Phoenix Point und Julian Gollops Rückkehr zu seinen Wurzeln:
Im Gespräch mit Gollop über sein neuestes Projekt.
Im Jahr 1994 veröffentlichten Julian Gollop und Mythos Games ein Spiel, das bis zum heutigen Tag zu einem meiner Lieblingsspiele zählt. Ich weiß nicht mehr, ob ich im Vorfeld viel von UFO: Enemy Unknown - X-COM: UFO Defense in Nordamerika - gelesen hatte oder ob es ein Spontankauf war. Was ich weiß, ist, dass es mich für lange Zeit fesselte. Es ist ein zeitloses Spielprinzip. Einfach zu verstehen, schwierig zu meistern. Immer am Ball bleiben, keine Fehler machen und den Aliens einen Schritt voraus sein. Das ist immer aufs Neue spannend und fesselnd.
Ein Erfolgsrezept, das mehrere Fortsetzungen nach sich zog und vor einigen Jahren mit Firaxis' XCOM-Reboot erneut Anklang fand. Unabhängig davon arbeitet X-COM-Schöpfer Julian Gollop mit Phoenix Point an einer eigenen Art von Reboot. Kein offizielles Sequel, mehr ein Nachfolger im Geiste und ein Aufgreifen alter Ideen. "Ich wollte immer zum X-COM-Konzept zurückkehren und habe zuvor mehrere Versuche unternommen", erzählt mir Gollop.
"In Wahrheit basieren einige der Konzepte von Phoenix Point auf einem Spiel namens Dreamland Chronicles: Freedom Ridge, an dem ich 1999 arbeitete", fügt er hinzu. "Unser Publisher stellte das Spiel ein und ich war gezwungen, Mythos Games im Jahr 2000 abzuwickeln. Es gibt zugleich einige nicht zu Ende gedachte Ideen aus X-COM: Apocalypse, die ich mir näher anschaute. Im Grunde reichen die Wurzeln von Phoenix Point bis weit in die Vergangenheit."
Um die Entwicklung zu finanzieren, setzten Gollop und sein neues Studio Snapshot Games auf die Crowdfunding-Plattform Fig. Mit nahezu 766.000 Dollar von mehr als 10.000 Unterstützern war das Projekt dort erfolgreich. Was für Fig sprach, war die Fokussierung auf Videospiele. "Kickstarter ist gewaltig und zugleich so groß, dass dein Projekt Gefahr läuft, in der Menge unterzugehen", sagt er. "Fig ist ein kuratiertes System und wir profitierten enorm von ihrer Werbung für Phoenix Point. Es gibt darüber hinaus ein interessantes Investitionssystem, mit dem Leute 'Anteile' an dem Projekt kaufen und damit später eine potentielle Rendite erhalten, wenn das Spiel erscheint. Es ist eine nette Idee und knapp die Hälfte unseres Crowdfunding-Geldes kam auf diese Art und Weise zusammen."
Ob bei der Zusammenarbeit mit einem Publisher oder bei der Eigenfinanzierung per Crowdfunding, der Druck sei in beiden Fällen hoch. "Ja, du hast ohne Publisher mehr kreativen Freiheiten", erläutert Gollop. "Gleichzeitig ist es wichtig, die Versprechen der Crowdfunding-Kampagne einzuhalten und die häufig hohen Erwartungen deiner Unterstützer zu erfüllen. Wählst du den Crowdfunding-Weg, sind deine Ressourcen strikt limitiert. Ein Publisher hat mehr Reserven und ist in der Lage, mehr Geld in dein Projekt zu investieren, wenn es gut läuft. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sie es komplett einstellen, wenn es nicht gut läuft."
