer, in der man jede einzelne seiner teuer erstandenen Waffen drehen, zoomen und wenden darf. Dieses Spiel sieht aufwendig und wichtig aus. Nach nur wenigen Klicks ist klar, Overkill weiß, dass es jetzt bei den großen Jungs mitspielt.
Breaking the Law
Doch auch, was das Spielerische angeht, haben sie von Starbreeze gelernt. Die Schweden sind die absoluten Meister, wenn es darum geht, eine Ego-Perspektive dynamisch packend in Szene zu setzen. Hier merkt man schon nach den ersten Schritten, wie sich der Waffenarm des Spielers mit dem Schwenk der Kamera leicht neigt, während hübsche Tiefen(un)schärfe-Effekte sich über das Bild legen. Überhaupt ist das komplette Gunplay eines der besten der letzten Zeit. Es ist schnörkellos, beinahe arcadig, hat aber je nach Waffe genau das richtige Gewicht und Tempo. Wenn dann die ersten Kugeln fliegen, erschrickt man beinahe, wie biestig jedes der Schießeisen sein Blei unter die Leute bringt. Der massive Rückstoß prügelt einem den Kolben unter ohrenbetäubendem Getöse so sehr ins Gesicht, dass man fast meint, sich eine blutige Nase zu holen. Mit diesen feuerspuckenden Bestien zu hantieren, ist eine aufregende und gefährliche Angelegenheit.
Das gilt auch für die Aufträge selbst. Vom Kunstraub über das Fertigstellen einer köchelnden Ladung Crystal Meth ('Breaking Bad' lässt grüßen) bis hin zum klassischen Bankraub sind diese deutlich breiter aufgestellt als zuvor und laufen organisierter ab. Dies regt das Quartett an Spielern stärker zur Aufgabenteilung an. Einige Brüche sind sogar mehrtägige Angelegenheiten, in denen euch jeder Tag als separate Untermission vorgesetzt wird. Habt ihr erst einmal die teuren Gemälde aus dem Museum mitgehen lassen, macht ihr euch an Tag zwei an die Übergabe, um sie am letzten Tag aus der Villa des zwielichtigen Käufers zurückzustehlen. Viele dieser kleinen und großen Verbrechen erzählen dabei fast eigene kleine Geschichten. Toll auch, dass verschiedene veränderliche Parameter den Wiederspielwert hoch halten. Wie viele Wachen sind im Laden postiert? Machen an dem Hot-Dog-Stand an der Straßenecke Streifenpolizisten Mittagspause oder nicht? Ist die Gasse zur Rückseite des Gebäudes offen oder abgezäunt? Steht ein Metalldetektor am Eingang oder nicht?
Dazu kommen veränderliche Loot-Punkte, Safes, die regelmäßig an anderen Orten vorzufinden sind und und und. Das ist besonders interessant, weil das Spiel neuerdings auch mehr zu Stealth ermutigt. Es ist beinahe die spannendste Phase des Spiels, noch ohne Maske unentdeckt die Umgebung zu untersuchen, um zu sehen, was Sache ist. Im Hinterhof des Juweliers lässt sich hier beispielsweise schon eine Wache lautlos ausschalten, während ein Kollege auf der Straße nach Passanten Ausschau hält und ein weiterer im Inneren des Juweliers darauf wartet, den Ladenwächter auszuknipsen und die Kunden auf den Boden zu beordern, bevor einer von ihnen die Polizei verständigt. Es ist unglaublich schwer, eben weil Disziplin, gute Absprache und zu guter Letzt auch angemessene Reaktionen auf veränderte Gegebenheiten vonnöten sind. Aber es motiviert auch jedes Mal aufs Neue, denn jede Minute, die verstreicht, ohne dass schwer gepanzerte Polizisten die Straße fluten, ist in diesem Spiel ein Gewinn.
