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Perfect Dark

Die Beste macht das Licht aus

Wenn man dann eine Mission nach x Versuchen auf "Perfect Agent" geknackt hat, dann fühlt man sich tatsächlich wie dieser perfekte Agent. Ich habe allein in die ersten beiden Perfect-Agent-Missionen mindestens genauso viel Zeit gesteckt wie ich für einen Komplettdurchlauf der Modern-Warfare-2-Kampagne gebraucht habe. Und ich habe keine Minute bereut.

Das Absolvieren einer Mission fühlt sich an wie euer eigener Triumph, weil ihr euch nicht nur wie die Marionette einer unfehlbaren Einsatzleitung vorkommt, die euch an euren Fäden durch einen Schlauch von einem Level zieht. Arsenal und Gadgets geben dem Spieler häufig die Möglichkeit, selbst das Tempo und das Vorgehen zu bestimmen. Und auch die Reihenfolge der Ziele ist selten in Stein gemeißelt. Es ist vielerorts problemlos möglich, sich von hinten an Wachen anzuschleichen, um diese mit einer Handkante schlafen zu legen. Wer seine Leisetreter im Schuhschrank gelassen hat, kann natürlich auch beinahe jede Stelle, an der nicht explizit unauffälliges Verhalten gefordert wird, mit lodernden Mündungsrohren "schaffen".

Jede Waffe verfügt außerdem über einen sekundären Feuermodus. Ein Maschinengewehr lässt sich zum Beispiel als Annäherungsmine nutzen, wenn ihr vermutet, dass euch an einer Stelle ein Gegner in den Rücken fallen wird, die Laptop-Gun darf man als selbstklebendes Automatik-Geschütz an jegliche Oberfläche werfen.

Carringtons Villa ist noch immer eine architektonische Kuriosität.

Und das fliegende Auge, das per Missionsbeschreibung meistens nur im Gepäck ist, um ein Foto von irgendwas zu machen, gewährt einen sicheren Blick auf kommende Bereiche und kann auch als ferngesteuerter Türöffner/-Stopper zweckentfremdet werden. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten, Missionsziele in Perfect Dark durch seine Ausrüstung zu eleganten Enden zu führen, wenn man nur kreativ genug ist. Dadurch gebt ihr zum Großteil den Rhythmus vor, den das Spiel dann mitgehen muss. Sehr schön.

Perfect Dark ist zudem ein überaus großes Spiel. Nach der langen Kampagne warten noch zahlreiche Medaillen-Herausforderungen auf Meisterschützen. Und dann ist da ja noch der Mehrspieler-Part. Toll ist nach wie vor auch der Koop-Modus, der wie alle Multiplayer-Komponenten von den 4J-Studios (die auch Rares Banjo-Kazooie auf XBL brachten) online-kompatibel gemacht wurde. Hier darf jeder Level zusammen mit einem menschlichen Partner angegangen werden, was zwar nicht in jeder Mission hundertprozentig sinnig ist, in einigen aber sehr interessante taktische Vorgehensweisen und Arbeitsteilungen ermöglicht.

Selbst nach heutigen Maßstäben innovativ ist die Counter-Operative-Variante, in der ein Spieler wie gehabt einen Level zu lösen versucht, während der andere nach und nach in die Haut einer jeden Wache schlüpfen darf, um ihm in die Suppe zu spucken. Und dann sind da noch die Online-Gefechte mit insgesamt acht Teilnehmern. Hier ist das Matchmaking zwar nicht mit aktuellen Genre-Königen zu vergleichen, Karten, Waffen und Spielmodi sind aber immer noch einige Runden wert.

Vier-Spieler-Splitscreen im freischaltbaren Facility-Level von GoldenEye. Good Times!

Kommen wir zur Konvertierung selbst. Die ist nämlich von allererster Güte. Die Steuerung wurde gut an den zweiten Stick angepasst, auch wenn das Mitziehen des Zielkreuzes in die Blickrichtung ein bisschen so aussieht, als würde man einen Wii-Shooter steuern. Jede Textur wurde durch eine hochaufgelöste Version ersetzt und - wichtiger noch - nun flutscht das Spiel, das vor zehn Jahren noch eine der furchtbarsten Ruckel-Performances überhaupt hinlegte, in superflüssigen 60 Bildern pro Sekunde über den Bildschirm.

Die sind auch der Grund, warum das Spiel nur halb so schlecht aussieht wie es auf Screenshots rüberkommen muss. Vielmehr ist die Bildrate sogar dafür verantwortlich, dass sich Perfect Dark im Jahr 2010 um Welten besser spielt als zu dem Zeitpunkt, an dem es jegliche Wertungsrekorde für Konsolenshooter in Stücke schoss.

Viele werden den Titel trotzdem antiquiert finden und nicht über Komfort-"Probleme", wie die fehlenden Speicherpunkte und Zielmarker, oder Eigenheiten, wie die aus heutiger Sicht vielleicht etwas lächerlich anmutende, weil langsame KI, hinwegsehen können. Und das ist okay so. Für diese Leute ist das Spiel einfach nicht gemacht. Man muss schon bereit sein, sich auf ein zehn Jahre altes Spiel einzulassen. Ich für meinen Teil habe aber nicht vor, einen Klassiker für die Tatsache, dass er alt ist, auch noch zu bestrafen - vor allem nicht bei einem Preis von 800 Microsoft Punkten und dieser Güte der Umsetzung.

Perfect Dark ist der Sean Connery unter den Videospielen: Alt, sicher, aber immer noch attraktiv. Der Titel fühlt sich in vielerlei Hinsicht noch immer überraschend frisch und unverbraucht an, was vor allem an dem abwechslungsreichen Missionsdesign liegt, den Freiheiten, die man im Ablauf genießt, und dem cleveren Waffen- und Gadget-Einsatz, den man in dieser Form schon ewig nicht mehr erlebt hat. In Zeiten, in denen sich die "Missionen" der meisten Ego-Shooter darin erschöpfen, sich von einem GPS-Marker zum nächsten zu schießen und am Zielort die Aktionstaste zu drücken, wirkt Perfect Dark noch immer so clever und fortschrittlich wie im Jahr 2000.

Perfect Dark ist zum Preis von 800 Microsoft Punkten auf dem Xbox Live Marktplatz erhältlich.

9 / 10

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Alexander Bohn-Elias Avatar
Alexander Bohn-Elias: Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

Informationen zu unserer Test-Philosophie findest du unter "So testen wir".

In diesem artikel

Perfect Dark

Xbox Series X/S, Xbox 360, PC

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