PES 2010
Alte Liebe...
Ein Spiel, das es fertig bringt, mich trotz meines rosigen Teints derart alt aussehen zu lassen, kann kein schlechtes sein: Mein Verteidiger läuft auf Manchesters Stürmer-Star Wayne Rooney zu. Ich grätsche, eine Millisekunde zu früh, und der britische Bulldozer verlangsamt seinen Lauf einen Tick. Anstatt aber um meinen liegenden Spieler herumzulaufen, lupft das Schlitzohr den Ball über den düpierten Abwehrchef hinweg und holt ihn sich auf der anderen Seite wieder ab. Eine Glanztat meines Keepers verhinderte zwar den Rückstand, dieses Kabinettstückchen zeigt aber, welche Überraschungen die PES-KI noch nach mehreren hundert Spielen in petto hat - und warum die Konami-Reihe lange Zeit die Referenz in Sachen Fußball war.
Die beschriebene Szene stammt aus PES 2009, der vielgescholtenen Vizemeister-Ausgabe des letzten Jahres - meiner Meinung nach der am sträflichsten unterbewertetste Teil der Reihe. Aber was soll man machen? Wie mit altbekannten Tugenden glänzen, wenn die Konkurrenz gleich ein halbes Dutzend neue entdeckt? Auch wenn PES 2009 also für sich genommen alles andere als ein Rückschritt im Vergleich zum Tempo-besoffenen 2008er war, so musste man doch gestehen, dass sich FIFA 2009 irgendwie freier, moderner und analoger anfühlte.
Ohne lange um den großen Brei herumzureden: Letzteres ist auch mit den 2010er-Ausgaben beider Titel noch immer der Fall. Allerdings wird mit PES 2010 deutlicher als je zuvor, dass die Entscheidung für eines von beiden Fußballspielen immer mehr zur Geschmacksfrage wird anstatt von binären Unterschieden in der Qualität abzuhängen. Jemand, der wie ich zunächst etwas zähneknirschend, dann aber mit wachsender Begeisterung FIFA 10 gespielt hat, um dann die finale Version des neuen Pro Evo zu testen, stellt auf Anhieb fest, dass es sich um zwei grundverschiedene Arten von Fußballspielen handelt.
Bevor ich FIFA 10 gespielt hatte, kam mir die Vorschau-Fassung von PES 2010 wie die überfällige Rückkehr zu den Simulations-Wurzeln der Serie vor. Das Tempo war im Vergleich zum Vorgänger gedrosselt, Dribbel-Soli nicht mehr so wirksam und der Ball deutlich schwerer. Und auch Seabass' Aussagen in unserem Interview unterstreichen den realistischeren Ansatz. Wenn man aber direkt aus fast drei Wochen FIFA-Praxis kommt, schießt einem das flinke Gekicke vom Platz aus förmlich den „Spaßfußball“ ins Gesicht. Es greifen immer noch die gewohnten PES-Automatismen, die die Mitspieler die meiste Zeit wie auf Schienen über den Rasen zischen lassen und die Pässe legen wie an der Schnur gezogen auch größere Distanzen zurück.
Das fühlt sich insgesamt sicherlich alles andere als modern an (wenn auch besser als die „Auto-Einstellungen“ von FIFA 10, das meiner Meinung erst auf „Semi“ seine Qualitäten entfalten kann), ist aber eben auch immer noch sofort und ohne große Probleme fix und schnörkellos spielbar. So ist es ironischerweise der direkte Vergleich mit dem von der Presse verdientermaßen mit Lob überschütteten Konkurrenten, der die Stärken von PES 2010 besonders hervorhebt: Im Gegensatz zum überrealistischen FIFA 10, mit seiner behäbigeren, abwartenden Gangart, all seinen Funktionen, Möglichkeiten, Doppelbelegungen und Wechseln von den Buttons auf den rechten Stick, reduziert Konamis Fußballsimulation den Sport auf das Wesentliche.
Im Vergleich zur Demo, die seit einigen Wochen erhältlich ist (und im Übrigen auch im Gegensatz zur der Vorschau-Fassung, anhand derer mein letzter Artikel entstanden ist), spielt sich das finale Produkt wesentlich flüssiger: Die Schüsse und vor allem die Pässe kommen nun mit deutlich geringerer Verzögerung aus dem Fußgelenk. Und die Übergänge zwischen einzelnen Animationen, besonders bei Schussfinten und Ballannahmen, sind nun deutlich eleganter. Das Resultat: Ein schnelles, direktes Fußballspiel, bei dem man ohne große Umwege befriedigende Ergebnisse erzielt. Flanken, Fernschüsse, Stochertore im 16er sind allesamt machbar und passieren in einem gefühlt richtigen Anteil.