Planetside 2 - Test
Ein MMO-Shooter als praktisches Beispiel für die Sinnlosigkeit des Krieges.
Call of Duty und Konsorten choreografieren Fronterlebnisse, um ein möglichst authentisches Spielgefühl zu vermitteln. Das hat PlanetSide 2 nicht nötig. Der Free-to-play-MMOFPS von Sony Online Entertainment muss nichts inszenieren oder skripten. PlanetSide 2 IST Krieg. Rund um die Uhr. Sieben Tage die Woche. Und der Titel kommt schnell zur Sache. Ihr sucht euch eine von drei Fraktionen aus, man drückt euch eine Waffe in die Hand, schwafelt von hehren Zielen und schubst euch aus einem Raumschiff aufs Schlachtfeld. Direkt nach eurem Sturz aus dem Orbit werdet ihr vermutlich über den Haufen geschossen. Noch bevor ihr auch nur eine Kugel gefeuert habt oder wisst, wie euch geschieht. Das war jedenfalls mein erster Eindruck von Auraxis. Krass, chaotisch, gnadenlos, faszinierend.
Ich begann, wie so viele Kollegen, ohne die extrem langen Video-Tutorials der offiziellen Seite studiert zu haben. Sollte man zwar irgendwann nachholen, aber prinzipiell geht es auch ohne. Dachte ich jedenfalls. Also stolperte ich etwas blauäugig auf dem Schlachtfeld herum, ohne einen Dunst davon zu haben, wo ich hingehen oder was ich tun sollte. Die schiere Größe der Welt und die ungeheure Vorstellung, sie sich mit mehreren tausend Mitspielern gleichzeitig zu teilen, kann einen einschüchtern. Doch das ist nichts gegen jene furchtbare Freiheit, die einen in den ersten Minuten buchstäblich lähmt. Auf Feinde muss ich ballern. Schon klar. Doch was muss ich tun, damit meine Seite gewinnt? Wo soll ich anfangen?
Mangels besserer Ideen rannte ich ein paar Kollegen hinterher. Aus den fünf Klassen hatte ich mir zufällig den Ingenieur herausgepickt, wusste aber nichts über seine Fähigkeiten. Man darf die Klassen vor jedem Respawn oder an bestimmten Terminals beliebig wechseln, doch der Ingenieur erschien mir so gut wie jede andere für den Einstieg. Als Alternative hätten sich angeboten: Spion, Sanitäter, oder die leichten und schweren Angriffseinheiten. Den MAX-Mechanzug gibt's nur im Tausch gegen Ressourcen.
Learning by doing - an der Front
Ich war gerade mit den Kollegen im nahen Stützpunkt angekommen, da marschierte ein Kamerad in besagter MAX-Panzerung auf mich zu und bat mich um Munition. Ich ging meine Gegenstände durch. Die Kiste auf Taste vier sah gut aus. Ich ließ sie zu Boden fallen und meine Intuition erwies sich als richtig. Der Kollege bekam seine Munition und ich ein paar Erfahrungspunkte. Erste Lektion: Ich sorge für Nachschub.
Also half ich meiner Truppe, indem ich hinter ihnen fleißig Munitionspakete abwarf und gelegentlich mit meinem Sturmgewehr auf Feinde anlegte. Dann beobachtete ich, wie ein anderer Ingenieur einen Spieler im MAX-Anzug per Nano-Reperaturkanone flickte, um gleich darauf noch einem zerstörten Terminal für Fahrzeuge neues Leben einzuhauchen. Ich schnappte meine eigene Reperatur-Knarre und half ihm dabei. Lektion Nummer zwo: Ich repariere Dinge.
Dann probierte ich den Geschützturm in meinem Inventar aus. Dieser feuert nicht von selbst, wie ich schnell bemerkte. Ich muss mich per E-Taste dahinter klemmen und selbst aufs Ziel anlegen. Blöd, dass ich in diesem Moment leichte Beute für Feinde mit schweren Explosivwaffen bin - da hilft auch der kleine Schutzschirm an der Kanone nicht. Wieder eine Lektion gelernt.
