Pikmin 3 Deluxe - Test: Naturverbunden auf der Switch gelandet
Muss töten. Muss schleppen. Muss folgen.
Nach allen Wii-U-Spielen, die Nintendo seit Jahren milde gelangweilt wirkend in Richtung Switch umtopft, sieht sich Pikmin 3 endlich einem Publikum von hundert Milliarden Switch-Nutzern ausgesetzt. Das war nicht immer so. Früher, in den weniger besuchten Habitaten Gamecube und Wii U, waren die kindlichen Hau-ruck-Männekens bestenfalls ein Festmahl für Raubkäfer und Genießer eines experimentierfreudigen Nintendo. Seit dem N64, vor allem aber mit dem Gamecube ging es den Entwicklern um die Bewegungs- und Gestaltungsmöglichkeiten im dreidimensionalen Raum und das Herrichten kompakter Levelschaukästen. Denkt an Luigi's Mansion, Metroid Prime, praktisch jedes 3D-Mario seit Sunshine, später Captain Toad oder Splatoon. Man möchte hineinfassen in diese Welten.
Und dann hätten wir Pikmin, systematisch am ehesten Echtzeitstrategie über eine Gruppe däumlingsgroßer Raumreisender, die mithilfe der titelgebenden Spezies einen fremden Planeten erkunden und Früchte bergen muss. Warum? Das ist im Grunde egal. Nintendo hegte selten Interesse an sonderlich viel Hintergründigem, um mehr als den bloßen Handlungsbedarf einfach gestrickter Protagonisten zu rechtfertigen. So funktionieren ihre meisten Spiele nun mal, auf der handwerklichen, anpackenden Ebene. Sie müssen sich griffig anfühlen und spielmechanisch selbst tragen, bis zum Abspann mit möglichst wenig Wiederholung, Routine und Grind.
Pikmin 3 gelingt das an der Oberfläche mit üppig naturdekorierten Biomen samt Käfern in Dinogröße und Blumenstängeln wie Baumstämme. Überragt von sonnengelbem Löwenzahn und gerade mal stiefelhohen Felsvorsprüngen erkundet ihr einen Mikrokosmos mit Kirschen und Pfirsichen so prall wie Medizinbälle. Tag für Tag baut ihr Brücken aus Scherbenhaufen, reißt Mauern nieder und entdeckt neue Obstsorten hinter Wasserfällen eines scheinbar unerreichbaren Plateaus, vor dem ein schwebender Kugelfisch seine Bahnen zieht.
Anders als die winzigen Schergen steuert ihr nur die drei Schiffbrüchigen direkt, erst einen, später alle abwechselnd. Die wie Rüben aus dem Boden wachsenden Pikmin sind Beschaffungswerkzeug und letztlich entbehrliches Mittel zum Zweck, je nach Situation entweder Packesel oder Bauernopfer. Die Frage der Menge und Zusammenstellung ist eine der Kapazitäten und des gewünschten Einsatzes: ein überschaubarer Erkundungstrupp für die nächste Ecke, zum Wegschleppen einer Orange, oder eine mittelschwere Armee gegen den nächsten Bossgegner, der nicht mehr tut, als sein kleines Revier zu verteidigen.
Körperlich haben die Raumpiloten wenig zu befürchten (zumindest im normalen der drei Schwierigkeitsgrade) und reichen die Verletzlichkeit ebenso wie die eigentliche Tatkraft an ihre Schergen weiter. Verspeiste oder anderweitig dahingeraffte Pikmin lassen sich unendlich "nachproduzieren". Gehen ein paar auf freiem Feld verloren, könnt ihr sie neuerdings mit einem Signal direkt zur Basis zurückrufen. Oder sie im Abendrot, wenn ein Countdown die letzten Züge des Tages einläutet, von Käfern fressen lassen. Ein herzzerreißender Moment.
Anders als im auf 30 In-Game-Tage begrenzten ersten Teil, den man am Ende nach allen Mühen "verlieren" konnte, verkneift sich Nintendo allzu starken Druck. Jeden Tag verputzt die Crew eine Ration gefundener Früchte, von denen pro Abschnitt so viele in teils so dichtem Abstand zu finden sind, dass man sich schon sehr ungeschickt oder trödelig anstellen müsste, mit dem Nachschub ins Hintertreffen zu geraten. Vor dem Finale hatte ich über 40 Tagesrationen auf der hohen Kante. Obwohl ein In-Game-Tag nur fünfzehn Minuten dauert, bleibt das Geschehen weitestgehend entschleunigt. Es suggeriert allenfalls eine Dringlichkeit, die bei normalem Spieltempo kein Thema sein sollte.