Crowdfunding biete neben der kreativen Freiheit weitere Vorteile. Durch das Vorgängerprojekt Chaos Reborn habe das Studio gelernt, eine Idee zu verkaufen und mehr Leute damit anzusprechen. "Und wir lernten eine Menge über Unity 3D", merkt er an. "Die wichtigste Lektion war, dass die Backer-Community eine wichtige Ressource und ein ebenso wichtiges Feedback-System darstellt. Zu diesem Zweck stellten wir einen Community Manager ein, produzierten nach und nach Updates, Geschichten über das Spiel und Backer-Builds." Als schwierigsten Part des Designs von Phoenix Point bezeichnet Gollop das Finden der richtigen Balance im Hinblick darauf, Spieler des ursprünglichen X-COM und neue Spieler gleichermaßen anzusprechen.
Ein Unterschied zum Original sind zum Beispiel die KI-gesteuerten Fraktionen, die ihren eigenen Agenden folgen. Jede dieser Partien hat ihre eigene potentielle Lösung für die Bedrohung durch die Außerirdischen. Sie haben individuelle Ideologien, Methoden und Technologien. Und dabei stehen sie gegenseitig im Konflikt miteinander. Das macht die Zusammenarbeit mit ihnen nicht einfach. Alle von ihnen sind nicht unter einen Hut zu bringen, am Ende komme es darauf an, sich für eine Seite zu entscheiden.
Gleichzeitig nutzt das Spiel ein Fallout-ähnliches System zum Anvisieren einzelner Körperteile. Es ist nicht zwingend bei jedem Schuss erforderlich, der Einsatz sei je nach Situation sinnvoll oder nicht. "Wenn deine Waffe ungenau ist oder das Ziel sich in großer Entfernung befindet, spielt es keine große Rolle", erläutert Gollop. "Feure dann einfach auf die normale Art. Wenn sich die Möglichkeit bietet, ein spezifisches Körperteil unwirksam zu machen und damit eine Gefahr auszuschalten, ist es für gewöhnlich eine gute Taktik. Nehmen wir zum Beispiel einen Crabman, der sich hinter seinem Schild versteckt. Sein Scherenarm für den Angriff, ein Schwachpunkt, liegt unter Umständen frei. Machst du den Arm unschädlich, wäre es ihm nicht möglich, dich mit dieser Mutation anzugreifen."
Es lohnt sich, Gollops Rat zu befolgen. Beim Anspielen der aktuellen Backer-Build zeigen sich die Aliens aggressiv und stürmen als Nahkämpfer auf euch zu. Schießt ihr nicht rechtzeitig ihre Angriffsarme zu Brei, riskiert ihr nicht alleine die Gesundheit eurer Soldaten, wenn sie ihnen zu nahe kommen. Den Invasoren ist es ebenso möglich, die Waffen eurer Elitetruppe zu beschädigen. Und wer möchte einem außerirdischen Angriffskommando mit heruntergelassenen Hosen gegenüberstehen? Niemand.
Mutationen sind ein ebenso wichtiger Bestandteil des Spiels. Durch Zufallselemente mutieren Feinde und passen sich so dem Spielstil und den Technologien des Spielers an. Das Spiel erstellt neue Mutationen zufällig aus einer Reihe vorhandener Mutationen. Dabei achte das dafür zuständige System darauf, keine Mutationen erneut aufzugreifen, die sich im Kampf gegen den Spieler als schwach erwiesen. "Der Stärkere überlebt und auf Basis dessen generiert das Spiel Mutationen, die effektiv gegen dich sind", erklärt er. "Natürlich ist es möglich, deine Strategie anzupassen und diese einzelne Mutation ineffektiv zu machen. Das System verwirft sie dann zugunsten einer neuen Mutation."
Ist es da nicht schwierig, die richtige Balance zu finden? "Die Balance ergibt sich daraus, dass die Aliens ihre Mutationen nach einer Niederlage verändern", fügt Gollop hinzu. "Nach einem Sieg nutzen sie die erfolgreiche Mutation weiter. Auf diese Art und Weise erhält der Spieler Zeit, eine Gegenstrategie zu entwickeln."
