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Pikmin 4 im Test: Gemütliche Gartenarbeit für Astronauten

Ich brauche Otschin in meinem Leben.

Hübsch, charmant, flexibel: Pikmin 4 vereint gekonnt die Gangarten seiner Vorgänger zu einem abwechslungsreichen, eleganten Paket und Otschin hat es mir angetan. Schade, dass es seine besten Tricks nicht ein bisschen früher rausrückt.

Wie fange ich bloß an? Vielleicht mit der Feststellung, dass sich Pikmin-Fans auch den vierten Teil beruhigt kaufen können und dann locker 20 Stunden viel vom gleichen Spaß haben werden, der diese Serie zu einem der spezielleren Lieblinge der Spielehistorie macht. Es übt seinen ganz eigenen Reiz aus, als Miniaturastronaut eine Armee von Pflanzenwesen unterschiedlicher Talentprofile zu kommandieren, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und Gärten, Parks und Strände von kostbarem Sammelkram zu säubern. Auf dass sich eure Gefolgschaft stetig mehrt und ihr irgendwann den verschollenen Helden der Serie, Captain Olimar, rettet.

Zwischen den Missionen schaltet ihr optionale und oft komfortable Upgrades frei und quasselt mit den Geretteten. Leider wiederholen sich Texte und Sequenzen oft. Das ginge straffer.

Das funktioniert nach wie vor auf einem grundlegenden Level ausgezeichnet und fühlt sich auch so an, auch wenn Pikmin 4 in schwächeren Momenten ein bisschen zu achtlos auf dem schmalen Grat zwischen betulich und trantütig wandelt. Wirklich schaden kann das der etablierten und hier maßvoll erweiterten Erfolgsformel aber nicht.

Nachdem das 30-Tage-Zeitlimit des ersten Teils kontrovers aufgenommen und dann anschließend von Nintendo für Teil zwei gekippt wurde, kam mit dem dritten Teil zumindest ein kleines Spannungselement wieder hinzu: Ihr musstet immer auch ein aAuge darauf haben, dass sich eure Saftvorräte nicht leerten. Pikmin 4 nimmt jetzt wieder Druck raus, indem es euch einfach machen lässt und zunächst gefiel mir das gar nicht. Grundsätzlich ist Pikmin 4 nämlich sehr einfach und das vorausschauende, planende Spielen, das es so oft beschwört und “Dandori” nennt, nie wirklich einfordert. Es trägt euch einfach auf, während eurer Rettungsmission für andere gestrandete Astronauten möglichst viele Schätze auszubuddeln, um mit dem daraus gewonnen Glitzerium die Reichweite eures Schiffes auf andere Gebiete auszudehnen. Raumschiffteile finden war da eine dezent plastischere Motivation.

Das Kreaturen-Design ist mal wieder eine Zier. Sie sind auch spielerisch clever gestaltet.

Insgesamt wirkt der Tagesablauf eures selbst erstellten Weltraumzwergs dann doch etwas zu “komm-ich-heut-nicht-komm-ich-morgen”. Das Gute daran: Ihr habt es selbst in der Hand und sobald ihr die Angewohnheit ablegt, instinktiv die Luftlinie zu “Schätzen” wie einem halb verbuddelten Spülschwamm oder ein auf einem umgedrehten Spielzeugeimer vergessenen Quietsche-Entchen zu nehmen, eröffnen sich ungezählte Wege, eure Abläufe zu optimieren und das Maximum aus einem Spieltag herauszuholen. So schade ich es also fand, dass Pikmin 4 nicht mehr darauf pochte, dass ich klug spielte, so gut fühlte es sich an, auch ohne Druck den Ehrgeiz zu entwickeln, die einzelnen Areale auf 100 Prozent zu bringen.

Bis ich die Credits sah, durchkämmte ich in 19 Stunden vier Maps, von denen ich aber nur zwei wirklich auskostete. Die Struktur ist nach wie vor vertraut und unverwüstlich: Man erntet Pikmin, lässt sie dann Monster aus dem Weg schaffen, indem man seine Chlorophyll-Soldaten auf ihre Schwachstellen wirft, schafft Abkürzungen und räumt Hindernisse auf die Seite, bis man alle Glitzerium-Schätze abgetragen hat. Das können Golfbälle, Knöpfe oder Babyschnuller sein und einer der größten Späße ist es, herauszufinden, welche Namen unsere ahnungslosen Marsmännchen den ihnen unbekannten Gegenständen wohl geben. In diesem Fall: “Orbitaler Kommunikationssatellit”, “löchriges Floß” und “Falscher Lutscher”.

Es dauert eine Weile, bis die Level etwas komplexer werden.