Drei gleichberechtigt handelnde Protagonisten und fünf spezialisierte Pikmin-Arten stellen das sicher. Jeder Anführer kann Pikmin ausströmen lassen, sie heranpfeifen (auf Switch mit deutlich größerem Pfeifradius), gruppieren oder Gegnern auf den Nacken werfen. Die meisten Kreaturen sind mit Kulleraugen und überlebensgroßen Körperproportionen so knuffsüßhihi, man fühlt sich richtig zerstörerisch, mit einem Mob um sich prügelnder Schergen zum Angriff zu tröten. Dann wiederum kreucht im Nintendo-Kosmos wenig Erschreckenderes als ein bildschirmfüllender Sandwurm, der die Kleinen im Dutzend frisst, oder diese zähen, an japanische Horrormädels erinnernden Riesenspinnen. Das Spiel strotzt vor pervertiertem Gestaltungsreichtum, aber nicht ohne den Nintendo-Touch der Verniedlichung. Es gibt Kaulquappen, Frösche, feuerspeiende Rüsselschweine, Flammenschnecken, Zwiebelkrabben, Raubblätter, viel Altbekanntes, viel Neues, Aufgeplustertes, Schwimmendes, Fliegendes. Ein beschauliches Ökosystem, durch das man manchmal ein bisschen beschämt marodiert.
Pikmin 3 ist selten ein hektisches Spiel mit Kämpfen an mehreren Fronten - außer ihr wollt es so. Zur Not verteilt der Switch-exklusive Splitscreen-Koop-Modus die Aufgabenlast auf zwei Spieler. Für Einzelspieler betont es den Anführerwechsel stärker als der zweite Teil, nutzt ihn für kleinere Postitionsrätsel und verwehrt den Zugang zu bestimmten Gebieten, solange euch nicht einer oder beide Crewkollegen begleiten. Oft geht es zurück in besuchte Abschnitte, nachdem ihr eine neue Pikmin-Art gefunden habt, es von der anderen, vorher unerreichbaren Seite probieren und erkunden, erkunden, erkunden. Ausprobieren, was mit den verfügbaren Mitteln machbar ist, welche Mauer zu hoch, welches Gewässer zu tief. Im Kern ist es das Aufbrechen räumlicher Gegebenheiten in eine Abfolge einfacher Arbeitsschritte, während ihr allmählich Vorgärten mit einem gewaltbereiten Schlägertrupp umgrabt.
Gartenameisen im Nichtvideospielleben (der Legende nach Miyamotos Inspiration fürs erste Pikmin) machen sich in ihrem natürlichen Treiben genauso über Maden und Raupen her, verbeißen sich in Gliedmaßen weit größerer Fressfeinde und bringen sie übermächtig zu Fall - vieles davon findet man in Pikmin 3. Wir alle kennen die reale Welt und ihre Beschaffenheit, Wurzeln, Zäune und knöchelhohes Wasser, aber in der bodennahen Perspektive und aus der Sicht der zentimeterkleinen Crew wirkt all das wie unüberwindbare Hürden und uralte Rätsel.
Hindernisse, natürlicher oder künstlicher Natur, sind der Messstein für euren Fortschritt. In den ersten Stunden klatscht ihr ständig mit dem Gesicht gegen etwas im ersten Moment spielerisch nicht Nutzbares. Während sich Lehmtore einfach einreißen lassen, indem man eine Pikmin-Rotte darauf loslässt, steht ihr später vor Bambusbarrieren und Glaswänden, dahinter funkenschlagende Stromkabel, Eimer, Autobatterien, Scherbenhaufen, Konservendosen, Kristalle. Diese Anfassbarkeit zieht sich bis ins Finale gegen einen Endgegner, dessen Erscheinung ich immer noch für ein sonderbares und ziemlich unterwältigendes Ergebnis einer Freitagabendsauftour halte. Der drumherum gestaltete Level hingegen: räumlich fantastisch verwoben und ein letzter dringlicher Kraftakt für die Kleinen.