Die vielen Gesichter der Payday-Gang
Ihr spart euch so einfach die eine oder andere Welle an Cops und verschafft euch selbst Zeit. Die nutzt ihr, um eure notorisch störungsanfälligen Bohrer an diversen Safes anzusetzen, herumliegenden Schmuck einzusacken und schon mal erste Sporttaschen für den Abtransport an einem günstigen Ort zu deponieren. Es ist ziemlich beachtlich, wie das Spiel mit einem Schlag die Tonart wechselt, sobald ihr auffliegt. Vom spannenden Austarieren und Sich-die-Taschen-vollmachen kippt das Ganze wie von einer gusseisernen Bratpfanne getroffen um und entlässt euch in die derbsten Straßenschlachten seit Ben Afflecks 'The Town'. Bei mehrtägigen Aufträgen kann es sogar sein, dass ihr auf der Flucht noch in einer von gut einem halben Dutzend Straßenabschnitten von den Cops gestellt werdet, bevor ihr die nächste Missionsetappe starten könnt.
"Und dann ist da ja noch die Tatsache, dass das Spiel gekonnt an eure Gier appelliert ..."
Und dann ist da ja noch die Tatsache, dass das Spiel gekonnt an eure Gier appelliert. Die Munition und eure Gesundheit gehen unweigerlich zuneige, im Laden liegen aber noch zwei schwere Sporttaschen voller Klunker. Der Fluchtwagenfahrer rutscht schon ganz nervös auf dem Hosenboden herum, während ihr abwägt, ob euch die bereits gesicherten Taschen reichen oder ob ihr noch einmal zurückkehren wollt und riskiert, den immer stärkeren Cops zum Opfer zu fallen. Und das ist grundsätzlich immer eine schwerere Entscheidung, als sich das jetzt vielleicht anhören mag. Geld und Erfahrungspunkte, die mit einem erfolgreichen Einsatz für euch abfallen, sind der Treibstoff für ein ausgefeiltes Upgrade- und Fähigkeitensystem.
Satte vier Skilltrees gibt es, die ihr alle gleichzeitig erklimmt oder auf denen ihr euch spezialisiert, wenn ihr mögt. Das liegt ganz bei euch. Da sich diese zumeist passiven Fähigkeiten nicht gegenseitig ausschließen, puzzelt ihr euch euren eigenen individuellen Charakter zusammen, der dann ziemlich genau zu eurer Spielweise passt. Nur wenn es exotisch werden soll - etwa, wenn ihr den Mechaniker nehmt, um ein gutes 15 Levelaufstiege später ein automatisches Geschütz zu den Brüchen mitzubringen - müsst ihr euch eine Weile auf einen Fertigkeitenbaum konzentrieren. Und dann ist da noch die Möglichkeit, jede einzelne Fähigkeit auf "As"-Status aufzuwerten, was das fragliche Talent noch einmal steigert. Ob es nun um physische Attribute (Sprint, Gesundheit, Tragkraft) oder Geschicklichkeit im Stealth oder bei diebischen Aktivitäten (Schlösser knacken, leiserer Bohrer) geht - die Liste ist lang und ausladend und interessant gehalten, nichts kommt einem wie Füllwerk vor.
Gleichzeitig schaltet ihr für bestandene Aufgaben im Glücksfall noch komplette neue Masken oder Einzelteile dafür frei, um eure Figur noch weiter von der breiten Masse anzuheben. Die wichtigsten Nebendarsteller im Spiel - die Waffen - kommen in Sachen Progression aber besonders gut weg. Fast jede lässt sich durch Aufsätze und andere Modifikationen in einem halben Dutzend Kategorien optimieren, neuer Kolben, längerer oder kürzerer Lauf, Schalldämpfer, Zielfernrohr, alles wirkt sich auf Stärke, Genauig- und Versteckbarkeit aus. Die einzelnen Teile müssen zwar erst für den Kauf freigeschaltet werden, was aufgrund der zufälligen Natur dieser Unlocks lange dauern kann. Aber so hält das Spiel zumindest eine ganze Weile die Notwendigkeit aufrecht, mit dem zu arbeiten, was man hat. Wenn dann das heiß ersehnte Ersatzteil doch endlich mal dabei ist, ist die Freude umso größer.
