Pikmin: Feiern wir Nintendos größtes Schlachthaus
Pikmin. Onion. Brittany.
Pikmin ist eine Reihe über niedliche Pflanzen, die man auf niedliche Frösche wirft, um ihnen alles plus eine Handvoll Edelsteine rauszuprügeln. Im Nintendo-Kosmos gibt es wenig so Leichtherziges und zugleich so Grausames. Sichtbar wird der Kontrast im Umfeld eines Unternehmens, dessen Spielwelten innerlich wie äußerlich in der Regel aus Watte, Plüsch oder, wenn man mal hammerharte Kante zeigen möchte, aus robuster Kartonage gefertigt sind. Hier ist es, oh Schreck, die Erde. Oder zumindest eine ihr nachempfundene Landschaft mit Echtweltschrott begraben unter Sand- oder Blatthaufen. Eine vertraute Welt in unvertrauter Perspektive.
Klar, die kleinen Pikmin trällern beschwingt auf dem Weg durchs Geäst, wie putzig ist das bitte, während woanders Köpfe und Ärsche platzen wie reife Melonen? Die Pikmin-Reihe, seit Kurzem als Trilogie auf Switch spielbar, ist eine andere, familienfreundlicher verpackte Nummer. Als abgestürzter Raumreisender in Zigarrenstummelgröße, Olimar, gilt es zu überleben und dem erdähnlichen Planeten zu entkommen, im ersten Teil (2001) noch buchstäblich binnen 30 Tagen. Jeder davon dauert genau 13,5 Minuten.
Das ergibt rund sieben Stunden, nach deren Ablauf Olimar kläglich scheitert und eine Metamorphose durchleidet, gelingt es nicht, die zur Rückreise nötigen 30 Schiffsteile zu bergen. Das "schlechte" Ende ist ein bitterböser Rausschmeißer aus einem atmosphärisch wundervoll unterkühlten Spiel, mit einer Verwandlung vom heimwehgeplagten Däumling zum willenlosen Pflanzenknirps, die er selbst im Spielverlauf benutzte wie Werkzeuge, damit sie Käfer brutal zusammenschlagen und ihre Leichen in neues Pikmin-Material umwandeln.
Die vorgärtlichen Körperfresser üben sich im Unterwerfen eines regulierten Ökosystems, nicht ohne eingreifende Hand von außen, um die Einwohner erst zu Ressourcen zu verarbeiten und sie dann zu verheizen. Das ist harter Tobak, nachdem unser Protagonist in der allerersten Texttafel seine fürchterliche Entweder-oder-Situation begreift. Welches andere Nintendo-Spiel beginnt mit der Ansage "Beeilung oder Tod durch Ersticken" (abgesehen von einem 2D-Mario-Level unter Wasser, wenn man genauer drüber nachdenkt)?
Nintendo kam durch mit eigenartiger, naturverbundener Echtzeitstrategie in hellen, strahlenden Farben, fernab von Panzern und Schützengräben - aber trotzdem mit Blick auf Truppenverteilung, Routenplanung und Angriffsrichtung. Und schön sah es aus auf dem Gamecube, dank detaillierter Batterien, Kronkorken und kleiner Törtchen, die wegzutragen Aufgabe eurer Pikmin-Armee ist.
Mein liebstes Schleppmaterial sind die Früchte in Pikmin 3 - diese Zitronen mit den Furchen! -, aber für 20 Jahre alte Spiele auf 20 Jahre alter Hardware plus Joycons haben sich die ersten Teile gut gehalten. Das gilt umso mehr, da wir bei Pikmin 1 und 2 nicht von einem vollwertigen Remaster wie bei Metroid Prime reden, sondern von der Wii-Version mit hochgezogener Auflösung. Duracell und andere Markenlogos, die im Original auf den Hinterlassenschaften prangten, mussten in der Switch-Fassung Fantasienamen weichen. Schade, es war ein schöner Meta-Touch und eine Brücke vom abstrakten Spielgeschehen in unser Wohnzimmer.
Trotzdem beweist der erste Teil bis heute eine bedrückende, natürliche Reinheit im Lauf der Dinge, den aufzuhalten man niemand anderem in die Schuhe schieben kann. Jeder Tag und jede Aktion sind bedeutend. Sie zwingen zum Handeln und Überwinden der Ängste und fordern eine Optimierung der Abläufe in einer Art, wie sie einzigartig ist für die Reihe.
Und Pikmin ist eine der wenigen Reihen auf nahezu konstantem Niveau (Hey Pikmin auf dem 3DS mal ausgenommen, wobei auch das nicht übel war). Teil zwei, entweder im E-Shop-Doppelpack für 50 Euro enthalten oder einzeln für 30 Euro, ist das berühmte Quäntchen mehr, die Schippe druff, das Gears of War 2 der Pikmin-Reihe, mit allem moralischen Splatter.
Aus dem brutalen Lauf gegen die Uhr wird ein kapitalistischer Lauf gegen nichts - was seine größte Schwäche ist. Pikmin 2 (2004) ist Töten, Beschaffen und Vermehren zum Vergnügen und Geldverdienen. Verniedlichte Gier in Gestalt des Hocotate-Freight-Präsidenten mit seinen dreisten Forderungen in den täglichen E-Mails.
Erneut untergaben wir Lebensräume und schlagen diesmal Kapital daraus. Immer noch fliegen verschiedenfarbige Pikmin auf Blumen, Kröten, Insekten und Holzzäune, werden gruppiert, mit Honig gestärkt, mit Spray zugedröhnt, damit sie schneller töten, abreißen, verwüsten und abtransportieren können. Sie hämmern Brücken aus dem Boden für eine Abkürzung und überwinden nach und nach die Hürden frei erkundbarer Karten.