In schöner Regelmäßigkeit öffnen sich Rohre in den Untergrund zu separaten und oft auf mehrere Etagen aufgeteilte Puzzle-Räume, an deren Ende ein Boss wartet, der nach seiner Niederlage einen weiteren Gestrandeten freigibt. Oder ihr spielt unter der Erde ein sogenanntes Dandori-Match gegen die KI (aber trotzdem im Splitscreen), in dem ihr Glitzerium um die Wette sammelt. Auch hier winkt meistens ein Gestrandeter als Belohnung. Und so spielt man sich dann durch, freut sich über die lustigen Animationen des irre süßen Space-Hundes Otschin, der sich auch spielerisch – als schwimmendes Reittier, Rammbock, Wegweiser und stationärer Verteidiger in den optionalen nächtlichen Verteidigungsmissionen – bestens in den bekannten Pikmin-Zyklus einfügt. Er ist mit das Beste am Spiel und ein gut gemachtes Plüschtier von ihm würde ich mir eine viel zu hohe Summe Geld kosten lassen.

Ein wenig “laissez-faire” ist Pikmin 4 also, was auch für die Art gilt, wie es seine Nachtmissionen integriert. Hier verteidigt ihr eine Art Termitenbau gegen anstürmende Monster mithilfe der neuen grünen Leucht-Pikmin. Das spielt sich schnörkellos und durchaus spannend, weil man mehr unter Druck ist, sich zu organisieren. Die Level sind schnell vorbei und am Ende spuckt der Erdhaufen einen Saft aus, den man zur Heilung einer bestimmten Sorte Gestrandeter benötigt. Die Nachtmissionen rücken einfach an die Stelle einer Tagexpedition und weil Zeit keine Ressource mehr ist, um die man sich Gedanken machen muss, fühlt man sich freier, dieses Angebot eines angenehmen Rhythmuswechsels auch anzunehmen. Wer dem alten Zeitlimit hinterherweint, was ich verständlich finde, muss an dieser Stelle einsehen, dass die neue Regelung auch ihre guten Seiten hat.

Mein Lieblingsmonster, das manchmal, irgendwie wie ein gigantischer Frosch aussieht, wenn man ihm kurz davor über den Rücken geschleckt hat.

Wie gesagt: Ein bisschen obliegt es euch selbst, wie cool es aussieht und sich anfühlt, wenn ihr Pikmin 4 spielt. Die Entwickler geben euch nicht ohne Grund die Möglichkeit, straflos die Zeit zurückzudrehen oder den Tag von Neuem zu beginnen. Sobald man begriffen hat, dass sich das lohnt, ist Pikmin 4 ziemlich packend, obwohl es auf einem grundlegenden Level eines der einfacheren Spiele ist, die ich dieses Jahr vor der Nase hatte. Zugleich bedeutet die lockere Leine, die mir das Spiel ließ, aber auch, dass ich ein bisschen unvermittelt ins Ende hineinstolperte, ohne dass ich das Gefühl hatte, wirklich einen Höhepunkt in der Handlung erlebt zu haben. Plötzlich hatte ich Olimar gerettet und die Credits rollten über den Bildschirm.

19 Stunden Kampagne einfach so vorbei? Nicht ganz, denn das Spiel findet einen nicht mal schlechten Grund, euch auf die Erde zurückzuschicken. Bei Nintendo passieren die besten Dinge oft erst nach den Credits, und so sehr mir auch vornehme, es ihnen beim nächsten Mal übelzunehmen: Da stehe ich auf einmal in den besten Bereichen von Pikmin 4 und kann wieder nicht anders, als ziemlich gut zu finden, was hier “nach” dem eigentlichen Spiel passiert, einschließlich einiger kompletter Pikmin-Arten, die ich bis dahin komplett verpasst hatte. Das muss man sich erst mal trauen.

Manchmal kämpft die Bewegungssteuerung des Cursors ein wenig gegen die Zielhilfe an. Da muss man sich dann angewöhnen, die Aufschaltung per Schultertaste zu nutzen. Sonst wird's hier und da fummelig.

Weniger gut fand ich die Menge an Downtime, die durch die Text-Dialoge zustande kommt und in denen die Antwortmöglichkeiten schon mal oft “Verstanden. ” und “VERSTANDEN!” lauten. Vom selben Schlag sind die immer wiederkehrenden Textbausteine für Standardinteraktionen mit den anderen Rettern im Hub zwischen den Missionen, von denen man sich viele hätte sparen können. Und dass es für Heimkehr und Aufbruch immer wieder identische Sequenzen gibt, nimmt ebenfalls ein wenig Enthusiasmus aus dem Prozedere des Tageswechsels. Pikmin nimmt zwischen den eigentlichen Missionen zu viel Tempo für zu unwichtige Dinge raus. Seinen Charme kann das aber nicht neutralisieren. Zudem gibt es hier ein paar interessante Upgrades freizuschalten, die aber alles andere als zwingend notwendig sind.