"Das bietet Spiel an dieser Stelle eine Ebene der Auseinandersetzung, mit der der moderne Klassiker Left 4 Dead nicht dienen kann."
Alles in allem bietet das Spiel an dieser Stelle eine Ebene der Auseinandersetzung, mit der der durchaus vergleichbare, endlos spannende moderne Klassiker Left 4 Dead nicht dienen kann. Der mag zwar immer noch tendenziell dank seines AI-Directors die variableren Spießrutenläufe bieten, aber das austüfteln eines eigenen Charakter-Builds, der dann entsprechend euer Spielverhalten von anderen unterscheidet, entwickelt einen ganz eigenen Sog. Und dem kann man sich nur schwer entziehen.
Natürlich, bei einem derart ambitionierten Spiel eines Studios, dessen Belegschaft gerade einmal die Hälfte der Sitzplätze eines normalen Linienbusses belegt, kann eigentlich gar nicht alles perfekt laufen. Und so legt vor allem die KI der Cops eine ... sagen wir mal 'Selbstlosigkeit' an den Tag, die ein bisschen an Tower Defense Creeps gemahnt. Dass das nicht schlimm ist, liegt daran, dass das Spiel sie euch in unerwarteten Situationen entgegen wirft und sie dank Taser, Riot-Schild oder Ganzkörperpanzerung trotzdem unterschiedlich zu bekämpfen sind.
Auch verraten die häufig etwas ungelenken Animationen, dass man es hier dann eben doch nicht mit einer Mammutproduktion zu tun hat, während einige Inneneinrichtungen hier und da etwas grobschlächtig wirken. Spielerisch hat mich hingegen nur irritiert, wie der Titel das Nachladen handhabt, da ein Sprint diesen Vorgang grundsätzlich unterbricht und ihr noch mal komplett von vorne anfangen müsst, steht ihr schon mal mit leerer Bleispritze vor dem nächsten Gegner. Ich weiß nicht, wie man es besser machen kann, aber so wie es gerade ist, fehlte mir einfach das Feedback, dass das Nachladen gerade von einer anderen Aktion überschrieben wurde.
Aber das sind Kleinigkeiten, denn Payday 2 ist ungeachtet dessen mit Abstand der motivierendste Koop-Titel, den ich seit Jahren, eigentlich seit Left 4 Dead 2, gespielt habe. Es sieht gut aus, auch wenn es eher über die Art Direction als über die Technik den Sehnerv kitzelt, und klingt vor allem in Sachen Waffen absolut fantastisch. Wer eine Uzi aus nächster Nähe in einen Gegner hält und den Abzug zieht, kommt sich vor, als würde er seinem Gegenüber einen tollwütigen Tasmanischen Teufel ins Gesicht drücken. So wild, hart und zum Glück überzeichnet geben die Waffen ihr Feedback an den Spieler weiter. Das ist es, was einen guten Shooter von einem großartigen unterscheidet.
Der neue Stealth-Ansatz verbreitert indes das Spektrum an Tonarten, die das Spiel anzuschlagen in der Lage ist, es fühlt sich in der Folge variabler und abwechslungsreicher an. Es bleibt am Ende natürlich ein derber Shooter für vier, aber der Grad an Absprache - wer macht was und vor allem wie? Wo kommen Munitionstaschen und Medizin hin? - macht jede Runde aufs Neue zu einer extrem taktischen Angelegenheit. Und wenn man doch einmal denkt, man hätte von einem der Raubzüge die Nase voll, stehen noch drei höhere Schwierigkeitsgrade Spalier, die euren Ehrgeiz kitzeln. Payday 2 ist in so vielen Bereichen eine kompletterere, ausgewachsene Version des Vorgängers, dass es ein Wunder ist, dass man es noch als Sequel erkennt. Ich habe das Gefühl, dass uns dieses Spiel noch eine ganze Weile begleiten wird.