Ich liebe die prozedural generierten Höhlen in der Fortsetzung, betretbar über Maulwurfhügel und arrangiert als mehrstöckige "Dungeons" mit dicken Bossen am Ende. Die japanische Schulmädchenspinne in Pikmin 3? Die gab es schon im Vorgänger, nur ohne die verstörende Haarpracht. Im Kinderzimmer von jemandem herumlaufen? Könnt ihr hier bereits.
Details wie diese hatte ich vergessen. Etwa wenn eine Spinne sich einen leblosen Käferkörper überstreift wie einen Anzug, gestützt von dürren, aus Löchern ragenden Beinchen - was für ein verstörender, brüllkomischer Anblick. Manches Gewürm verteidigt seine Beute und schleppt fette Spiegeleier in den Bau, wenn man nicht genügend Pikmin dagegenhält. Oder wie die bunte Truppe samt Anführer von einer Wasserfontäne an die Oberfläche geschossen wird, haarscharf an der Kamera vorbei.
Details wie diese bügeln die drängend-unbehagliche Stimmung des Vorgängers platt und letztlich aus. Pikmin 2 mag der antreibende Biss fehlen und eine trödelige Schatzsuche auf größeren Karten zelebrieren, aber für mich ist es eine der besten direkten Fortsetzungen aus Kyoto. Nur um zehn Jahre später getoppt zu werden von einem der bis heute bestaussehenden Spiele in Nintendos Katalog.
Pikmin 3 (2013) ist vielleicht mein Favorit für die weggewinkte Konsole, technisch mit Blick auf die Hardware, spielerisch als Mischung aus Druck und freier, offener Erkundung. Die Suche nach Weintrauben, Erdbeeren und Sternfrüchten ist gebunden an einen Smoothie pro Tag, der zum Überleben auf der hohen Kante lagern muss, sonst verhungert das spielbare Trio.
War Pikmin 1 ein Spiel zu scheitern drohenden Überlebens und Pikmin 2 eines über Ausschlachtung, liegt Pikmin 3 irgendwo dazwischen. Die Zwangslage ist da, wenn auch weniger imminent als im einstigen Gamecube-Launch-Titel. Im Laufe des Spiels summieren sich die überlebenswichtigen Rationen und unter den Druck mischt sich so manches Schulterzucken, aber die erste Spielhälfte ist eine wunderbare Symbiose aus beiden Welten. Und mit fetten, wunderschönen Früchten, falls das bislang untergegangen ist.
Die Umgebungserkundung verläuft mit drei wechselbaren Protagonisten noch einmal trickreicher und das Multitasking gipfelt in einem alles auf die Probe stellenden letzten Abschnitt. Nintendo-Design in seiner stärksten Form, das gibt es nicht jeden Tag, noch nicht einmal jedes Jahr.
Aber hoffentlich nächste Woche. Dann erscheint Pikmin 4 mit Hund, Rüsselschwein, Höhlen (yay!), Früchten (Doppelyay!) und vielen im Trailer nach einer guten Zeit schreienden Dingen. Es ist die Sorte knalliges, freudestrahlendes Abenteuer, von der man sich besonders in diesen Zeiten mehr wünscht. Nur um kurz darauf mit Blick auf Nintendos weniger laut bejubelte Kernreihen zu begreifen, dass sie genau deswegen besonders statt beliebig sind. Oder könnte jemand von euch aus dem Stegreif alle Kirby-Spiele seit 2015 mit Namen und Unterschieden aufzählen (hat Kirby überhaupt Fans)?
Man weiß Gutes erst zu schätzen, wenn die Release-Taktung nicht in Jahren, sondern Konsolengenerationen bemessen wird, heißt es. Das Ländliche und Spießige, die Liebe zur Natur, ihren Arten und Hierarchien, das Wühlende, Schnüffelnde und Springende, die Furcht vor dem nahenden Sonnenuntergang - das ist Pikmin und ich würde es nicht alle zwei Jahre haben wollen.
Bis Pikmin 5 im zweiten oder dritten Quartal 2032 erscheint - Onkel war sich nicht ganz sicher -, bleibt genug Zeit, sich mit den fabelhaften Vorgängern daran zu erinnern.
Update August 2023: Nachdem Pikmin 4 endlich erschienen ist und seine putzige Spielreihe kompetent fortsetzt, sollte man es auch gründlich durchspielen, nicht wahr? Braucht ihr Hilfe beim Absolvieren des neuesten, im Sommer 2023 erschienenen Teils, werft einen Blick in unsere Komplettlösung zu Pikmin 4 für Nintendo Switch. Darin findet ihr alle Schätze in sämtlichen Gebieten des Spiels, alle Gegner, Höhlen, Bosse, Dandori-Prüfungen und alles, was man benötigt, um Pikmin 4 zu 100 Prozent abschließen zu können.
Egal ob es bei den Sonnigen Anhöhen hapert, bei den Stillen Ufern, im Heldenversteck oder sonst wo, egal ob es um den Code zum Tresor geht oder darum, die verloren gegangenen Raumreisenden sicher nach Hause zu bringen - die Lösung hat alle nötigen Tipps und Hilfestellungen parat. So erreicht ihr nicht nur den ersten, sondern auch den "richtigen" Abspann des Spiels und helft Collin, Shepherd, Russ, Digo, Spanel und natürlich Olimar bei ihrem heldenhaften Vorhaben, den wundersamen Planeten zu verlassen.
Anschließend können wir weiter auf Pikmin 5 warten, wie lange auch immer das dauern wird.