Einigen könnte Pikmin 4 auch in den Kämpfen zu einfach sein, denn die schafft man selbst mit der Brechstange ganz gut: Die hat hier die Form eines voll beladenen Otschins, der bei seiner Rammattacke einfach alle Pikmin zugleich auf einem Feind ablädt. Das kostet allerdings viele Leben und Wege zurück zur Zwiebel, um Pikmin-Nachschub zu besorgen, was wiederum Zeit für Wichtigeres kostet. Aber immerhin sind die kleinen Kerle zahlreich in Reserve. Das liegt ironischerweise an dem neuen, niedrig angesetzten Pikmin-Limit, das bei 20 beginnt und durch gefundene “Knobknollen” in Zehnerschritten aufgestockt werden kann. Alles an Überschuss wandert automatisch in die Zwiebel und da sammelte sich dann so einiges an. Aber wie auch beim Schaffen von Abkürzungen und dem Abstimmen der besten Wege und der besten Arbeitsteilung zwischen Otschin und eurem Kapitän gilt auch in den Kämpfen: Diese Gartenarbeit für Nintendokinder macht am meisten Spaß, wenn man klug und gezielt die Eleganz der Systeme zu Tage fördert, die in Pikmin 4 zuhauf steckt.

Viel reden, wenig sagen. Ich mag diese Knallchargen trotzdem.

Ein paar Notizen zum Technischen und zum Spielen mit- und gegeneinander. Das Dandori-Duell ist tatsächlich ein schöner Battle-Modus, in der man um die Wette und unter Einsatz von Extras das übliche Pikmin-Ding macht, was durchaus kribbelig werden kann. Funktioniert leider nur lokal, aber dieser Modus ist eines der ersten Male seit längerer Zeit, dass ich mal wieder Lust hatte, jemanden dafür zu mir auf die Couch einzuladen. Der Koop-Modus hingegen degradiert den zweiten Spieler zum Fadenkreuz-Ballern, womit man zwar gut seinen Spross mit ins Boot holen kann. Doch das ginge bei diesem Spielprinzip auch besser. Auffällig sind die langen Ladezeiten, wenn man in ein Einsatzgebiet aufbricht.

Interesse? Pikmin 4 gibt es im Nintendo eShop für Switch oder bei Amazon.de, jeweils für 59,99 Euro.


Pikmin 4 Test – Fazit:

Obwohl Pikmin 4 also viel von seiner Schönheit durch übertrieben weit aufgerissene Arme verschleiert, und man selbst ein bisschen investieren muss, sie zu Tage zu fördern, ist Pikmin 4 ein Erfolg. Dieses Spiel hat sich alle Freunde verdient, die es wie ein Rudel bunt gemischter Pikmin nach einem beherzten Pfiff in die Trillerpfeife um sich schart. Die grundlegende Geschmeidigkeit seiner Abläufe, wenn man es “richtig” spielt, ist nicht von schlechten Eltern. Denn wenige Games mischen Geschicklichkeit, Puzzle und Strategie-Light so effektiv und auf haptischer Ebene erbaulich wie Pikmin 4. Seine Welten sind wunderbar strukturiert, vermitteln ein hübsches Gefühl für Größe und ermuntern, wirklich jeden Bereich auf 100 Prozent zu bringen. Es ist nicht das zwingendste Spiel in Nintendos Bibliothek, war Pikmin nie. Aber wenn man wirklich will, kann man das hier extrem fokussiert, effektiv und elegant spielen.

Bei aller übertriebener Redseligkeit ist das Spiel zudem immer noch hinreißend charmant, was vor allem an Otschin und den Pikmin liegt. Vor allem muss man Pikmin 4 zugutehalten, dass es mit seinem zweibeinigen Hund und sogar ein bisschen “durch die Blume” dargebrachtem Body-Horror das seltsamste Spiel einer ohnehin schon verschrobenen Reihe ist. Das muss man im vierten Anlauf auch erst mal schaffen.

Pikmin 4
PROCONTRA
  • Das unverwüstliche Pikmin-Prinzip macht auch im 4. Anlauf Spaß
  • Hund Otschin fügt sich ein, als wäre er schon immer da gewesen
  • Komplexe, aber eingängige Steuerung
  • Überaus charmant
  • Guter Umfang, gefällige Dandori-Duelle
  • Niedriger Schwierigkeitsgrad fordert selten heraus, die coolen Systeme auszukosten
  • Koop-Modus unterentwickelt, Dandori-Duell nur lokal spielbar
  • Etwas zu verquasselt

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