PES 2014 - Neue Engine, neuer Anfang, neue Tugenden?
Gehen die Neuerungen, die die Fox-Engine erlaubt, weit genug?
Wie viele Jahre haben die Fans von Pro Evo nach einer neuen Engine geschrien? Lange, vielleicht schon, seit die Jahreszahlen Einzug in den Titel hielten. Zu eingefahren erschienen besonders den Vielspielern, die jede neue Jahresausgabe mehrere Hundert Stunden genießen, gewisse Mechanismen, mit einigen der weniger gut gelungenen Animationen war man schon per Du. Und trotz vieler jährlicher Verbesserungen schlug die Vertrautheit mit den Mätzchen und Eigenheiten der Serie so langsam in eine ungute Richtung um.
Theorie und Praxis
Seit Naoya Hatsumi auf der letzten gamescom verriet, dass die 2014er-Ausgabe auf der opulenten Fox-Engine beruhen werde, war demzufolge die Aufregung in der Community groß. Das klang nach Fortschritt und Next-Gen. Aus Letzterem wurde nun bekanntlich leider nichts - die Flaggschiff-Ausgabe des Spiels erscheint lediglich für Current-Gen Konsolen, allerdings lässt die PC-Version grafisch hoffen - und die inhaltlich recht spärlich ausgestattete Vorschauversion (vier Teams, nur Freundschaftsspiele) bestätigt nur, dass die grafische Revolution trotz potenter Engine zunächst vertagt wurde.
Der E3-Trailer versprach beängstigend authentische Spieler-Gesichter und knackscharfe Grafik. In der 720p-Spielpraxis und mit einem nicht gerade berühmten Antialiasing sieht das aber leider wieder anders aus. Und mit 'anders' meine ich, 'beinahe so, wie man von einem PES erwarten würde, dass es aussieht'. Nach einem kompletten Tausch weiter Teile der Technik hat das in jedem Fall auch etwas Beeindruckendes, dass das Spiel sich seine visuelle Identität bewahrte. Aber das große 'Wow!' bleibt aus. Nicht dass ich es auf der 360 noch erwartet hätte, aber das einmal mehr ziemlich pixelige Publikum und die aus mittlerer Distanz doch ziemlich matschigen Zombieaugen der Spieler erinnern einen stets daran, dass sich Pro-Evo-Fans die nächsten 12 Monate bis zur 2015er-Version noch die Current Gen ans Bein binden.
All das tut allerdings der Freude keinen Abbruch, dieses neue PES das erste Mal in Aktion zu erleben, denn da, wo es zählt - in Bewegung - ist das Spiel tatsächlich ein sichtbarer Schritt nach vorne. Die Gesichter der Spieler mögen zwar noch nicht da sein, wo sie hinsollten, aber in ihren Bewegungen und ihrem Verhalten sind zumindest die Akteure dieser vier Teams (Deutschland, Italien, Bayern, Santos FC) sofort zu identifizieren. Mein liebster Moment: Als im Klassiker *hust* Deutschland - Bayern München Bayerns Neuer einen steil und hoch hereinkommenden Ball unterschätzt, dem Miroslav Klose hinterherjagt wie ein Bluthund, entsteht ein Tor, wie es nur der altehrwührdige Goalgetter der Deutschen Nationalmannschaft über die Linie würgen kann.
Neuer läuft dem hohen Leder nicht weit genug entgegen. Bevor er es erreicht, setzt es vor ihm auf und überspringt ihn. Er reagiert gerade noch rechtzeitig, sprintet zurück. Klose rückt samt Verteidigertross näher, doch der Keeper kann den Ball noch mit einer Hand in die Gegenrichtung und vom Tor weg befördern. Eine Millisekunde später bekommt Klose aber aus vollem Lauf und halb im Fallen über den liegenden Torwart noch irgendein Körperteil an die Kulle und erzielt so das 1:0.
Es war ein herrlich typisches Tor, das viel Gutes über die KI und die Berücksichtigung der tatsächlichen Spieler-Identitäten zu sagen hat. Das gilt nicht nur für Stürmer, die den vermeintlich höchsten Wiedererkennungswert haben. Einen Hummels, der von hinten heraus für seine Statur doch recht elegante Spielmacherqualitäten entwickelt, spürt man gerade im Kontrast mit dem staksigen Mertesacker im Nu auf. Selbst zwei schnelle Dribbler-Typen wie Reus und Götze hält man problemlos schon anhand des Steuerungsfeedbacks auseinander, während ein eckiger Wühler wie der Müller sich seine täuschende Schlaksigkeit auch in digitaler Form beängstigend gut bewahrt hat. Es war schon immer eine Stärke der PES Productions, die Spieler ihren realen Vorbildern nachzuempfinden, aber dieses Jahr haben sie wirklich den Vogel abgeschossen.