Ähnlich lief das Prozedere bei den anderen Klassen. Ich teste die Ausrüstung, beobachte die Kollegen, ahme nach, improvisiere - was soll man auch sonst groß tun angesichts einer derart dynamischen Front? Das Interface machte auf mich einen etwas überfrachteten Eindruck und ist selbst nach einer gewissen Eingewöhnung noch ein wenig sperrig zu bedienen. Doch bald hatte ich heraus, wie ich die Startausrüstung meiner Klassen und die Fahrzeuge effektiv meinen Wünschen anpassen kann, wie man die Übersichtskarte benutzt und wie man mit anderen Spielern Trupps und Teams erstellt.
Einzig die Frage nach dem "Wozu das Ganze?" blieb unbeantwortet. Krieg als Selbstzweck? Logisch. Ist ja ein Spiel. Aber darf man die Frage wirklich so einfach abtun? Was lässt sich nicht alles in PlanetSide 2 hinein interpretieren - so viele Leerstellen, so viele mögliche Gedankenspiele.
Vom Shooter zur Metapher
Der Charakter-Editor zum Beispiel. Vier Gesichtstypen, zwei Geschlechter, ein Name. Mehr gibt es nicht. Unwichtig für's Spiel, könnte man schlussfolgern. Aber würde ich mich zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich darin eine interessante Metapher entdecke? Hautfarbe, Geschlecht - alles egal. Wir sind Soldaten. Austauschbar. Gesichtslos. Kanonenfutter in einem Krieg, den niemand begonnen hat und den niemand gewinnen wird. Wir sind Helden für kurze Augenblicke - Sekunden später wieder vergessen. Winzige Ameisen im Schlachtgewimmel aus 2000 Spielern pro Kontinent (drei davon gibt es pro Server).
Oder der Planet Auraxis selbst. Die Welt ist riesig, persistent, aber im Grunde leer. Erst der Krieg verleiht ihr Leben. Die Felder auf der Übersichtskarte wechseln laufend ihre Farbe - entsprechend der Partei, die das Gebiet besetzt. Doch jeder Erfolg ist so kurzlebig wie eine Seifenblase. Ein konzentrierter Ruck der beiden gegnerischen Fraktionen genügt, um euch die Territorien wieder zu entreißen. Morgens gehört eurer Fraktion noch zwei Drittel eines Kontinents, Abends nur noch eine kleine Kachel, wenn ihr Pech habt. Dazu braucht es nicht einmal sonderlich organisiertes Teamplay oder Clans, auch wenn PlanetSide 2 dafür viele Möglichkeiten mitbringt. Solange jeder Spieler instinktiv sein Scherflein beiträgt, kommt die eigene Fraktion erstaunlich weit. Wenn dann noch ein gut eingespielter Clan mitmischt, lassen triumphale Siege nicht lange auf sich warten - bis die Truppe schlafen geht und ihre Heldentaten wieder von ein paar Nachtschwärmern einkassiert werden.
Und es gibt noch mehr Beispiele, bei denen selbst einem Sisyphos erste Zweifel über Sinn und Unsinn gekommen wären. Da erlege ich als Spion Hunderte Feinde, die am nächsten Wiederbelebungsterminal respawnen, nur um erneut von mir per Scharfschützengewehr erschossen zu werden. Solches Spawncamping nimmt teilweise groteske Auswüchse an. Als Sanitäter kitte ich dann im Sekundentakt Wunden und erwecke gefallene Kollegen zum Leben, nur um sie gleich wieder sterben zu sehen.