Im Gegensatz zu den modernen XCOM-Spielen sind in Phoenix Point bis zu 16 Soldaten unterwegs. Das erinnert an frühere X-COM-Zeiten, in denen die Squads größer waren. Gollop sagt aber, dass eine solche Zahl an Soldaten im Einsatz eher eine "Ausnahmesituation" sei, zum Beispiel während eines Angriffs auf eine Basis. "Der Spieler hat die Möglichkeit, mehr Soldaten in den Einsatz zu schicken als in den modernen XCOM-Spielen", merkt er an. "Er ist dabei auf das verfügbare Personal beschränkt, das zu dem Zeitpunkt vorhanden ist."
Alle Fäden laufen auf dem Geoscape zusammen. Ihr seht eine Weltkarte voller möglicher Einsatzziele und fliegt mit eurem Transporter durch die Gegend, um euch das alles anzuschauen. Dabei entdeckt ihr Rückzugsorte anderer Fraktionen, Alien-Nester oder neue Basen, die zum Beispiel euren Einflussbereich erweitern. "Er spielt aufgrund der Erkundung, Diplomatie und Rohstoffverwaltung eine große Rolle, vieles davon ist prozedural generiert", erläutert Gollop. "Es gibt viel mehr Interaktionen mit anderen Organisationen und Fraktionen, die unabhängig von den Entscheidungen des Spielers ihren eigenen Agenden nachgehen. Die Strategie-Ebene ist mit Sicherheit umfangreicher als in den XCOM-Spielen."
Wie unter anderem im allerersten X-COM kehren in Phoenix Point die Aktionspunkte zurück - ein System, das in den moderneren Vertretern der Reihe vereinfacht umgesetzt wurde. Die Entscheidung, sie zurückzubringen, traf das Studio aus diesem Grund. "Es ist wichtig, weil es den unsicheren Spielern in Bezug auf ihre Bewegungen ermöglicht, in kürzeren Schritten vorzustoßen", erzählt er. "Ein selbstsicherer Spieler hat die Möglichkeit, längere Abschnitte zu absolvieren. Wenn du das tust, unterbricht das Spiel deine Bewegung, wenn der Soldat einen Gegner entdeckt. Für den Spieler ist dieses System weniger einschränkend. XCOM hat es so vereinfacht, dass jeder Soldat zwei Aktionen hat. Diese Entscheidungen waren sehr schwierig und konnten zu schweren Fehlern führen. Das ist der Grund, warum wir sie zurückbringen."
Ein weiteres Element, das Gollop und sein Team aus frühen X-COM-Tagen aufgreifen, sind die zerstörbaren Umgebungen. Wer das Original gespielt hat, weiß, dass nach einem harten Kampf am Ende zum Teil ganze Dörfer oder Stadtteile in Schutt und Asche lagen. Und in einem früheren Backer-Build von Phoenix Point marschierte ein riesiger Bossgegner durch die Straßen und machte dabei so alles platt, was ihm im Weg stand. "Es spielt eine wichtige Rolle, weil es die Taktik während eines Gefechts dramatisch verändert", sagt er. "Vor allem, wenn ein großer Gegner auftaucht. Zugleich fließen andere Erwägungen mit ein. Verteidigst du einen Zufluchtsort, möchtest du nicht, dass alles zerstört wird. Du versuchst die dortigen Einrichtungen zu schützen. Bei Verteidigungsmissionen gehen die Angreifer auch aktiv gegen spezielle Teile eurer Basis vor und möchten diese zerstören."
Das alles klingt nach klassischem X-COM und - nach dem bisher von mir gespielten Material zu urteilen - geht spielerisch in exakt diese Richtung. Wer sich danach sehnt, behält Phoenix Point am besten im Auge. Wie die öffentlich einsehbare Roadmap zeigt, haben die Entwickler noch ein gutes Stück Arbeit vor sich. Aktuell ist die Veröffentlichung für Juni 2019 geplant. Wie das Team anmerkt, könne sich dies noch ändern.