"Nimm du ihn, ich hab' ihn sicher!"
"Überhaupt ist es schön anzusehen, wie die ganze Mannschaft sich bewegt und verschiebt, sowohl gegen als auch mit dem Ball."
Überhaupt ist es schön anzusehen, wie die ganze Mannschaft sich bewegt und verschiebt, sowohl gegen als auch mit dem Ball. Die neue Spielerphysik sorgt zwar immer noch für Kollisionen, die man manchmal nicht nachvollziehen kann und die meist ziemlich gute Verständigung der Mannschaftskameraden untereinander führt zu Situationen, in denen sich mal wieder keiner von zwei nah beieinanderstehenden Verteidigern für einen freien Ball oder einen startenden Gegner zuständig fühlt. Aber das sind Dinge, die sich bis zur Veröffentlichung noch ändern können und zu guten Teilen auch noch werden. Tatsächlich gibt es nur wenige Spiele, die sich von der Vorschaufassung bis hin zum fertigen Produkt im Spielerischen so sehr verändern wie Pro Evo. Tempo, Ballverhalten und KI werden gerade in den letzten zwei Monaten vor dem Erscheinen dermaßen überarbeitet, dass man manchmal meinen könnte, es mit einem anderen Spiel zu tun zu haben.
Steuerungstechnisch musste ich mich ein wenig umgewöhnen. Es liegt zwar alles noch in etwa dort, wo es auch im letzten Jahr war, aber einige zusätzliche Optionen in Sachen Verteidigung und auch im Abschluss bedeuten, dass hier und da zusätzliche die Kommandos etwa um Nuancen ergänzt wurden, die höhere Kontrolle ermöglichen. Nach einem Schuss die Y-Taste zu betätigen, drückt den Ball zum Beispiel in eine flache Flugbahn, während in der Defensive ein zweifaches Antippen von X dazu führt, dass mehrere Verteidiger den ballführenden Spieler umringen. Das Spiel ist voll von kleinen, aber feinen Ergänzungen, die recht zügig ins Blut übergehen, kann dabei aber selbst mit nur fünf Tasten noch vollends genossen werden. Was sich ebenfalls in exzellenter Form präsentiert, ist der Spielfluss. Einwürfe werden nun direkt und ohne Unterbrechung ausgeführt, sodass der Vorteil eines schnellen Konters nicht immer komplett verloren geht, wenn ein Gegner den Ball bei einem Gegenstoß noch ins Aus spitzelte. Darauf mussten PES-Fans vielleicht ein bisschen zu lange warten.
Was habe ich vergessen? Ach ja. Die Präsentation bleibt scheinbar weiterhin ein wenig trocken, was mich noch nie so wirklich gestört hat, der Kommentar stößt dem Anschein nach keine neuen Türen auf und die Musik sowie Menüführung sind aktuell noch unverändert furchtbar. Letzteres führe ich zwar hauptsächlich darauf zurück, dass mein Spiel vom notorisch langsamen Disc-Laufwerk der Debug-Konsole eingelesen wurde, aber auch die Struktur im Aufstellungsmenü ist mal wieder ein bisschen zu verschachtelt und versteckt ohne Grund wichtige Infos wie Form und Spielerstärke hinter einem weiteren Click. Damit kann man leben und es ist ein kleiner Preis, wenn das Spiel sich weiterhin so stimmig entwickelt.
Denn das ist, neben der Erkenntnis, dass eine neue Engine nicht gleichzeitig auch eine blendende Grafik bedingt, der zentrale Gedanke, den ich aus meinem Erstkontakt mit PES 2014 mitnehme: Die Weichen für modernen Videospiele-Fußball, der in alle Richtungen gleich mühelos funktioniert, sind gestellt. Spielerisch gefiel mir fast ausnahmslos, was ich sah, ohne dabei jetzt genau mit dem Finger auf das eine Feature zeigen zu können, das den Ausschlag dafür gab, dass sich das Spiel zugleich so frisch und doch so sehr nach Pro Evo anfühlte. Trotz vieler Änderungen unter der Haube - den Herz-Wert, der zusätzlich zur Tagesform das Spielerverhalten beeinflusst, kann man in bedeutungslosen Einzelspielen nicht wirklich auf die Probe stellen - bleibt PES 2014 ein aufregendes, charakterstarkes Fußballspiel. Und das ist endlich wieder die Sorte Vertrautheit, die man gerne spürt.