Das Jetpack katapultiert meine leichte Angriffseinheit über höchste Mauern und Geschütztürme, die sich ironischerweise vor einer halben Stunde noch im Besitz meiner eigenen Fraktion befanden. Kurze Zeit später gehört die Basis erneut uns. Vielleicht verlieren wir sie auch wieder binnen der nächsten Minuten. Mehrfach steige ich in Fahrzeuge, die ich mir über Ausrüstungspunkte hart verdienen musste, nur um sie ohne Reue ins Herz der feindlichen Basis zu lenken. Fahrzeuge, Basen, Ausrüstung - ein Kreislauf aus Tod und Wiedergeburt. Die Sinnlosigkeit des Krieges, destilliert in ein kostenloses Freizeitvergnügen. Mit Betonung auf Vergnügen.
Ein Juwel mit leichten Macken
Doch leider ist nicht ganz alles Eitel Sonnenschein im Kriegsgebiet. Lange Zeit gab es Probleme mit Server-Crashes. Cheater waren ebenfalls unterwegs. Gelegentlich fällt man noch immer durch die Spielwelt ins Nirvana. Rubberbanding, Lags, eine ins unterirdische fallende Framerate - solche Probleme gibt es nach wie vor. Besonders wenn die Schlachten hitzig werden und immer mehr Truppen ins Kampfgebiet strömen, geht die Performance in die Knie, selbst auf neuen Rechnern. Alles Baustellen, die SOE aggressiv anpackt, wie SOEs Chef John Smedley versichert.
An der Tatsache, dass sich vor allem Einsteiger an der steilen Lernkurve die Haxen brechen können, ändert das freilich nichts. Man muss viele Tode sterben und noch mehr ausprobieren, bevor man als gestählter Veteran auf dem Schlachtfeld Heldentaten vollbringt. Mit optionalen Monatspaketen aus dem Cashshop erhöht man zwar unter anderem den Ressourcen- und Erfahrungspunkte-Verdienst, doch solche Vorteile helfen natürlich kaum, wenn einem das grundsätzliche Talent für Shooter abgeht. Exklusive Schießprügel oder Fahrzeuge gibt es erfreulicherweise nicht - man kann jedes Item im Cashshop auch gratis erspielen.
SOE hat noch ein hübsches Stück Arbeit vor sich, bis alle Macken und Performance-Engpässe in PlanetSide 2 beseitigt sind. Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass den Machern hier ein echtes Juwel geglückt ist, das sich Shooter-Fans nicht entgehen lassen sollten. Die Mischung aus FPS und MMO ist gelungen. Mit steigender Stufe die Rollen der Standard-Klassen und der Fahrzeuge durch neue Waffen, Modifikationen oder Ausrüstung zu ändern und sie meiner Spielweise anzupassen, hat mich ordentlich motiviert. Wobei schon die Einstiegs-Ausrüstung eurer Soldaten beachtlich ist und mir lange Zeit vollauf genügte - selbst fortgeschrittene Spieler waren nicht vor mir sicher. Mit einem gepanzerten Sunder-Transporter einen Trupp Soldaten in die Schlacht zu fahren, im pfeilschnellen Jet feindliche Stützpunkte aus der Luft zu attackieren oder mit einem Bike von A nach B zu rasen ist ein Erlebnis - nicht zuletzt auch für die Beifahrer.
Das Gemeinschaftsgefühl in SOEs neuem Mehrspieler-Shooter übertrifft sogar das Community-Gameplay etlicher klassischer MMOs. Mit vierzig oder mehr Kameraden hinter Mauern und Ecken zu kauern, während die Kugeln einem um die Ohren pfeifen; einander mit Heilung und Munition auszuhelfen, sich gegenseitig Deckung zu geben, langsam vorzurücken und mit der Gegenseite verbissen um jeden Millimeter Boden zu ringen - das ist einfach unglaublich fesselnd und erinnert in manchen Momenten an Szenen aus Klassikern der Weltkriegs-Literatur. PlanetSide 2 ist mehr als nur ein gelungener Shooter mit MMO-Elementen. Es beschert einem Erlebnisse, über die man noch lange nach dem Ausloggen nachgrübelt. Man kann sogar - wie ich - das Spiel als Metapher für die Sinnlosigkeit des Krieges interpretieren. Nicht viele Free-to-play-Spiele können sowas von sich behaupten.