Den Grundstil und seine Größenverhältnisse hatte Nintendo schon auf dem Gamecube im Griff. Und trotz aller rauen Technikschwächen herrscht dank Tiefenunschärfe und knallig hervorstechender Farben (diese strahlenden Zitrusfrüchte im braunen Laubwerk!) das Gefühl einer für ihre Spieler hergerichteten Miniaturwelt. Die Switch-Videoausgabe skaliert das 720p-Bild notdürftig nach oben, was die Pixelkanten im Wii-U-Vergleich etwas weicher, wenngleich aufgeschwemmter zeichnet. Anisotrophische Filterung nimmt den Bodentexturen ein wenig ihrer Globschlächtigkeit, aber im Großen und Ganzen sprechen wir von der sieben Jahre alten Wii-U-Version auf einer Cartridge. Hätte mir jemand im Vorfeld eine der beiden Fassungen vorgespielt, ich hätte keine Unterschiede benennen können. Die Buchstaben der UI-Elemente erscheinen auf 50-Zollern krümelig, die Pixelränder grobkantig. Selbst Mario 64 im bescheiden bearbeiteten Mario 3D All-Stars hat knackigere Schrift.
Auch der größte Schwachpunkt der Wii-U-Version hat überlebt: das Anvisieren. Per Schultertaste wechselt ihr zwischen Pilzen, Gegnern und anderen interaktiven Objekten, je nachdem, wohin die Pikmin fliegen und womit sie interagieren sollen. Meist ist das kein Problem, zumindest bei auseinanderliegenden Zielen. Ein paar Mal platzte mir fast der Kragen, beispielsweise beim vorletzten Boss, der schon im Original nur linke und kein einziges rechtes Bein hatte. Anstelle der alten Wiimote-Steuerung tritt eine optionale Zielfunktion via Gyrosensor, entweder mit dem Pro-Controller oder den Joy-Cons. Eine nette Dreingabe, zumal sich Letztere ähnlich anfühlen, wie mit Wiimote und Nunchuk von der Couch aus den Ton anzugeben.
Neben allerhand kleineren Quality-of-Life-Verbesserungen (drei Spielstände statt einem, abbrechbare Zwischensequenzen) wirbt die Switch-Version mit spielbarem Prolog und Epilog, was viel reizender klingt, als es ist. Mit Olimar und Louie, dem Duo aus Pikmin 2, tut man im Wesentlichen das Gleiche wie in der Kampagne. Einige Durchgänge sind blockiert, wodurch sich das Geschehen auf kleinere Ausschnitte der bekannten Areale beschränkt. Dort züchtet ihr Pikmin, sammelt Früchte und Gold, natürlich unter Zeitdruck. Das war es. Hier sind noch mal ein bis zwei Extrastunden drin, aber nichts Neues oder Aufregendes. Dennoch ein schöner Deckel für ein schon vorher im wahrsten Sinne aufblühendes Multitasking-Abenteuer.
Pikmin 3 Deluxe auf Switch bleibt ein heiteres, naturverbundenes Spiel der Entdeckung, für klare Systematik ein bisschen schwierig zu packen inmitten der Schubladen, auf denen woanders "Strategie", "Taktik" oder "Zeitmanagement" stünde. Es fordert nichts davon im Übermaß und hält die Balance in seinen zehn Stunden bis zum Abspann. Der verdrehte Mikrokosmos folgt eigenen Regeln des Jagens und Gejagtwerdens und ihr seid jederzeit so nah dran, wie es die Umwelt zulässt.
Trotz aller Grausamkeit im Lauf der Natur versprüht Pikmin 3 Gelassenheit und Lebensfreude mit Spaziergängen inmitten haushoher Pusteblumen, Zitronen und Kiwis. Es zelebriert das Überwinden von Grenzen und das Zupacken(lassen), wenn schon die Übersicht in Videospielen schwer genug sein kann. Mit dem Streamlining andernorts komplexer RTS-Mechaniken gelingt dem Konzern hinter Wii Music ein zugängliches Werfen, Töten und Ernten in einer ebenso einladenden wie brutalen Miniaturwelt. Nennt mir einen Grund, warum man dem Marsch nicht folgen sollte.
- Entwickler / Publisher: Nintendo
- Plattformen: Nintendo Switch
- Release-Datum: Erhältlich
- Sprache: Deutsch, Englisch und weitere
- Preis: ca. 60 Euro